Einer flog übers leere Nest – Melissa McCarthy und Kevin Kline in Netflix‘ Tragikomödie „Der Vogel“
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Der Star hat ihr im Sturzflug die Stirn geritzt: Lilly (Melissa McCarthy) beim Tierarzt Larry (Kevin Kline), der mal einer der besten Psychologen des Landes war.
© Quelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com
Ein Star ist stark, keck, traut sich was. Der Vogel schnappt sich eine Tüte, die fast so groß ist wie er selbst, vom Asphalt einer befahrenen Straße und fliegt los. Sogleich heftet sich eine Krähe an sein Schwanzgefieder, und eine Verfolgungsjagd hebt an, in deren Verlauf der Jäger immer wieder um Schnabelbreite an den Gejagten herankommt, bis der doch noch durch eine Lücke in einem Heuschober entwischen kann, die einfach zu klein ist für Krähen. Ätsch! In einem großen Baum sieht man Star und Starin ihr Nest mit der Tüte auspolstern.
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Große Bäume hatten Lilly Maynard (Melissa McCarthy) und ihr Mann Jack (Chris O‘Dowd) ein Jahr zuvor auch in das Kinderzimmer ihrer neugeborenen Tochter Katie gemalt. Man lernt sie bei dieser Arbeit kennen – glückliche Eltern, die sich die Zukunft ihres Kindes bis ins Erwachsenenalter vorstellen, während die kleine Katie munter in ihrer Wiege kräht.
Ein Leben in der schwarzen Blase der Trauer
Im Jahr darauf ist von dem Glück nichts mehr übrig. Katie ist gestorben – am sogenannten „plötzlichen Kindstod“. Jack hat sich nach einem Selbstmordversuch in eine Heilanstalt einweisen lassen, will aber gar nicht heilen. Lilly nimmt einmal pro Woche die lange Fahrt dorthin auf sich, legt sich dafür immer wieder mit ihrem Chef vom Supermarkt an, nur um mit ihrem immer widerwilligeren Mann an einer Gruppentherapie teilzunehmen. Eines Tages will er sie nicht mehr sehen. Sie wird fortgeschickt. Explodiert fast vor Wut auf dem Parkplatz
Selbst führt Lilly ein Leben in der schwarzen Blase der Trauer. Sie atmet, funktioniert, mehr nicht. Sie will da raus, aber sie weiß nicht wie. Sie selbst müsse zuerst wieder hergestellt sein, bevor das Fundament ihrer Ehe erneuert werden könne, weiß die Gruppentherapeutin. Und verweist Lilly auf Larry Fine (Kevin Kline), einen angeblich exzellenten Psychologen. Leider ist der Mann inzwischen überzeugter Tierarzt und qualifiziert die Heilmethoden für die Seele als Mumpitz ab.
Immer wieder drücken die Erinnerungen Lilly zurück in die Trauercouch. Nächtens betritt sie das Zimmer ihrer Tochter, wo die Bäume an der Wand kein Kind mehr beschützen. Das Ställchen ist leer, sie stellt es auf die Straße mitsamt der Couch und der übrigen Möbel. Die Leere des Hauses, Metapher, Metapher, steht für die innere Leere. Schließlich schmeißt sie den Rasenmäher an, und beginnt, Metapher, Metapher, die Wildnis zu zähmen, zu der ihr Garten geworden ist.
Beim Mähen wird sie dann von dem eingangs erwähnten Star attackiert, voll Hitchcock-mäßig mit blutiger Schramme an der Stirn. Es ist eine Art Weckruf, kein Zweifel. Und so ein Aggrovogel ist ja auch bestens dazu geeignet, einen Tierarzt, der einst ein Eins-A-Menschenversteher war, wieder seiner ursprünglichen Profession zuzuführen.
McCarthys Mitwirken - ein Dankeschön an Regisseur Melfi?
Melissa McCarthys Spiel einer Frau auf dem Weg zurück zu sich selbst scheint ein guter Grund, sich Theodore Melfis (Oscar-nominiert für „Hidden Figures“) neuen Film anzusehen. 2014 hatte Melfi den früheren „Gilmore Girls“-Star mit der Rolle der alleinerziehenden Maggie Bronstein in der Tragikomödie „St. Vincent“ aus der Sackgasse der Kino-Ulknudel vom Dienst geholt. Die Teilnahme an „Der Vogel“ scheint jetzt eine Art Dankeschön an Melfi gewesen zu sein, dessen Karriere zuletzt ins Stocken geraten war.
Und das Drehbuch zu „Der Vogel“ stand immerhin auf Hollywoods „Black List“ der interessantesten unverfilmten Projekte. Einer Liste, aus der Meisterwerke wie „Slumdog Millionaire“ (2008), „Inglourious Basterds (2009), „Life of Pi“ (2012) oder „Manchester By The Sea“ (2016) hervorgingen. Sechzehn Jahre dauerte es, bis aus „The Starling“ (Originaltitel) ein Film wurde. Der nun als Beweis dafür herhalten muss, dass die für diese Liste Verantwortlichen nicht immer ein sicheres Händchen haben.
Der Film findet nie zu einem einheitlichen Ton
McCarthy, die zuletzt in David E. Kelleys Serie „Nine Perfect Strangers“ glänzte, gibt zwar alles als „Lady mit dem Vogelproblem“, kommt aber nur schwer an gegen das Skriptproblem. Als käme er von einem anderen Planeten und versuche ohne Vorkenntnisse, nachzuvollziehen, wie Erdbewohner so ticken, hat Autor Matt Harris eine Geschichte aufgeschrieben, deren extreme Stimmungsschwankungen zwischen Klamauk und Drama nie einen einheitlichen „Grundton“ ergeben.
Immer wieder runzelt man die Stirn über vermeintliche Gags, Pointen, Wendungen. Welche Eltern wünschen sich, dass ihre Tochter eines Tages die drittbeste Podologin in ihrem Betrieb wird oder eine vegane Metzgerin? Und wer legt zur Bekämpfung eines einzelnen gefiederten Feindes allen Ernstes vergiftetes Vogelfutter im Garten aus? Auch der Verdacht, der tote Rabe auf dem Rasen könne der Räuber vom Filmbeginn sein, kann den Zuschauenden keineswegs besänftigen.
Das Talent von Timothy Olyphant wird verschwendet
Regisseur Melfi gelingt es jedenfalls nicht, diese staksige Story in einen dahinfließenden Film zu verwandeln und das Publikum in Einklang mit den Charakteren zu bringen. Er lässt seine Hauptdarsteller Dialogzeilen aufsagen, von denen so manche selbst den wüstesten „daily soap“-Schreibern zu stussig wären und vergeudet zudem das Talent von Timothy Olyphant („Deadwood“, „Fargo“) an die Schablone eines empathiefreien Supermarktleiters.
Trauer ist, wenn man trotzdem lacht? Mit aller Gewalt will „Der Vogel“ an die Schmunzelfalten und Tränendrüsen der Zuschauenden, unterfüttert trauriges Mienenspiel mit melancholisches Popsongs von den Gin Blossoms oder den Lumineers. Am Ende hat das Ensemble den Kampf gegen die Umstände verloren. Übrig bleibt ein Film, der einen Vogel hat. Und der ist nicht mal besonders gut animiert.
„Der Vogel“, 103 Minuten, Regie: Theodore Melfi, mit Melissa McCarthy, Kevin Kline, Chris O‘Dowd (bei Netflix)