Rückenschmerzen und Akkordarbeit – LVZ-Reporterin erlebt einen Tag bei der Delitzscher Tafel
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Nach einem Tag mit dem kleinen Transporter der Delitzscher Tafel weiß LVZ-Reporterin Nicole Eyberger, warum sich die Helferinnen und Helfer einen neuen Kühlwagen wünschen.
© Quelle: Nicole Eyberger
Delitzsch. 6 Uhr morgens. Es ist noch dunkel, als Rami Zinhe und sein Kollege Christian Meißner mit leeren Transportern nach Leipzig unterwegs sind. Wie jeden Tag sind die beiden Fahrzeuge nach dem Besuch beim Großmarkt dann um rund 200 Kilogramm schwerer. Ihre heutige Ladung: 180 Kilo gespendete Pommes in Plastiktüten, dazu etwas Obst und Gemüse.
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Seit einem halben Jahr hilft Rami der Tafel in Delitzsch bei den täglichen Spendensammlungen und Essensauslieferungen. Ehrenamtlich. Ein Knochenjob, findet der 36-Jährige. „Aber muss ja.“ Von 6 Uhr morgens bis in den Nachmittag schafft er palettenweise Lebensmittel von A nach B, schleppt Kisten und spielt Tetris mit dem Ladevolumen seines Fiat-Transporters. Heute nimmt er mich mit.
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Rami Zinhe hilft der Delitzscher Tafel seit einem halben Jahr dabei, Spenden zu sammeln und Lebensmittel auszufahren.
© Quelle: Nicole Eyberger
„So geht uns regelmäßig Essen durch die Lappen“
Es herrscht Trubel, als die zwei Männer nach rund 50 Kilometern Fahrt und ein paar Stunden nach Arbeitsbeginn mit ihrer 200-Kilo-Ladung im Tafellager aufkreuzen. Teamleiterin Ramona Horber ist überall gleichzeitig. Sie koordiniert, delegiert, organisiert und sagt: „Keine Pause jetzt.“
Ständig klingelt ihr Telefon. Wenn jetzt ein Anruf für eine spontane Spende kommt, muss sie Zeit schinden – oder das Angebot vorbeiziehen lassen. Denn ihre beiden Transporter sind durchgetaktet: Für Sammlungen und Auslieferungen in Delitzsch, Eilenburg, Laußig und Schkeuditz. „Mit einem dritten Auto könnten wir auch mal ungeplante Spenden abholen“, sagt die Teamchefin. „Aber so geht uns regelmäßig Essen durch die Lappen.“
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Für Rami, seinen Kühltransporter und mich geht’s also direkt weiter: Spenden in Delitzsch einsammeln. Eine Kiste Backwaren beim ersten Bäcker, 13 Kisten beim zweiten. Auf der Rückseite der Discounter-Läden schwingt sich Rami auf die Laderampen, kniet sich auf den Beton und sortiert die Lebensmittel. „Schau mal, diese Orange schimmelt schon!“ Ab in die Box für den Müll.
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Beim Bäcker sammeln die Helfer der Tafel Delitzsch gespendete Backwaren ein.
© Quelle: Nicole Eyberger
So bleiben von drei Spendenkisten manchmal nur noch zwei übrig. „Heute war nicht so viel dabei“, sagt er nach dem letzten Halt, springt von der Laderampe und stopft die Behälter in das trotzdem schon recht volle Fahrzeug.
Zurück im Lager steht schon die nächste Palette bereit. Kisten mit Salat, Brot und Joghurt – fertig gepackt für die ersten Kundinnen und Kunden des Tages. Die sind nicht mehr mobil und erhalten die Lebensmittel deshalb geliefert. Also schnell die frischen Spenden raus, fertige Essenspakete rein.
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Die Kisten mit Lebensmitteln wurden im Lager der Tafel gepackt und können nun an die Kundinnen und Kunden verteilt werden.
© Quelle: Nicole Eyberger
Im kleinen Transporter heißt es: Tetris spielen mit krummem Rücken
„Heute haben wir Pech“, sagt Rami während er eine Kiste in den Laderaum entgegen nimmt. „Wir haben den kleinen Transporter.“ Im Laderaum schiebt er die schweren Kisten in gebückter Haltung umher. „Man muss aufpassen, dass man sich nicht den Rücken kaputt macht. Oder Lebensmittel beim Stapeln zerdrückt.“ Rami justiert die Ladung ein letztes Mal, bevor er rausklettert und sich dabei die Wirbelsäule reibt.
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Kollege Hosam Alawashi hilft beim Einräumen der Ladung. Aufgrund des geringen Platzes im kleinen Transporter geht das nur in gebückter Haltung.
© Quelle: Nicole Eyberger
„Vergiss die Ananas nicht!“ Ein Kollege schiebt noch schnell ein paar Kisten der Tropenfrüchte auf den verbleibenden Platz im Transporter. Eine letzte Einweisung zur heutigen Route in und um Delitzsch und der Wagen rollt aus der Einfahrt. Dann läuft alles im Akkord: Adresse raussuchen, parken, aussteigen. Schiebetür auf, in den Laderaum klettern, Kiste suchen. Vom Auto zur Haustür tragen, mit dem Ellenbogen klingeln, die Treppe hoch und abstellen. Zurück zum Auto. Entschuldigung, Halt: „Ich habe Ihre Ananas vergessen!“ Zurückgerannt. „Hier, bitte!“ – „Danke“. Wieder im Auto. Ein paar Straßen weiter: alles von vorn, alles schnell. Puh. „Aber muss ja“, klingen mir Ramis Worte in den Ohren.
Die Kräfte schwinden
Spätestens nach der dritten Lieferung werden alle noch so motivierten Bewegungen langsamer, die Abläufe durchdachter. ERST die richtige Kiste finden, DANN in den viel zu niedrigen Laderaum klettern! Kiste abstellen beim Warten vor der Haustür! „Vergiss die Ananas nicht!“ – unser heutiges Mantra. Jedes unnötige In-den-Laderaum-Klettern will vermieden werden. Die Schiebetür des Transporters ist wegen schwindender Kräfte erst nach dem dritten Versuch richtig zu.
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Als die letzte Kiste raus ist: Durchatmen, Feierabend. Rami sinkt in den Fahrersessel. „Hast du eigentlich ein Auto?“ Eine Zigarette lang geht es nicht um Spenden, Kisten und schmerzende Rücken. Früher, in Syrien, hat Rami 13 Jahre lang als Automechaniker gearbeitet. Um in Deutschland seinem Beruf nachgehen zu können, müsste er eine anerkannte Ausbildung vorweisen, sagt er. Die hat er nicht. Das Schrauben ist deshalb zum Hobby geworden. „Ich helfe sehr gern bei der Tafel, denn wir übernehmen eine wichtige Aufgabe für die Leute hier“, sagt der Delitzscher. „Aber es ist gut, auch ein Hobby für den Ausgleich zu haben.“ Ob er heute noch an seinen Projekten herumschraubt? „Nein. Erstmal duschen, dann nur noch ausruhen.“ Ich glaube, ich muss das gleiche tun.
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Von Nicole Eyberger