Verwaltung spricht von Versehen

Calbitz: Fällung von über 200 Jahre altem Maulbeerbaum genehmigt – Anwohner protestieren

Ein vermutlich mehr als 200 Jahre alter Maulbeerbaum im Wermsdorfer Ortsteil Calbitz wäre beinahe komplett gefällt worden. Nur die Intervention von Einwohnern verhinderte das.

Ein vermutlich mehr als 200 Jahre alter Maulbeerbaum im Wermsdorfer Ortsteil Calbitz wäre beinahe komplett gefällt worden. Nur die Intervention von Einwohnern verhinderte das.

Calbitz. Fallende Äste und Motorsägen haben in Calbitz für Aufsehen gesorgt. Kein Wunder, denn es wurde nicht irgendwo die Säge angesetzt, sondern ausgerechnet an einem mehr als 200 Jahre alten Maulbeerbaum mitten im Ort. Dabei gab es dafür hochoffiziell sogar eine Fällgenehmigung. Ein Versehen, wie es aus der Wermsdorfer Gemeindeverwaltung heißt.

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„Erschütternd“, sei es gewesen, als es an die Fällarbeiten ging, berichten Anwohner. Auch beim Calbitzer Heimatverein war man geschockt von den Plänen. „Das ist ein Drama“, heißt es von dort. Immerhin gehe es nicht um einen beliebigen Baum, sondern um einen, der durchaus historische Bedeutung hat für das Dorf.

Der Maulbeerbaum in der Calbitzer Ortsmitte soll mehr als 200 Jahre alt sein.

Der Maulbeerbaum in der Calbitzer Ortsmitte soll mehr als 200 Jahre alt sein.

Das weiß auch Christel Wawrzetzka. Die Calbitzerin hat über viele Jahre hinweg Fakten und Anekdoten rund um die Ortsgeschichte zusammengetragen und ist dabei auch immer wieder auf den besonderen Baum am einstigen Gasthof „Drei Lilien“ gestoßen. „Das ist der einzige Maulbeerbaum weit und breit“, weiß sie. Allerdings sei die Herkunft des Gehölzes ein Rätsel, räumt sie ein.

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Französische Truppen ziehen durch Oschatzer Region

Immerhin ist mündlich überliefert, dass diese Weiße Maulbeere im Oktober 1813 als nur wenige Jahre altes Bäumchen in Calbitz gepflanzt worden sein soll. Berichtet wird in der Ortsgeschichte, dass französische Soldaten, die wegen der Völkerschlacht bei Leipzig durch die Region unterwegs waren, im Gasthof übernachteten und den Baum zum Dank in Calbitz gelassen hatten. Angeblich gehört er damit zu den ältesten Maulbeerbäumen in Sachsen. Der Weiße Maulbeerbaum stammt ursprünglich aus China und ist das wichtigste Gehölz für die Zucht von Seidenraupen.

Ein Hinweisschild auf die geschichtsträchtige Pflanzung, Art und Alter des Gehölzes gibt es bislang aber nicht vor Ort. Andernfalls wäre die Säge-Aktion vermutlich gar nicht erst möglich geworden.

Gemeinde Wermsdorf erteilt Genehmigung zum Fällen

Dies sei keineswegs in böser Absicht geschehen, versichert man auf Nachfrage im Wermsdorfer Gemeindeamt. Schließlich war die in Angriff genommene Fällung keine Nacht-und-Nebel-Aktion, sondern sogar offiziell genehmigt. Wermsdorfs Bürgermeister Matthias Müller (CDU) bestätigt, dass die Kommune dafür die nötige Erlaubnis ausgestellt hat. „Ich wusste nicht, dass dort einer der ältesten Maulbeerbäume Sachsens steht, und den neuen Eigentümern des Grundstücks war das ebenso wenig bekannt“, erklärt er.

Nachdem durch starken Wind zuletzt Äste abgebrochen waren, sollte der Baum gefällt werden.

Nachdem durch starken Wind zuletzt Äste abgebrochen waren, sollte der Baum gefällt werden.

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Tatsächlich habe es zuvor sogar einen Vor-Ort-Termin gegeben, weil nach dem letzten starken Wind Äste abgebrochen waren. Außerdem habe man festgestellt, dass der Stamm zumindest teilweise hohl und bis in die Krone aufgerissen war. Dazu gab es noch Faulstellen und Schäden durch Insekten. Das alles und die Gefahr für die Sicherheit, direkt an der Straße, habe für eine Fällgenehmigung gesprochen, so der Bürgermeister. „Wir haben auch im Landratsamt nachgefragt, doch weder Untere Naturschutzbehörde noch Untere Denkmalschutzbehörde hatten Einwände“, sagte er.

Baum in Calbitz nicht als Naturdenkmal ausgewiesen

Der Baum sei nicht als Natur- oder sonstiges Denkmal eingestuft. Außerdem sei die Rolle des Baumes in der Geschichte des Ortes nicht bekannt gewesen. Als dann die Arbeiten begannen, habe das schnell für Aufsehen im Ort gesorgt. Der Bürgermeister berichtet von einigen Anrufen und E-Mails, die die Verwaltung prompt erhalten habe. Daraufhin habe man umgehend reagiert, Kontakt zu den Eigentümern aufgenommen, und die weiteren Arbeiten wurden beendet.

Das, was jetzt noch steht, ist ein Teil des Stammes mit einem weiteren Astansatz. Von der einst ausladenden Krone ist nichts übriggeblieben. Doch das könnte sich wieder ändern, hofft man vor Ort. Ruhende Knospenanlagen, sogenannte schlafende Augen, und Austriebe am Stamm würden den Schluss zulassen, dass der Calbitzer Maulbeerbaum neu austreiben wird – für einen zweiten Frühling nach mehr als 200 Jahren. Außerdem sei eine Fachfirma bereits vor Ort gewesen, die die Schnittstellen versorgt hat, heißt es aus der Gemeindeverwaltung. Zudem wandere das Gehölz auf die Liste für die jährliche Baumschau.

Bedeutung des Baumes ist angekommen

„Wir wussten einfach nicht um die Bedeutung dieses Baumes, das ist sehr bedauerlich“, sagt Wermsdorfs Bürgermeister Matthias Müller. Dabei sei er dankbar für die Hinweise aus dem Ort und die Verbundenheit der Calbitzer mit dem Maulbeerbaum. „Das ist etwas Besonderes, und das ist jetzt auch angekommen“, versicherte er. Gerade in Verbindung mit der Milchrampe – einem Aufbau, auf dem die Bauern früher Milchkannen zum Abholen bereitstellten – habe der Baum durchaus Denkmalcharakter, findet auch Christel Wawrzetzka.

LVZ

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