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Angriffe auf Journalisten haben zugenommen – Fast alle Attacken kommen von rechts

22 von 26 registrierten körperlichen Angriffen auf Reporter waren 2018 rechtsextrem motiviert: Nach dem gewaltsamen Tod eines jungen Mannes in der Chemnitzer Innenstadt zeigt ein Demonstrant auf einer von rechten Gruppierungen veranstalteten Kundgebung am 1. September 2018 in das Visier eines Fotografen.

22 von 26 registrierten körperlichen Angriffen auf Reporter waren 2018 rechtsextrem motiviert: Nach dem gewaltsamen Tod eines jungen Mannes in der Chemnitzer Innenstadt zeigt ein Demonstrant auf einer von rechten Gruppierungen veranstalteten Kundgebung am 1. September 2018 in das Visier eines Fotografen.

Leipzig. An dem Tag, an dem es passierte, stand Ney Sommerfeld in Cottbus an einer Dönerbude, die Kamera in der Hand, neben sich Reporterkollegen. Im Visier hatte sie eine Demonstration mit mehr als tausend Teilnehmern – darunter Pegida-Aktivisten, völkische Identitäre, AfD-Politiker, Neonazis, Hooligans und laut Sommerfeld auch Mitglieder der aufgelösten Ultra-Gruppierung „Inferno Cottbus“ des FC Energie Cottbus.

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Angriff auf eine Journalistin – Die Polizei greift nicht ein

Es ist der 20. Januar 2018. Die Journalistin filmt, die Stimmung ist aggressiv. Da nähern sich zwei Männer den Journalisten an der Dönerbude, gehen eine Reporterin aggressiv an, Sommerfeld richtet die Kamera auf die Szene, einer der Männer schlägt zu. Bespuckt die Journalistin. Beleidigt sie.

Polizisten sehen die Szene. Und greifen nicht ein. Ein dritter Mann stößt sie von einer Erhebung. Die Polizei bleibt untätig.

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Der Trend ist eindeutig: Die Zahl tätlicher Angriffe auf Journalisten hat wieder zugenommen. Und die Attacken kommen fast ausschließlich aus dem rechten Milieu. Das ist das Ergebnis der Studie „Feindbild Journalist“ des European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) in Leipzig.

Nur in einem einzigen Fall waren die Täter Linke

26 gemeldete körperliche Angriffe aus dem Jahr 2018 hat Studienleiterin Pauline Betche im Detail untersucht. Nicht berücksichtigt wurden Fälle ohne körperliche Gewalt sowie reine Drohungen und Attacken, bei denen die Polizei rechtzeitig einschritt.

Nur in einem einzigen Fall waren die Täter Linke (bei den Protestaktionen im Hambacher Forst). Bei drei weiteren war der politische Hintergrund nicht feststellbar. 22 der 26 Taten ereigneten sich auf rechten Demos.

Beispiele für körperliche Gewalt von rechts gegen Journalisten

Im April 2018 fotografierten zwei freie Journalisten im thüringischen Fretterode das Haus des Neonazikaders Thorsten Heise. Maskierte Angreifer verfolgten die Journalisten und drängten sie von der Straße ab. Dann raubten sie ihre Fotoausrüstung und verletzten einen der Journalisten mit einem Messer.

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Im September 2018 wurde ein MDR-Kamerateam beim Filmen in einer Privatwohnung angegriffen und verletzt. Die Reporter hatten bei Anwohnern geklingelt und gefragt, ob sie vom Balkon aus filmen dürften. Während der Dreharbeiten sei dann ein Mann in die Wohnung gekommen und habe die beiden Reporter attackiert. Bei dem Angriff wurde ein Reporter die Treppe hinuntergestoßen und seine Kamera zerstört. Er wurde ärztlich versorgt.

Im September 2018 zerrissen Teilnehmer einer rechten Demo in Köthen einem Buzzfeed-Reporter das T-Shirt und stießen ihn herum.

Im Dezember 2018 wollte ein Team des ARD-Magazins „Monitor“ auf einer Konferenz von Klimawandelskeptikern drehen. Nach Verbalattacken und Drohungen durch den Vereinspräsidenten kam es zu Handgreiflichkeiten.

Nach dem Lübcke-Mord: Drohungen sollen ernst genommen werden

„Jeder, der als Journalist identifiziert werden kann, muss auf politischen Versammlungen mit Gewalt rechnen“, lautet das bittere Fazit von Betche. Schwere Bedrohungen erfasse das ECPMF inzwischen gar nicht mehr – es seien schlicht zu viele geworden.

Aus Sicht des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) müssen Drohungen von Rechtsextremisten gegen Journalisten ernst genommen werden. „Nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten und Morddrohungen gegen Politiker sollten Kollegen besonders aufmerksam sein und Drohungen nicht auf die leichte Schulter nehmen“, sagt der DJV-Vorsitzende Frank Überall.

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Schubsen, Treten, Spucken, Schlagen und sogar Angriffe mit Waffen – die Studie spricht von „einer neuen Qualität der Gewalt“. Im Sommer 2018 stand dabei vor allem Chemnitz im Fokus, wo es nach dem gewaltsamen Tod an dem 35-jährigen Daniel H. auf dem Stadtfest zu massiven Ausschreitungen kam.

Studie zeigt: Fast die Hälfte der rechten Attacken im Freistaat Sachsen

Aber nicht nur 2018 gab es im Freistaat Sachsen überproportional viele rechte Attacken. Fast die Hälfte aller verifizierten Angriffe auf Journalisten in Deutschland seit 2015 wurde in Sachsen verübt: 47 von insgesamt 96. Inzwischen ereigneten sich die meisten Attacken nicht mehr auf „szenetypischen“ Neonazi-Events, sondern auf Versammlungen etwa von Pegida oder der AfD, „die dem vermeintlich bürgerlich-rechten Lager zugeordnet werden“, wie Betche schreibt.

Die Studie stellt fest: Was die Gewaltgefahr angeht, seien „Wutbürger“ hinsichtlich ihres Aggressionspotenzials kaum noch von gewaltaffinen Neonazis und Rechtsextremisten zu unterscheiden: „Eine Trennung beider Tätergruppen ist nicht möglich.“

Die Forscher stellen eine Art politische Klimaveränderung fest: Die „Lügenpresse“-Verleumdungen senkten die Hemmschwelle zur Gewalt gegen Journalisten auch bei Menschen, die zuvor nicht als Extremisten aufgefallen seien.

Von Imre Grimm/RND

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