„Eldorado KaDeWe“: Die wilden Zwanziger rauschen durch die ARD
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Oben auf dem Dach: Harry (v. l., Joel Basman), Hedi (Valerie Stoll), Fritzi (Lia von Blarer) und Georg (Damian Thüne) sind die Protagonisten des Weihnachtssechsteilers „El Dorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“.
© Quelle: ARD Degeto/RBB/Constantin Televi
Das KaDeWe geht in der Nachkriegsnot fast zugrunde. Es herrscht eine Handelsblockade nach dem Ersten Weltkrieg und die Frau Baronin will dennoch Pariser Chic für ihre fetten Töchter. Das Kaufhaus des Westens in Charlottenburg steht am Rand der Pleite, die Belegschaft wurde reduziert, Abteilungen aufgegeben – alles Geld muss zusammengehalten werden. Das erzählt der neue Finanzchef Georg Karg dem aus dem „Feld“ zurückgekehrten Unternehmenserben Harry Jandorf, der wieder zurück an die Spitze seiner Reklameabteilung will.
Das KaDeWe will eine internationale Marke werden
Ein Luxuskaufhaus soll das KaDeWe nach Harrys Vorstellung werden, vornehmlich eins für die Frauen, denn die hätten ja noch alle für die Wirkung von Mode nötigen Gliedmaßen. „Wir verkaufen Hoffnung!“, sagt er. Dabei werden ihm die grundlegenden Ideen von seiner kreativen Schwester Friederike souffliert. Die Neuausrichtung, vor allem aber die Aufforderung, Bilanzen für die Kreditwürdigkeit zu frisieren, treibt dem akkuraten Finanzmann Georg den Schweiß ins Gesicht.
Harry lässt Gratiskataloge anfertigen – verschickt sie an die Betuchten der ganzen Welt, die in Berlin billig einkaufen können. Und bald schreibt die Londoner Presse: „Berlin ist das neue Paris“. Ein Stern geht auf, der König und die Königin von Ägypten werden von Harry auf Arabisch in der Modeabteilung begrüßt, der den Royals aus Alexandria auch gleich noch den letzten Technikschrei, einen elektrischen Staubsauger, verehrt. Alles swingt, und der Zuschauer swingt von Anfang an mit in der sechsteiligen ARD-Serie „El Dorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“.
Frühes „Shopping“ – Erzählt wird von den Anfängen des modernen Konsums
Die ist das ARD-Gegenstück zur ZDF-Abenteuerserie „In 80 Tagen um die Welt“. Während das ZDF mit seinem Mehrteiler an die alten abenteuernden Weihnachtsvierteiler der Siebzigerjahre erinnert, knüpft die ARD eher an „Babylon Berlin“ an, die gemeinsam mit dem Bezahlsender Sky geschaffenen Weimarer-Republik-Krimis. Erzählt wird – kein bisschen weniger spannend – von den Anfängen des modernen Konsums, von seinen mörderischen Konkurrenzen und den unglaublichen Innovationen. Das KaDeWe hatte von seiner Eröffnung 1907 an Elektrizität statt Gaslicht, ein hochmodernes Rohrpostsystem, 13 Personenaufzüge. Ein geschmackvoll modern gestaltetes Gebäude, in dem sich – von den USA lernen heißt verdienen lernen – gut 120 Geschäfte und Abteilungen unter einem Dach fanden.
Fiktion trifft Wirklichkeit. Die Regisseurin Julia von Heinz („Und morgen die ganze Welt“) führt ein Liebespaar ein, das es so nicht gab. Die kleine KaDeWe-Verkäuferin Hedi (Valerie Stoll) ist eine pfiffige Proletarierin. Sie freut sich, wenn ihr auf der Arbeit wer im Treppenhaus nachpfeift, und sie verdient sich im Lager ein paar Schachteln Zigaretten, wenn sie dem feisten Abteilungschef einen Blick auf ihre Brüste gewährt. Nichts ist ihr fremd, das Frivole gehört für sie zum Leben. Was soll’s? Bis sie die – ebenfalls unhistorische – Friederike kennenlernt.
Fritzi mag Herrenanzüge, Fritzi mag mitreden, Fritzi mag mitarbeiten, Fritzi würde gern das KaDeWe leiten. Sie steht ganz und gar ihre Frau, was in ihrer klassischen Vorstellungen folgenden jüdischen Familie nicht auf Gegenliebe stößt. Fritzi ist aber vor allem lesbisch, weshalb ihre Mutter (Victoria Trattmansdorff) sie auch dringend „umpolen“ lassen möchte. Eine verheiratete Frau soll sie nach Mamas Willen werden – Herd hüten, Kinder hüten, angehübscht an der Flanke eines standesgemäßen Gatten. Nach dem Gespräch mit einer Spezialistin fährt Fritzi zornentbrannt mit einer „Homosexualität ist heilbar“-Broschüre nach Hause. Hedi fällt ihr auf, sie will ein Katalogmodell aus ihr machen, sie verliebt sich in das fröhliche Frollein.
Das Begehren war in der ARD selten so unverblümt zu sehen
Küsse, Berührungen, Haut auf Haut, das zitternde Seufzen des Begehrens – all das ist eigentlich viel zu mutig inszeniert für ARD-Primetimesendungen. Der Eros wird mit wechselseitig zitierter Poesie unterstrichen, was seine Anmut nur noch unterstreicht. „Ich will nie wieder jemanden küssen oder anfassen, den ich nicht begehre“, sagt Hedi. Alle – Fritzi, Hedi, Harry und Georg – verpflichten sich nach einer verzweifelt durchfeierten Nacht in einem feierlichen Schwur dem Glück. Wenn sie vom Dach ihre Freude vom KaDeWe-Dach in die Stadt hinausrufen, Harry mit hedonistischen schwarzen Flügeln, ist klar, dass dem Anfang auch schon das Ende innewohnt.
Nazis? Natürlich. Es war ihre Zeit, der Pressfrieden nach dem Krieg begünstigte den Aufstieg der rechten, Feindbilder malenden braunen Menschenhasser. Der Antisemitismus findet sich schon vor ihrem langsamen, unterbrochenen Aufstieg – in Harrys Kriegserzählungen über die als „feige Hunde“ verschrienen jüdischen Soldaten der Reichswehr. Immer wieder seien er und sein schließlich zerfetzter Kamerad Karl, der ihm nun wieder und wieder als Geist erscheint, aus den Schützengräben gelaufen, um diesen Schimpf zu widerlegen.
Die Nationalsozialisten sind erst Randfiguren, dunkle Schatten, die Fritzi, die „verdammte Lesbe“, zu Boden schlagen. Irgendwann aber liegen Hitlers „Mein Kampf“-Bände als Geschenke auf einem Hochzeitstisch, wird das Wort „Judensau“ offen ausgesprochen. Die „Bewegung“ wird groß, die – wenn sie erst ihre Diktatur errichtet hat – Juden entrechten, enteignen, umbringen wird, die Homosexualität offiziell als Perversion verfolgen wird und die auch für Menschen wie Hedis Schwester Nina, ein Trisomie-21-Kind, den Tod vorsehen wird – „lebensunwertes Leben“ nannten sie das. „Totschlagen werden sie dich das nächste Mal“, prophezeit Fritzis Mutter.
„Transitzonen“ – Julia von Heinz schafft durchaus sinnige Zeitschmelzen
Das alles ist nicht nur kunstvoll inszeniert, sondern auch ganz wunderbar gespielt: Lia von Blarer hat als Fritzi ein Charisma wie die junge Charlotte Gainsbourg, der sie auch ein wenig ähnelt, und Valerie Stoll ist bezaubernd als unbekümmertes Aschenputtel Hedi. Mit schwarzen Augen starrt Damian Thünes furchtsamer Georg in die ihm viel zu wilden Zwanzigerjahre, ein Mann aus einer Familie von Gescheiterten, der nie mehr dorthin zurückwill. Und dann ist da noch und vor allem der fantastische Joel Basman, der den kriegstraumatisierten Morphinisten Harry mit allem gebotenen Furor spielt.
„Es weht durch die ganze Historie / ein Zug der Emanzipation“, hört man das alte „Raus mit den Männern“ der Kabarettsängerin Claire Waldoff im Klub El Dorado – zu modernen Beats. Es gibt Songs von Inga Humpe, und die Tram, in der Fritzi durch Berlin fährt, ist die heutige, die mit den Brandenburger-Tor-Folien in den Abteilfenstern. Wenn Fritzi Hedi auf der nächtlichen Dachterrasse des Kaufhauses fragt, ob sie spüre, „wie sich unter uns die Erde dreht“, fahren auf der Straße heutige Autos, verschwommen flanieren in den Straßen die gegenwärtigen Berliner. Aber diese durchaus auch kostenrelevante Zeitenschmelze – von Heinz nennt das „Transitzonen“ – stört nicht.
Ganz im Gegenteil. Das hat Witz und macht dem Zuschauer zudem bewusst, dass auch die neuen Zwanzigerjahre eine Krisenzeit sind, dass einige Probleme von vor knapp 100 Jahren immer noch oder wieder virulent sind. Die neuen Rechten haben das alte Hetzervokabular bis in den Bundestag getragen, jüdische Deutsche werden wieder auf der Straße angegriffen.
Eine relevantere Serie wird man zum Jahresende also kaum finden.
„El Dorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“, sechs Episoden, Regie: Julia von Heinz, mit Valerie Stoll, Joel Basman, Lia von Blarer, Damian Thüne (alle sechs Folgen am 27. Dezember ab 20.15 Uhr in der ARD, schon ab 20. Dezember in der ARD-Mediathek)