Schönerstädt: Ein Runddorf mit Kirche und feierfreudigen Bewohnern
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Schönerstädt gehört heute zu Hartha.
© Quelle: bartsch
Schönerstädt. Rainer Goldammer wartet schon in seiner Hofeinfahrt. „Verlaufen können Sie sich hier nicht“, sagt er zur Begrüßung. „Wir sind nämlich ein Runddorf.“ Tatsächlich gruppieren sich die Häuser in Schönerstädt rings um die Kirche „Sankt Margaretha“, einem Schmuckstück aus dem 17. Jahrhundert.
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Sankt Margaretha ist das Kleinod des Dorfes: Die Kirche stammt aus dem 17. Jahrhundert.
© Quelle: Sven Bartsch
Goldammer gehört zum alten Eisen im Ort. Er wurde in Schönerstädt geboren, tobte als Kind im benachbarten Waldgebiet herum und wohnt heute mit seiner Familie in einem schönen Dreiseithof, den schon sein Vater und später er selbst immer wieder umgebaut haben. Früher war der 67-Jährige Berufschullehrer, inzwischen geht er als Rentner auf die Jagd und mit seinem Enkel angeln – und gibt heute einen Einblick in sein Heimatdorf.
Tischler und Klemper gibt es im Ort noch
Der Spaziergang führt vorbei an der ehemaligen Gaststätte, die seit den Neunzigern dicht ist, und an der einstigen Dorfschule, die mit ihrer gelben Fassade in der Sonne glänzt und heute bewohnt wird. Zu DDR-Zeiten gab es fast alles, was man brauchte im Ort: Bäcker, Schuster, Konsum und einen Korbmacher. Ein Tischler und ein Klempner halten sich bis heute, ansonsten aber ist nicht mehr viel los im Ort. „Dass wir keinen Treffpunkt mehr haben, ist unser größtes Problem“, sagt Goldammer. Denn: „Schönerstädt feiert gern.“
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Die alte Dorfschule leuchtet mit ihrer gelben Fassade und wird heute bewohnt.
© Quelle: Sven Bartsch
Früher gab es alle paar Monate eine Fete, die von der Feuerwehr organisiert wurde. Nachdem Schönerstädt in den 70ern nach Gersdorf eingemeindet wurde, war es bald vorbei mit der Feuerwehr. „Man hat uns hier auf ganz billige Art und Weise abserviert“, ärgert sich Goldammer noch heute. Der damalige Bürgermeister hatte das Feuerwehrhaus „klammheimlich“ ausräumen lassen. „Wenn ihr Feuerwehr spielen wollt, müsst ihr nach Langenau oder Gersdorf gehen“, habe es da geheißen.
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Das alte Feuerwehrhaus ist schon längst Geschichte. Die Kameraden spielten damals eine wichtige Rolle in Schönerstädt.
© Quelle: Sven Bartsch
Ohne die Kameraden wurde fortan weniger gefeiert. Heute kommen die Bewohner noch zwei Mal im Jahr zusammen – im Winter bei Bratwurst, Glühwein und selbst gebackenen Plätzchen, im Sommer zum Schützenfest, bei dem man mit Armbrüsten auf Zielscheiben schießt. Bierrutsche und Schneeschuhlaufen sind weitere Gaudi, die auch Leute aus den umliegenden Dörfern nach Schönerstädt locken.
„Ich bin ein Schierscher“
Madeleine Stephan gehört zu den Umtriebigen, die die Feste jedes Jahr auf die Beine stellen. Die Zahnarzthelferin wohnt seit 1989 hier, mit ihrem Mann zog sie zwei Kinder groß, ist inzwischen Oma von vier Enkeln. „Wir sind schon eine schöne Gemeinschaft“, findet die 53-Jährige. Alle seien per Du und man grüße sich.
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Madeleine Stephan mit ihrem Enkel Piet und dem Dorf-T-Shirt.
© Quelle: privat
Die meisten Bewohner sind sogar so stolz auf den kleinen Ort, dass sie die Zugehörigkeit besonders zur Schau stellen: „Ich bin ein Schierscher“ steht auf dem T-Shirt, das auch Madeleine Stephan im Schrank hängen hat. Das Ganze heißt „Schönerstädt“ – in Mundart-Sprech. Getragen wird es zu besonderen Anlässen, bei runden Geburtstagen oder anderen Jubiläen. Dann kommt schon mal das ganze Dorf zusammen, zu Stephans Silberhochzeit waren 200 Gäste da.
Ihre Mutter habe sogar im Dorf geheiratet, denn damals hatte Schönerstädt noch ein eigenes Standesamt. „Zur Hochzeit lag davor allerdings ein großer Misthaufen“, erzählt die Tochter und lacht. Das einzige, was bis heute überlebt hat, ist eine Wäscherolle. „Die wird noch rege genutzt“, sagt Stephan. Der Schlüssel werde an einem vereinbarten Platz versteckt, ein paar Euro wandern danach in eine Vertrauenskasse.
Junge Menschen ziehen nach Schönerstädt
Was dem Dorf zu Gute kommt: Auch junge Leute ziehen her, bauen sich neue Häuser, die Altersstruktur ist gemischt. Seit der Wende sei die Einwohnerzahl von Schönerstädt annähernd konstant geblieben, so Madeleine Stephan. „Unser Spielplatz ist voll.“ Und das obwohl Kita und Grundschule in Gersdorf sind, weiterführende Schulen nur in Hartha, Leisnig oder Technitz.
„Von einem halben Jahr bis Mitte 80 haben wir alles da“, sagt auch Rainer Goldammer, der jetzt bei einem der älteren Semester des Dorfes vorbeischaut: Norbert Wozniewski, 81 Jahre alt, bewohnt einen 600 Jahre alten Dreiseithof. Als der gebürtige Dortmunder 1978 aus Leipzig nach Schönerstädt zog, waren die Gebäude in einem kläglichen Zustand. „Sie wurden jahrelang vernachlässigt, es regnete durch das Dach durch“, erinnert sich Wozniewski und zeigt Fotos vom Umbau.
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Norbert Wozniewski bewohnt einen 600 Jahre alten Dreiseithof.
© Quelle: Sven Bartsch
Als er den Putz abgeklopft hatte, trat das ursprüngliche Fachwerk zu Tage – und damit kamen die Auflagen des Denkmalsschutzes. „Ich durfte hier eigentlich nichts verändern“, berichtet der Rentner, der heute mit seiner Frau auf dem Hof lebt und die Gebäude damals nur mühsam nach und nach in Schuss brachte. „Es gab viele Hürden“, berichtet er. Allen voran der Materialmangel in der DDR. „In der Kneipe haben sie gesagt: Entweder der ist verrückt oder der hat Geld.“ Dabei sei weder das eine noch das andere der Fall gewesen, sagt der gelernte Hausmeister und lacht.
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So sah der Dreiseithof aus, als Wozniewski ihn 1978 übernahm. Er brachte das alte Fachwerkhaus eigenhändig wieder auf Vordermann.
© Quelle: privat
Altenheim war früher ein Bordell
Über die so genannte Töpfergasse verlässt Rainer Goldammer jetzt den Dreiseithof, überquert nun den Viehweg, jene Straße, durch die früher die Schafe zum Markt getrieben wurden. Wer diese Straße weiter in Richtung Hartha fährt, passiert das Altenheim, ein Haus mit bewegter Vergangenheit. Das ehemalige Hotel wurde in den 90ern zwischenzeitlich als Bordell genutzt, weiß Madeleine Stephan.
Schönerstädt
Das erste Mal urkundlich erwähnt wird das Dorf 1271, damals als „Schonistat“. Der Name leitet sich von dem Vasallen „Schoneburgk“ ab, der den Ort von Karl dem Großen anvertraut bekam, mit der Aufgabe die deutschen Siedler vor den Slawen zu schützen. Ab 1498 ist dann von „Schonerstadt“ die Rede. Im Mittelalter wird im Ort Markt abgehalten und es werden Gerichtsurteile vollstreckt. 1598 geht das Jahrmarktsrecht allerdings an Geringswalde, Schönerstädt verliert an Bedeutung. 1775 hat der Ort 187 Einwohner, 1884 steigt ihr Zahl auf 210, 1949 leben 178 Menschen im Ort. Heute sind es noch etwa 130.
„Zur Eröffnung wurde das ganze Dorf eingeladen“, erzählt sie. Da sich niemand allein hintraute, gingen die Bewohner geschlossen zur Party. Begrüßt wurden sie mit Freibier und einer „Einlage an der Stange“. „Mehr haben wir aber nicht zu sehen bekommen“, erzählt Stephan und lacht wieder. Lange stand das Haus leer, ehe es 2005 zum Seniorenheim umgebaut wurde.
Heute leben hier 78 pflegebedürftige ältere Leute. „Das Heim ist voll ausgelastet“, sagt Leiterin Simone Gerson. „Die Nachfrage ist sehr groß.“ Im Gegensatz zu anderen Einrichtungen dieser Art gebe es hier ein „familiäres Klima“, so die 52-Jährige.
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Simone Gerson leitet das Pflegeheim in Schönerstädt.
© Quelle: privat
Außerdem bringen Tiere „Lebendigkeit in den Heimalltag“. Vier Ziegen, ein Hund, eine Katze, Wellensittiche und Hasen dürfen bestaunt und zum Teil gestreichelt werden. Sie haben eine wichtige Funktion, erklärt Gerson: Durch das Streicheln werden Emotionen ausgelöst. „Tiere können ganz viel anregen, auch was die Erinnerung angeht.“ Viele ihrer Patienten haben früher eigene Ziegen gefüttert, Katzen und Hunde liefen auf dem Dorf oft frei herum. Die meisten Bewohner stammen aus dem ländlichen Raum.
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Die Bewohner des Altenheims können hier Ziegen füttern und Kaninchen streicheln.
© Quelle: Sven Bartsch
Was in anderen Altenheimen ebenfalls nicht selbstverständlich ist: in jedem der vier Wohnbereiche gibt es zusätzlich zum Pflegepersonal einen Alltagsbegleiter, der mit den Bewohnern spazieren geht und mit ihnen Spiele spielt. Das sei besonders für die dementen Patienten wichtig, bei denen es darum geht, die kognitiven Fähigkeiten anzusprechen und zu erhalten, so Gerson.
Während viele Pflegeheime unter Personalmangel leiden, sagt die Chefin: „Notstand haben wir nicht, aber es ist schwieriger geworden, jemanden zu finden.“ 64 Mitarbeiter sind vor Ort beschäftigt. Gerson wäre froh, wenn sie die ein oder andere qualifizierte Fachkraft dazugewinnen könnte. Sie sucht Personal für ein neues Heim, das demnächst in Hartha geplant ist. Baustart: voraussichtlich Frühling nächsten Jahres.
Pfarrer aus zwei Generationen
Der letzte Stopp des Tages führt wieder zurück in den Dorfkern. Vor der Kirche warten Pfarrerin Susanne Willig und Karlheinz Gerlach, der hier von 1967 bis 99 als Pfarrer tätig war. Der 77-Jährige erinnert sich an die Probleme, die damit zu DDR-Zeiten verbunden waren. Es habe „etliche äußere Schwierigkeiten“ gegeben. So mussten die Kirchennachrichten stets vom Rat des Kreises abgesegnet werden. „Es wurde überprüft, ob da nicht irgendwas Kritisches gegenüber dem Staat drin steht.“ Dafür hatten sie im Ort eine starke junge Gemeinde, so der Ruheständler. Das sei heute bedeutend schwieriger.
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der ehemalige Pfarrer Karlheinz Gerlach und die aktuelle Pfarrerin Susanne Willig in der Kirche von Schönerstädt.
© Quelle: Sven Bartsch
Susanne Willig nickt. „Nach dem Abitur sind die Jungen weg“, klagt die 36-Jährige, die die Gemeinde seit vier Jahren betreut. Alle zwei Wochen findet in Schönerstädt Gottesdienst statt. Acht Leute sitzen dann im Schnitt auf den Kirchenbänken. Karlheinz Gerlach findet: „Es sind die bequemsten weit und breit“ und fügt schmunzelnd hinzu „Das verführt natürlich zum Predigtschlaf.“
Erst Dezember wird es dann wieder voller in der Kirche. Beim Adventstreffen singen die Schönerstädter gemeinsam Weihnachtslieder, natürlich hier – im Mittelpunkt ihres Runddorfes.
Die Kirche „Sankt Margaretha“
Ursprünglich war „Sankt Margaretha“ eine bekannte Wallfahrtskirche. Unter dem Patronat des Benekterinnenklosters Geringswalde erteilten die Geistlichen dort den Ablass, und zwar am 13. Juli, dem Margaretentag. Erst um 1500 – nach der Reformation – war es vorbei mit den Ablassverkäufen.
Der romanische Kirchenbau stammt aus dem 12. oder 13 . Jahrhundert, brannte jedoch 1651 durch Blitzeinschlag ab. Wohl nur das Portal aus Rochlitzer Porphyr ist aus der Zeit noch erhalten geblieben. Der Rest der Kirche wurde 1652 neu gebaut. Den Innenraum schmücken drei Holzfiguren aus dem 14. Jahrhundert, die aller Wahrscheinlichkeit nach von einem Altar einer anderen Kirche stammen. Auffällig ist zudem das bunte Fenster im Altarraum, das 1964 nach einem Entwurf von Christian Rietschel gestaltet wurde. Heute gehört Sankt Margaretha zur Kirchgemeinde Gersdorf.
Von Gina Apitz
LVZ