Als ob Gott Monster schickt: Der neue südkoreanische Netflix-Hit „Hellbound“

Die Drei von der Schreckstelle: Ein wenig sehen die Terminatoren der koreanischen Serie „Hellbound“ nach Pixars "Monster AG" aus – aber sie dienen weniger der Energieversorgung ihrer Welt als der grausamen Vollstreckung von Gottes Urteil – so jedenfalls behauptet das eine Sekte in Seoul.

Die Drei von der Schreckstelle: Ein wenig sehen die Terminatoren der koreanischen Serie „Hellbound“ nach Pixars "Monster AG" aus – aber sie dienen weniger der Energieversorgung ihrer Welt als der grausamen Vollstreckung von Gottes Urteil – so jedenfalls behauptet das eine Sekte in Seoul.

Erst ist da dieses riesige Gesicht, das im Raum schwebt, ein Gesicht, das dem Besuchten Tag und genaue Uhrzeit seines Ablebens verrät – manchmal liegt der Termin 20 Jahre in der Zukunft, manchmal auch nur 30 Sekunden. Zum angekündigten Zeitpunkt springen dann drei schwarze Ungeheuer mitten in die südkoreanische Hauptstadt Seoul hinein und machen mit mjölnirschweren Fäusten Mus aus ihrem Opfer, bevor sie es dann verbrennen – so heiß, dass in anschließenden Obduktionen kein organisches Material mehr festgestellt werden kann.

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Eine Sekte namens „Die Neue Wahrheit“ schiebt diese Ereignisse erfolgreich dem Allerhöchsten in die Schuhe. Das Gesicht sei ein „Todesengel Gottes“, die Monster seien seine „Höllenboten“, die Adressaten „Sünder“. Das Narrativ hat Erfolg in einer zutiefst verunsicherten Welt, in der man sich noch an jeder Idiotie festhält.

Ein neues Zeitalter der Rechtschaffenheit steht bevor

Gott wolle den Menschen mittels der unglaublich brutalen, exemplarischen, „Machtdemonstration“ genannten Bestrafungen Zeichen schicken, dass es Zeit für eine Reinigung seiner Spezies sei, so die Lesart der „Neuen Wahrheit“. Ein neues Zeitalter der Rechtschaffenheit stehe bevor, so predigt der in einem katholischen Internat aufgezogene Vorsitzende Jeong Jin-soo (Yoo Ah-in) über das paranormale Gewese – ein Charismatiker der Furcht, dem immer mehr Menschen zuhören und folgen und dessen Botschaft sich von Seoul aus über die ganze Welt verbreitet.

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Wie alles aus Korea. Korea kommt – alle Welt steht auf K-Pop, K-Filme, K-Serien. Auf Netflix‘ Superhit „Squid Game“ folgt nun also der nächste Knaller: „Hellbound“. Das ist, oberflächlich betrachtet, eine derbe Horrorserie mit Monstern, die mit ihren debilen Grinsegesichtern und ihrer qualmenden Haut eher wie Comedy-Hulks wirken. Die Tricktechnik ist so lala, die menschlichen Figuren sind es schon eher, die den Betrachter sechs Folgen lang bei der Stange halten: Der Polizist Jin-Kyeong-hoon (Yang Ik-June) etwa, der der Sekte auf den Zahn fühlt, um seine Tochter aus ihren Fängen zu retten. Oder die Anwältin Min Hye-jin (Kin hyun-joo), die im Lauf der juristischen Betreuung eines anstehenden Menschenopfers zur unerbittlichen Bekämpferin der Sekte wird.

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Yeon Sang-ho, dessen Zombiefilme „Train to Busan“ (2016) und „Peninsula“ (2020) Kultstatus genießen (er plant gerade den dritten Film), erzählt keine simple Schreckgeschichte, sondern darin eingewoben eine Parabel über die Entstehung einer Gewaltherrschaft religiöser Prägung. Die „Speerspitze“ nennt sich eine Truppe jugendlicher Schläger, die schon bald Terror im Namen der „Neuen Wahrheit“ verbreitet. Ein rechter Influencer befeuert sie mit durchgeknallten Videos im Internet.

Die Sender, auch die seriösen, lassen sich dazu breitschlagen, eine der „Machtdemonstrationen“ live im Fernsehen zu übertragen. Das Opfer, eine alleinerziehende Mutter, akzeptiert die TV-Show um ihren Tod, um mit einer Art „Kopfgeld“ ihre Kinder finanziell abzusichern – „Squid Game“ lässt grüßen. VIPs, durch deren Spenden die Summe zustande kam, bekommen Logenplätze bei der Hinrichtung. Die extrem abstoßende Übertragung erreicht Spitzenquoten. Alle besorgen sie das Werk der Gottesfaschisten.

Es findet kein Hinterfragen der christlichen Auslegung statt

Sang-ho erzählt von der Leichtgläubigkeit und Dummheit der Leute, von ihrer Verführbarkeit und dem Verschwinden der Empathie. Niemand im Land mit immerhin einem Drittel Christen (und Megakirchen, die sich tief ins Leben der Einzelnen einmischen), scheint zu hinterfragen, dass der strafende, grausame Gott der Schriften seit dem Neuen Testament passé ist, dass er – im Falle seiner Existenz - vermutlich keine Höllenkräfte auf seine Schöpfung losschicken würde. Auch dass die Opfer willkürlich ausgewählt scheinen, dass Menschen zum Teil nur wegen banalen moralischen Fehlverhaltens ermordet werden, löst keine Empörung aus. In einem Fall muss selbst dies konstruiert werden. Glauben heißt, so Sang-hos Fazit, aufs Wissen zu verzichten und sich führen und gern auch nasführen zu lassen. Gott als Verfügungsmasse – er wird ja auch in Wirklichkeit allem Möglichen übergestülpt.

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Nach drei Folgen springt die Serie in eine Zukunft, in der die „Neue Wahrheit“ eine weltweite Größe geworden ist, die ihren Einfluss durch eine Gottesstrafenshow mit höchsten Einschaltquoten ausbaut und kurz vor einer Machtergreifung zu stehen scheint. Die wahren „Sünder“ sind freilich nicht die Opfer, sondern die Tatenlosen. So eine höhere Macht im Spiel ist, erscheinen die überweltlichen Vorgänge in „Hellbound“ eher als eine Art zynischer Menschlichkeitstest, um festzustellen, ob es noch jemanden gibt, der für die Schutzlosen und Bedrohten einsteht, der menschlich ist im Sinne der christlichen Botschaft von Nächstenliebe.

Hier ist Sang-hos Zeugnis deprimierend. Die Masse umstellt den bedrohten Einzelnen, sie schaut seiner Angst, seinem Leid, seinem Schmerz zu, sie ist geschockt, abgestumpft oder jubelt gar – aber niemand greift ein. Das Böse wird akzeptiert, ja vorbehaltlos unterstützt, weil es ja die Larve des Guten trägt. Die Menschheit ist von ihren guten Zielen abgekommen, sie strebt von der Freiheit zurück in die Fremdbestimmung. Die zehn Gerechten, die Gott in Sodom trotz Abrahams Fürsprache nicht fand, sie immerhin sind in Seoul auszumachen. Den Funken Hoffnung lässt der Regisseur glimmen.

Es ist der Funke einer Widerstandsbewegung, einer von gleich zwei Cliffhangern, der den auf einem Webtoon basierenden, bei genauerer Betrachtung ziemlich hanebüchenen, nichtsdestotrotz ungemein unterhaltsamen Horror Gangnam Style in eine zweite Staffel trägt – die auch schon bestellt ist.

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„Hellbound“ wurde im Handumdrehen zum Netflix-Hit

Was kein Wunder ist, sind doch nicht nur alle Fragen offen geblieben, sondern ist „Hellbound“ derzeit weltweit Netflix‘ Nummer eins (im säkularisierten Deutschland allerdings nur Platz sechs). Vielleicht wegen der typisch cartoonesken Übersteuerungen, diesem schrillen Nebenton, den man aus skandinavischen, europäischen oder amerikanischen Serien nicht kennt. Vielleicht auch, weil er den Nerv der Zeit und Zuschauenden trifft. „Die Welt, die ich kannte“, sagt die Anwältin Min, „scheint langsam auseinanderzufallen.“ Das kann man gut nachfühlen.

„Hellbound“, sechs Folgen, Regie: Yeon Sang-ho, mit Yoo Ah-in, Kim Hyun-joo, Yang Ik-june (streambar bei Netflix)

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