Kai Emanuel: Erst Infrastruktur, dann Braunkohleausstieg – das war und ist mein Credo
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Nordsachsens Landrat Kai Emanuel.
© Quelle: Wolfgang Sens
Nordsachsen. Kai Emanuel (parteilos) ist seit August 2015 Landrat des Landkreises Nordsachsen. Im Interview mit dieser Zeitung blickt der 51-Jährige auf die vergangenen zwölf Monate zurück und spricht über Schwerpunktthemen wie Breitband-Ausbau, Glascampus, Kohleausstieg und Öffentlichen Personennahverkehr.
„In unseren Breitband-Ausbaugebieten will ich 2019 die Bagger anrollen sehen“, haben wir vor einem Jahr getitelt. Was ist daraus geworden? Wo steht Nordsachsen heute?
Die Schlagzeile hat gehalten: In allen sechs Ausbaugebieten rollen die Bagger. Mehr noch: Kurz vor Weihnachten gingen im Raum Jesewitz die ersten hundert Haushalte an das neue Glasfasernetz.
Bis Ende 2020 werden alle Einwohner Nordsachsens in der Lage sein, mit einer Download-Geschwindigkeit von mindestens 30 mbit/s im Internet unterwegs zu sein. Steht die Aussage?
Der Breitband-Ausbau in den förderfähigen Gebieten, wo weniger als 30 Megabit pro Sekunde zur Verfügung standen, läuft auf Hochtouren. Am 31. Dezember 2020 endet der Förderzeitraum, bis dahin müssen die Arbeiten abgeschlossen sein. Das Anschließen der einzelnen Haushalte ist dann Sache der Telekom. Sobald die Hochleistungszugänge genutzt werden können, informiert die Telekom per Postwurfsendung. Wer die schnellen Internetgeschwindigkeiten mit bis zu 1 Gigabit pro Sekunde haben möchte, muss dann selbst aktiv werden und den Vertrag mit seinem jeweiligen Telekommunikationsanbieter entsprechend anpassen.
Die Projektidee der 5G-Leitstelle für automatisierte Fahrzeuge aus dem Landkreis Nordsachsen wird mit 100 000 Euro gefördert. Bis Mitte 2020 soll der Landkreis ein Konzept erarbeiten. Was ist Inhalt dieses Konzeptes?
Das Konzept soll innovative Ideen dafür entwickeln, wie sich ein automatisierter Bus wirtschaftlich und sicher betreiben lässt. Die Rechtslage ist ja so, dass im Notfall immer ein Mensch die Steuerung des Fahrzeugs übernehmen muss. Wenn aus diesem Grund in jedem autonomen Bus ein ausgebildeter Busfahrer mitfährt, können wir das Ganze auch lassen.
Was lässt sich mit 100 000 Euro auf diesem Gebiet umsetzen?
Die Fördermittel werden für die Umsetzung der Konzeptidee gebraucht. Diese könnte beispielsweise darin bestehen, das Fahrzeug gegebenenfalls von der Leitstelle per Hand-Fernsteuerung bedienen zu können. Aber da will ich nicht vorgreifen, das wird jetzt genau geprüft.
Was ist in den vergangenen zwölf Monaten mit der zukunftsorientierten Straßenverbindung „Milau-Magistrale“, die möglichst zeitnah das Mitteldeutsche und das Lausitzer Revier verbinden soll, passiert?
Erst Infrastruktur, dann Braunkohleausstieg – das war und ist mein Credo. Darum haben wir bereits von der MiLau gesprochen, als noch gar nicht klar war, wann der Ausstieg kommen würde. Seit einem Jahr wissen wir nun, dass er bis 2038 vollzogen sein soll. Dafür gibt es ein Kohleausstiegsgesetz, und in dem steht die MiLau drin – für uns ein Riesenerfolg. Das Bundeskabinett wollte das Gesetz im Januar 2020 verabschieden. Ich hoffe, es bleibt dabei. Wenn die MiLau Gesetzeskraft bekommt, wird sie ordentlich Fahrt aufnehmen.
Der Glascampus Torgau ist im vergangenen Jahr gestartet, wie zufrieden sind Sie nach den ersten Monaten?
Von der Idee bis zur Eröffnung des Glascampus am Berufsschulzentrum Torgau verging gerade mal ein Jahr. Das ist rekordverdächtig. Jetzt geht es darum, die Fachkräfteinitiative langfristig zu etablieren und das Berufsschulzentrum zum Kompetenzzentrum Glas in Sachsen zu machen. Inzwischen haben die ersten Kurse begonnen, ein Beirat wurde konstituiert, eine frische Webseite ist online und eine neue Stadtbuslinie steuert das Gewerbegebiet mit Flachglaswerk und Berufsschule an.
Die Großleitstelle in Leipzig bleibt in der Kritik. Es soll Bestrebungen der Landkreise für eine Rolle rückwärts geben? Wie steht es darum?
2015 wurde die Integrierte Regionalleitstelle in Betrieb genommen, Mitte 2016 der Landkreis Nordsachsen eingebunden. Der Leitstellenbetrieb obliegt der Stadt Leipzig. Regelmäßig finden Beratungen auf verschiedenen Ebenen statt. Unsere Wehrleiter und Notärzte stehen im Austausch mit der Leitstelle und entwickeln die Arbeitsabläufe im Gesamtprozess von Anruf über Disponierung und Alarmierung bis hin zur Abwicklung des Einsatzes vor Ort kontinuierlich weiter. Die Thematisierung von Kritik schließt das natürlich mit ein.
Was bedeutet die sächsische Kenia-Koalition für den Landkreis Nordsachsen?
Das werde ich Ihnen nach deren Legislaturperiode sagen können. Zunächst gibt es einige neue Gesichter und Ansprechpartner, die sich aufeinander einstellen müssen. Ansonsten gilt das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung. Dass der ländliche Raum mehr Beachtung finden soll, höre ich natürlich gern. Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ der Bundesregierung hat dazu Handlungsempfehlungen gegeben. Ich erwarte von der neuen Staatsregierung, dass sie diese Aufgaben nun auch angeht.
Die Wirtschaft buhlt und wirbt um Fachkräfte, das Handwerk sowieso. Wie ist die Fachkräftesituation in der Landkreisverwaltung?
Mittlerweile haben wir in Nordsachsen de facto Vollbeschäftigung. Folglich müssen sich die Arbeitgeber etwas einfallen lassen, um für Fachkräfte attraktiv zu sein. Das geht der Landkreisverwaltung nicht anders als den Unternehmen.
Der Landkreis Nordsachsen hat jetzt die Chance, das Einsammeln von Leichtverpackungen zu vereinheitlichen. Gelber Sack oder Gelbe Tonne: Welches System ist Ihr Favorit?
Als Delitzscher bin ich an die Gelbe Tonne gewöhnt. Die gibt es auch in Schkeuditz und Taucha, ansonsten wird im Landkreis vor allem der Gelbe Sack verwendet. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile. Die Tonne zum Beispiel bietet nur ein begrenztes Volumen und braucht Stellfläche, dafür schützt sie vor Verschmutzungen durch Witterungseinflüsse oder Wildtiere. Der durchsichtige Sack wiederum enthält deutlich weniger Fremdabfälle, die zur Annahmeverweigerung führen können. Seitens des Dualen Systems wird deshalb mit Blick auf die Recyclingquote der Gelbe Sack favorisiert. Wir haben unsere Kommunen nach ihrer Meinung gefragt: 90 Prozent würden lieber beim Gelben Sack bleiben. Und wo es die Gelbe Tonne gibt, wünscht hingegen keiner die Umstellung auf den Gelben Sack. Es gibt hier also keinen Handlungsdruck.
Was sind weitere Schwerpunkte und Höhepunkte Ihrer Arbeit in diesem Jahr?
Um nur einige Beispiele zu nennen: Der ÖPNV ist und bleibt ein Dauerbrenner. Gerade haben wir im Kreistag den Nahverkehrsplan bis 2024 verabschiedet. Mit „Nordsachsen bewegt“ sorgen wir für mehr Mobilität – bedarfsgerecht und gut vertaktet. Fachübergreifend arbeiten wir ebenso intensiv am Kreisentwicklungskonzept für ganz Nordsachsen. Parallel dazu müssen wir das Landratsamt zukunftsfit machen. „Zukunftsstrategie 2030“ und „Digitale Verwaltung“ heißen hier die Stichworte.
Das Thema Asyl bleibt im Gespräch, auch wenn es darum leiser geworden ist. Wie ist die aktuelle Situation in Nordsachsen. Wie viele Asylbewerber leben hier, wie viele sollen in diesem Jahr kommen?
In unserem Landkreis mit seinen knapp 200 000 Einwohnern leben rund 1250 Asylbewerber und Geduldete. Diese Zahl ist seit längerer Zeit nahezu konstant, darum werden auch nicht mehr so viele Unterkünfte benötigt. Von „Flüchtlingswelle“ und „Flüchtlingskrise“ kann derzeit keine Rede sein. Im Vordergrund stehen jetzt stärker Integration oder auch Rückführung in die Heimatländer.
Was wünschen Sie sich für 2020?
Zunächst einmal das, was sich privat und beruflich die meisten Menschen gegenseitig zum Jahreswechsel wünschen: Gesundheit, Glück und Erfolg. Ich freue mich auch in diesem Jahr aufs Gestalten, Bewegen, Voranbringen – hier in Nordsachsen, wo ich geboren und zuhause bin.
Von Frank Pfütze
LVZ