35. Staffel „Großstadtrevier“ startet: „Langjährige Serie ist ein bisschen wie das eigene Kind“
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Die Schauspielerin Wanda Perdelwitz guckt aus einem Fenster bei einem Fototermin in der neuen „Großstadtrevier“-Kulisse auf dem Gelände von Studio Hamburg.
© Quelle: Georg Wendt/dpa
Frau Schulte-Kellinghaus‚ das „Großstadtrevier“ nähert sich allmählich der 40 – wie erklärt sich diese offensichtliche Faszination?
Diana Schulte-Kellinghaus: Das „Großstadtrevier“ ist eine Wundertüte, und in der steckt jedes Mal etwas Neues drin. Wenn ich einschalte, weiß ich nie genau, was ich heute bekomme. Nehmen wir zum Vergleich „Morden im Norden“: Da steht am Anfang ein Mord, den es aufzuklären gilt. Das ist die Prämisse. Bei „Großstadtrevier“ geht es in 99 Prozent der Folgen aber nicht um Mord, sondern um die Probleme, Sorgen und Nöte der kleinen Leute, aber auch der Ermittlerinnen und Ermittler. Und das macht die Serie und ihre Charaktere sehr nahbar.
„Großstadtrevier“ zeigt die Polizei als Freund und Helfer in jeder Lebenslage, während in der Realität das Vertrauen in die Polizei immer mehr abnimmt. Passt ein solches Thema nicht in dieses Heile-Welt-Bild?
Franziska Dillberger: Wir wollen den Zuschauerinnen und Zuschauern sagen: „Wenn du auf diese Wache kommst, bist du gut aufgehoben, hier wirst du nicht alleingelassen mit deinen Problemen.“ Aber wir versuchen auch, schwierige Themen aufzugreifen, und haben echte Polizistinnen und Polizisten als Beraterinnen und Berater. So lief im vergangenen Jahr ein „Großstadtrevier“-Spielfilm im Abendprogramm, in dem wir das Thema Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten oder andere Funktionsträgerinnen und ‑träger ebenso aufgegriffen haben wie das Thema Zivilcourage.
Welche Rolle spielt grundsätzlich der Zeitgeist?
Schulte-Kellinghaus: Wir haben heute in der Redaktionssitzung darüber gesprochen, dass wegen der Energiekrise und des bevorstehenden Winters Diebstähle von Brennholz zunehmen. Es gibt also immer wieder aktuelle Themen, die buchstäblich auf der Straße liegen. Das ist ja das Tolle an diesem Format, dass man die kleinen Themen, die aber doch alle beschäftigen, wunderbar abbilden kann. Aber auch ein großes Thema wie häusliche Gewalt spielt in der neuen Staffel eine Rolle. Die Mehrstrangdramaturgie macht uns so flexibel, dass wir einen großen Fall groß erzählen können, die kleineren Geschichten aber nicht unter den Tisch fallen.
Dillberger: Das Team um das „Großstadtrevier“ herum, also Produzentin, Dramaturginnen und Dramaturgen, Autorinnen und Autoren et cetera, hat sich im Laufe der Jahrzehnte ebenso immer wieder erneuert wie die meisten Figuren und damit die Schauspielerinnen und Schauspieler. Aktuell haben wir zum Beispiel mit Enrique Fiß einen jungen Schauspieler dabei, der sehr sportlich ist. Dank seiner Fitness konnten wir ein angesagtes Thema wie Parkour aufgreifen. Er hat sich Wochen vorher auf den Dreh vorbereitet und extra mit einem Profi trainiert.
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Ist eine Anthologieserie leichter so lange fortzuführen als ein komplexes Entwicklungsdrama?
Schulte-Kellinghaus: Einige Figuren begleiten uns schon seit vielen Jahren. Jan Fedder, sozusagen der Übervater der Serie, war mehr als 25 Jahre dabei. Und jetzt haben wir Maria Ketikidou, die über ihre „Silberhochzeit“ schon hinaus ist. Trotzdem stimmt es wohl, dass es eine Serie, die jedes Mal eine neue Geschichte erzählt, einfacher hat. Kürzlich hatte ich einen Termin mit finnischen Kollegen, die mir erzählt haben, dass in Finnland kaum eine Serie länger als zwei Staffeln läuft. Die Finnen wollen sehr schnell einen neuen Reiz, während der deutsche Zuschauer auch das gern schauen möchte, was er gut kennt, natürlich immer mit einem neuen Dreh.
Haben Sie nach dem Tod von Jan Fedder daran gezweifelt, dass es weitergehen kann?
Schulte-Kellinghaus: Als Executive Producerin habe ich Jans Tod bei zwei Formaten erleben müssen, beim „Großstadtrevier“ und bei „Neues aus Büttenwarder“. Und da war es noch drastischer: Von zwei Hauptcharakteren war einer plötzlich weg. Das konnte nicht mehr so gut funktionieren. Natürlich ist seine Strahlkraft auch beim „Großstadtrevier“ nicht zu unterschätzen gewesen, das war uns klar. Aber bei einer Ensembleserie liegt der Fokus eben nicht nur auf einer oder zwei Personen, sodass wir immer daran geglaubt haben, weitermachen zu können. Und Jan ist ja dennoch immer dabei: So sieht man im Presseheft zur neuen Staffel gleich ein Foto von der Jan-Fedder-Promenade, und auf der Wache gibt es nach wie vor das Büro von Dirk Matthies.
Was wäre denn ein Grund, um zu sagen: „Das war’s, wir haben alles auserzählt“?
Dillberger: Wenn die Leute nicht mehr einschalten. (lacht) Wenn sie sagen: „Wir haben keine Lust mehr auf euch“, dann hören wir auf. Solange die Menschen aber montags einschalten – und das tun sie –, gehen uns die Fälle nicht aus, schon weil sie den Polizisten und Polizistinnen auf der Straße auch nie ausgehen.
Bisweilen müssen Zuschauerinnen und Zuschauer aber die Erfahrung machen, dass die Lieblingsserie zu lange läuft und ein würdiges Ende so verpasst wird.
Schulte-Kellinghaus: Ich war eine Weile im Beirat der „Lindenstraße“ und dort haben wir sehr gerungen um die Frage „Wann hört man am besten auf?“. Das war eine sehr schwierige Entscheidung. Eine so langjährige Serie ist für die Beteiligten immer auch ein bisschen wie das eigene Kind, das man irgendwann aber loslassen muss. Und das fällt bekanntlich sehr schwer. Beim „Großstadtrevier“ gibt es dafür aber überhaupt keine Anzeichen.
Die 35. Staffel „Großstadtrevier“ läuft ab dem 5. September jeweils montags ab 18.50 Uhr in der ARD.