Geflüchtete in Nordsachsen aufnehmen: Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten
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Viele Geflüchtete erreichen die Region über den Leipziger Hauptbahnhof.
© Quelle: Matthias Puppe
Nordsachsen. Angesichts des Kriegs in der Ukraine stellen viele Menschen auch in Nordsachsen Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung, oder bieten gar einen Schlafplatz bei sich zu Hause an. Doch was gilt es dabei zu beachten? Experten aus der Region geben Antworten auf wichtige Fragen.
Der Impuls zu helfen ist bei vielen Menschen groß. Welche Überlegungen sollten aber unbedingt getroffen werden, bevor Wohnraum angeboten wird?
Einiges, konstatiert der Flüchtlingssozialarbeiter Stefan Krippendorf, der seine Antworten mit der Koordinierungsgruppe der „Flüchtlingshilfe Eilenburg“ abgestimmt hat. „Die Menschen, die derzeit das Kriegsgebiet verlassen und in Deutschland Schutz suchen, haben oft furchtbare Erfahrungen machen müssen“, erklärt er. Viele hätten Familienmitglieder im Krieg zurückgelassen und sorgten sich nun um deren Leben. „Dem Umgang mit möglicherweise traumatisierten Menschen sollte man sich als Gastgeber gewachsen fühlen. Das bedeutet, dass man sich fragen sollte, ob man auch mit psychisch belastenden Situationen wie Weinen, Trauer, Depression oder Schlaflosigkeit umgehen kann“, so Krippendorf. Auch solle man davon ausgehen, dass ganz banal mehr Leben in die eigenen vier Wänden einkehre und man aufeinander Rücksicht nehmen müsse.
Wie kann ich in Nordsachsen eine Unterkunft für Geflüchtete zur Verfügung stellen?
In Nordsachsen werden die Angebote vom Landratsamt über die zentrale E-Mail-Adresse ukraine@lra-nordsachsen.de gesammelt. Nach dem Erstkontakt melden sich Mitarbeiter des Amtes für Migration und Ausländerrecht, um alles Weitere zu besprechen.
Welche Voraussetzungen muss der Wohnraum erfüllen, um geeignet zu sein? Ist das Sofa im Wohnzimmer überhaupt eine Option?
Eine angebotene Wohnung sollte laut dem Landratsamt den gängigen Standards mit Bad, Küche und einem Wohnraum mit Heizung entsprechen. Die gemeinsame Nutzung von Küchen oder Bädern sei vorübergehend akzeptabel, aber kein dauerhafter Zustand. „Die Unterbringung sollte schon die Möglichkeit einer Privatsphäre bieten, mit Rückzugsmöglichkeiten oder einem abschließbaren eigenen Bereich“, erklärt auch Krippendorf. Eine provisorische Unterkunft sei nur als absolute Nothilfe zur Bewahrung vor Obdachlosigkeit sinnvoll.
Muss ich meinen Vermieter über die Aufnahme von Geflüchteten informieren?
Für wenige Wochen darf man Geflüchtete ohne weiteres als Gäste in seiner Wohnung beherbergen, erklärt Stefan Krippendorf. Gehe es aber um eine längere Aufnahme, brauche es dazu grundsätzlich die Erlaubnis des Vermieters. Der solle dann unbedingt informiert werden, heißt es auch vom Landratsamt. Sofern eine Untervermietung angedacht ist, müsse diese im Mietvertrag erlaubt sein. Ansonsten könne der Vermieter die Untervermietung versagen oder gar bei Verstoß den Mietvertrag kündigen.
Inwieweit spielt meine eigene finanzielle Lage eine Rolle? Muss ich in der Lage sein, weitere Personen mitzuversorgen?
Für Miete und Nebenkosten werden Vereinbarungen mit dem Amt für Migration und Ausländerrecht geschlossen, heißt es von Seiten des Landratsamts. Darüber hinaus erwartet Helfende, die Menschen aus der Ukraine bei sich aufnehmen, allerdings eher keine staatliche Unterstützung, stellt Stefan Krippendorf fest. Stattdessen könnten Geflüchtete selbst Leistungen erhalten, falls ihre eigenen Mittel nicht ausreichen. Zwingend notwendig dafür sei eine Anmeldung beim Amt für Migration und Ausländerrecht des Landratsamts. Die Vorregistrierung erfolge online über das Bürgerbeteiligungsportal des Freistaates, danach gebe es einen Termin zur eigentlichen Registrierung. Krippendorfs Erfahrung nach könne das drei bis sechs Wochen dauern. In dieser Zeit sei der Vertriebene auf eigene Mittel und die Hilfe der Unterbringenden angewiesen. Teilweise gebe es allerdings die Möglichkeit auf die Auszahlung von Vorschüssen – eine solche werde momentan etwa bei der Stadtverwaltung Eilenburg geschaffen.
Wie sieht es aus, wenn ich Geld vorstrecke? Beispielsweise für Arztbesuche, Kleidung oder Lebensmittel?
Rückwirkende Erstattungen sind nicht möglich, erklärt das Landratsamts Nordsachsen. Medizinischer Behandlungsbedarf solle stattdessen direkt per Mail an ukraine@lra-nordsachsen.de angezeigt werden. Am gleichen Tag noch folge dann die Antwort mit einer Kostenübernahmeerklärung. Bei Bezug von Sozialleistungen hätten Geflüchtete zudem Ansprüche auf medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Welche Behördengänge kommen auf mich und meine Gäste zu?
Grundsätzlich ist ein Aufenthalt von bis zu 90 Tagen zulässig. Geflüchtete Menschen sollten sich trotzdem über das Meldeportal auf der Homepage des Landratsamts Nordsachsen registrieren. Das ermöglicht die Kontaktaufnahme bei Unterstützungsbedarf und ist Voraussetzung für einen Aufenthalt über 90 Tage. Bei technischen Schwierigkeiten gibt man – so die Angaben des Landratsamts – eine Kopie des Passdokuments mit Vermerken zu Kontaktdaten und derzeitigem Aufenthaltsort in einem der Bürgerbüros des Landratsamts in Oschatz, Torgau, Eilenburg oder Delitzsch ab.
Wenn Geflüchtete länger als drei Monate (oder nach beantragter Verlängerung auch sechs Monate) in Deutschland bleiben möchten, ist die Anmeldung und die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis verpflichtend. Laut Stefan Krippendorf ist das allerdings eine rein formelle Angelegenheit, die Aufenthaltserlaubnis werde ganz unbürokratisch zunächst für ein Jahr ausgestellt. Zu beachten sei ferner, dass für unbegleitete Kinder und Jugendliche immer das Jugendamt zuständig ist.
Was kann ich tun, um den Menschen das Ankommen zu erleichtern?
Die Leute kommen zum Teil nur mit dem, was sie angezogen hatten, und einer kleinen Tasche voller Papiere, erklärt Barbara Paul, die in Bad Düben für die Koordinierung der Wohnungsvergaben an Geflüchtete zuständig ist. „Kinder, Eltern, Oma – haben teilweise gar nichts. Ich sage den Quartierseltern oft, dass sie sich in die Situation hereinversetzen sollen. Was würden sie sich selbst wünschen, wenn sie nach der langen Reise zu fremden Menschen kommen?“ Eine nette Geste sei es, das Bett zu beziehen und zumindest einen Grundstock im Kühlschrank bereit zu stellen. Auch Hygieneartikel und Handtücher für das Badezimmer seien eine gute Idee.
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An wen kann ich mich wenden, wenn Probleme auftauchen, mit denen ich nicht gerechnet habe?
Es gibt in den Bereichen der Altkreise Torgau/Oschatz und Delitzsch Flüchtlingssozialarbeiter, die für solche Anfragen zuständig sind, teilt das Landratsamt mit. Gern helfe aber auch das Sachgebiet Integration beim Landratsamt Nordsachsen. Für die Kontaktaufnahme empfehle sich generell die EMail-Adresse: ukraine@lra-nordsachsen.de.
Wie kann ich mir darüber hinaus Unterstützung suchen?
Viele Städte sowie der Landkreis Nordsachsen bieten Informationen und Hilfestellungen auf ihren Internetseiten an. "Wir empfehlen, sich einem regionalen Helfernetzwerk anzuschließen", sagt Stefan Krippendorf. In der "Flüchtlingshilfe Eilenburg" hätten sich zum Beispiel professionelle und ehrenamtliche Helfer zusammengefunden und vernetzt. Involviert seien auch ukrainischstämmige Menschen mit sehr guten Deutschkenntnissen. Das nächste Treffen finde am 22. März 2022 um 18 Uhr im Mehrgenerationenhaus Arche Eilenburg (ukrainehilfe@arche-eilenburg.de) statt. Um die Verständigung zu vereinfachen, empfiehlt Krippendorf zudem Hilfsmittel wie den Google Übersetzer oder kostenlose Angebote von Verlagen.
Zu den Geflüchteten gehören häufig Frauen und Kinder. Gibt es Maßnahmen, um diese zu schützen?
Es werde versucht, Frauen und Kinder in Wohnungen unterzubringen, schreibt das Landratsamt. Zudem seien in Gemeinschaftseinrichtungen über Nacht Security-Kräfte vorgesehen. Es werde auch darauf geachtet, wer welche Form von Wohnraum inseriere. Das eine oder andere Angebot habe das Landratsamt aus Vorsicht schon abgelehnt.
Von Hanna Gerwig