Hohenossig ist wieder Mekka für Künstler
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Als Drucker und Künstler begutachten Katja Zwirnmann, Reinhard Rössler, Fulvio Ioan, Ulysses Belz, Soenke Thaden, Karla Neumyer, Robert Schmiedel und Jeanette Rössler (von links) erste Arbeiten.
© Quelle: Wolfgang Sens
Hohenossig. Am schönsten ist’s in der Druckwerkstatt. Dort ist es kühl. Da faszinieren die alten Druckmaschinen, hängen Plakate der vorangegangenen Jahre an den Wänden. Im Flachbau neben dem Künstlerhaus Hohenossig (Gemeinde Krostitz) kommt die Wärme des Hitzesommers durch die weit offenen Fenster und es sieht weniger spektakulär aus. Auf den ersten Blick jedenfalls. Fünf Menschen teilen sich hier für vier Wochen zwei große Arbeitsräume. Sie sitzen an Bürotischen zumeist über Metallplatten, über die Metallstifte kratzen. Die Gräben in der Lackoberfläche geben vor, wo später Säure kleine Gruben ins Metall ätzt und wo sich später auf dem Papier Farbe konzentrieren soll, wo aus Linien und Flächen Welten und Geschichten entstehen. Doch wie die Arbeit tatsächlich wirkt, zeigt sich erst im Druck. Ein spannender Moment. „Der Aha-Effekt ist immer wieder da. Bei jedem Blatt, das man hochhebt, steigt der Adrenalinpegel“, sagt Jeanette Rössler, während sie eine der Arbeiten aus der Presse nimmt.
Sächsisches Druckgrafik-Symposion
Die Rösslers sind Veranstalter des Sächsischen Druckgrafik-Symposions, das von Landes- und kommunalen Institutionen gefördert wird. In diesem Jahr erlebt es die 28. Auflage und hat erneut fünf Frauen und Männer für vier Wochen in Hohenossig zusammengeführt. Eine Jury wählt die Teilnehmer jeweils unter den Bewerbern aus. Künstler mit ganz unterschiedlichen Formensprachen und Ideen arbeiten und wohnen zusammen.
Die für die Bewerbung eingereichten Werke sind derzeit in der Galerie des Künstlerhauses zu besichtigen. Die von Ulysses Belz zum Beispiel, der auf Mallorca und in Bayern wohnt, Jahrgang 1958 ist, und von sich sagt, dass er für „diese Art Workshop eigentlich schon zu alt“ ist. Doch gerade deshalb sei für ihn die Möglichkeit, Kollegen bei der Arbeit zu erleben, so spannend, genießt er den nordsächsischen Hitzesommer nun so wie den andalusischen.
Seine aktuellen Werke erinnern an technische Darstellungen. Unterschiedlich lange senkrechte Linien können sich da entlang einer Horizontalen formieren. Eine Landschaft? Die grafische Darstellung einer Tonaufzeichnung? Andere Bild-Elemente erinnern an Oszillographen-Kurven oder an Gen-Bestimmungs-Strichcodes.
Gemeinsame Arbeit
Für Soenke Thaden aus Leipzig liegt die Erfahrung der gemeinsamen Atelier-Arbeit noch nicht so lange zurück. „Ich hatte mich schon im vorigen Jahr beworben. Aber damals war ich noch im Studium. Das ist ein Ausschlusskriterium.“ Auch auf der Grafik, an der er arbeite, geht’s tierisch zu: Eine Ratte erbeutet eine Gottesanbeterin. Hochhäuser schauen mit vielen Fenstern durchs Geäst auf die Szenerie.
Die dritte im gemeinsamen Arbeitsraum für vier Wochen ist Katja Zwirnmann, ebenfalls aus Leipzig und ebenfalls gerade am Tier arbeitend: Hier ist es ein Rasselbock. Das Scherzmischwesen aus Hase und Rehbock wird von einem Spruch aus einem Eichendorff-Gedicht umkränzt: „Da draußen, stets betrogen, saust die geschäft’ge Welt.“
Katastrophen in der Märchenwelt
Nebenan hat Fulvio Ioan in den Morgenstunden den Raum erst einmal für sich. Denn Karla Neumeyer, die sich den Künstlernamen Orlando nach einer Romanfigur von Virgina Woolf gegeben hat, ist draußen. Sie hat es sich in bisherigen Symposionstagen zum Ritual gemacht, vor Ort nachzuspüren, wie die Rinde der Bäume wirbelnd, windend wächst, um die Betrachtungen unmittelbar auf kleine Metallplatten zu übertragen. Ihr aktueller Atelierraum-Mitbenutzer indessen hat sich auf die Spuren der Märchenwelt und deren Katastrophen begeben. Der Italiener wechselt gerade von der Kaltnadelradierung auf Linolschnitt. „Ah, jetzt wird es wahrscheinlich bunt“, vermutet Reinhard Rössler. Die Verständigung läuft auf Englisch. Italienisch, die Muttersprache von Fulvio Ioan, beherrschen die Rösslers leider nicht.
Ihre Arbeit wird über die Künstler international präsent. „Sie sind sehr bekannt für die Qualität“, erklärt Ulysses Belz. Er hat auch schon vor dem Symposion Arbeiten in dieser Werkstatt drucken lassen. „Das ist wie bei einem Komponisten, der seine Stücke macht und sich dann riesig freut, wenn sie mit großem Können aufgeführt werden. Da kann man schon mal in Tränen ausbrechen“, beschreibt er die Leistungen, die im Krostitzer Ortsteil hervorgebracht werden.
Herrliche vier Wochen
Dabei stehen den Künstlern in der Zeit des Symposions nicht allein die Rösslers für die drucktechnische Umsetzung zur Seite. In diesem Jahr gehört unter anderem Robert Schmiedel zur Riege der technisch-künstlerischen Helfer. Er hat selbst 2001 am Symposion teilgenommen. Zu sehen, wie die Kollegen ihre Arbeiten entstehen lassen, sei zum einen hochinteressant, zum anderen kann der eine oder andere natürlich hier auch immer wieder Neues lernen. Er erinnert sich an diese Zeit immer noch an „herrliche vier Wochen“.
„Es ist phänomenal, welche Intensität entsteht, wenn man sich ausschließlich auf die Arbeit konzentrieren kann“, bringt es Katja Zwirnmann auf den Punkt. In einem eigenen Atelier mag es ruhig sein, aber niemand hilft beim all den handwerklichen Schritten, mit denen die Grafik aufs Papier kommt. „In den vier Wochen entstehen von jedem guten Blatt drei Exemplare. Die bekommen die Künstler mit nach Hause und die Druckstöcke natürlich auch“, erklärt Reinhard Rössler. Der Öffentlichkeit werden die im Sommer entstandenen Arbeiten dann im November in Leipzig in einer Ausstellung gezeigt.
Die eingereichten Arbeiten sind zu den Öffnungszeiten in der Galerie des Künstlerhauses zu besichtigen. Künstlerhaus Hohenossig, Roter Weg 5, geöffnet dienstags bis freitags von 10 bis 13 und 15 bis 18 Uhr sowie sonnabends und sonntags nach Vereinbarung, Telefon 034294 73278.
Von Heike Liesaus