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Jan Böhmermann und die journalistischen Standards

Eine Pointe zu viel

Jan Böhmermann und das Rundfunktanzorchester Ehrenfeld gastieren am Montag in der Arena.

ZDF-Satiriker Jan Böhmermann steht in der Kritik.

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Hannover. Es gibt ein paar Regeln, an die sich kaum jemand halten muss – Journalistinnen und Journalisten aber schon. Niedergeschrieben sind diese Berufsgrundsätze nicht zuletzt im Pressekodex, einer Selbstverpflichtung von Medienhäusern gegenüber dem Presserat, dem zuständigen Kontrollorgan. In 16 Paragrafen werden dort ethische Standards für den Journalismus aufgeführt. Rechtlich bindend sind sie nicht, auch gelten sie nicht fürs Radio und Fernsehen – für den Berufsstand haben sie dennoch eine enorme Bedeutung.

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In einem dieser Paragrafen, Nummer fünf, um genau zu sein, geht es auch um das Berufsgeheimnis. Da steht: „Die Presse (…) macht vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und gibt Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis. Die vereinbarte Vertraulichkeit ist grundsätzlich zu wahren.“ Der Absatz steht da nicht ohne Grund: Journalistinnen und Journalisten haben die Aufgabe, Politik und Institutionen zu kontrollieren und Missstände aufzudecken. Daher sind sie regelmäßig mit brisanten Informationen konfrontiert. Ein Informant oder eine Informantin muss sich in jedem Fall darauf verlassen können, dass das Medium ihn oder sie nicht in Gefahr bringt.

Einer, der diesen Grundsatz offenbar nicht ausreichend beachtet hat, ist ausgerechnet der Mann, der für seinen eigenen Journalismus regelmäßig in höchsten Tönen gelobt wird: ZDF-Satiriker Jan Böhmermann.

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Böhmermann lehnt Ibiza-Video ab

Julian Hessenthaler heißt der Mann, der Böhmermann dieser Tage schwere Vorwürfe macht. Konkret tut er dies in einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung in dessen Youtube-Sendung „Jung & Naiv“. Hessenthaler hatte das sogenannte Ibizagate in Österreich ins Rollen gebracht, den politischen Skandal um FPÖ-Mann Heinz-Christian Strache, der schließlich zum Bruch der Regierungskoalition mit der ÖVP führte. Der 41-Jährige ist Privatdetektiv und hatte die Videos in der Villa angefertigt, die schließlich in der „Süddeutschen Zeitung“ und dem „Spiegel“ veröffentlicht wurden.

Offenbar, so erklärt es Hessenthaler, habe auch Jan Böhmermann und dessen damalige Sendung „Neo Magazin Royale“ als Medium für die Veröffentlichung infrage kommen sollen. Der Detektiv hatte sich durch Böhmermanns Bekanntheit beim jungen Publikum wohl eine größere Schlagkraft erhofft. Ein ehemaliger Mitarbeiter Böhmermanns vermittelte Hessenthaler den Kontakt und ein Gespräch in dessen damaligen Produktionsräumen in Köln. Böhmermann lehnte das heikle Videomaterial und die Story jedoch ab.

Das allein ist noch kein ungewöhnlicher Vorgang. Medien müssen nicht über alles berichten, was ihnen als Thema auf den Tisch gelegt wird – ein Großteil solcher Vorschläge erblickt nie das Licht der Öffentlichkeit. „Ich lasse mich grundsätzlich nicht für Straftaten, Vorhaben zur Erlangung eines finanziellen Vorteils, politische oder andere, nicht offengelegte Zwecke instrumentalisieren“, erklärte Böhmermann als Begründung in der „Welt“. Eines jedoch gilt auch nach so einem unerfolgreichen Treffen weiterhin: die Vertraulichkeit, eine journalistische Selbstverständlichkeit.

Moderator plaudert bei Romy-Gala

Genau daran soll sich Böhmermann allerdings nicht gehalten haben. Schon kurz nach diesem Treffen fing der Moderator an zu plaudern. Bei der Romy-Gala machte der Satiriker öffentlich sehr konkrete Anspielungen auf das damals noch unbekannte Ibiza-Video – ganz zum Erschrecken seines Erstellers.

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„Mir ist alles runtergefallen, ich war in Schockstarre“, berichtet der Privatdetektiv bei „Jung & Naiv“. Für ihn habe der Vertrauensbruch ungeahnte Folgen gehabt: Die eigene Planung sei mit Böhmermanns Aussagen „out of control“ gewesen. Den beteiligten FPÖ-Politikern dürfte spätestens ab diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass sie in eine Falle gelockt worden waren – und zwar von Hessenthaler.

„Ich bin ins Auto gesprungen und habe Wien verlassen, habe mich in den Bergen verbarrikadiert, bin über die Grenze und nie wieder zurück nach Österreich“, berichtet dieser nun. Eine Situation, in die er nicht gekommen wäre, wenn „Herr Böhmermann sich nicht eingebildet hätte, er muss bei der Romy-Gala den Coolen raushängen lassen“.

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Die schwedische Sängerin Loreen hat mit dem Titel „Tattoo“ den diesjährigen European Song Contest gewonnen.

„Vertraulichkeit explizit benannt“

Ob die Darstellung Hessenthalers in dieser Zuspitzung zutrifft, ist unklar. Ebenso, was genau an diesem Tag im Jahr 2019 zwischen dem Privatdetektiv und Jan Böhmermann besprochen und vereinbart wurde.

Es gibt zwei Personen, die den Fall so darstellen wie oben beschrieben – Hessenthaler selbst und Jean Peters, ein Journalist und Aktionskünstler, der damals freiberuflich für Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ tätig war. Peters hat das Treffen zwischen Böhmermann und Hessenthaler in Köln organisiert, wie der Journalist dem Branchenmagazin „Meedia“ bestätigte. Allen Beteiligten sei klar gewesen, „dass dieser Informationsaustausch vertraulich stattfand, da es ein Hintergrundgespräch war und die Vertraulichkeit auch explizit benannt wurde.“ Zudem spricht der Journalist von Verschwiegenheitserklärungen, die abgegeben worden seien.

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Inzwischen arbeitet Peters für das Recherchezentrum „Correctiv“, das in der Vergangenheit auch des Öfteren mit Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ kooperiert hatte. Hier veröffentlichte Peters Mitte April ein großes Porträt über Hessenthaler. In diesem ist der Fall Böhmermann, das Treffen und seine Folgen, ebenfalls eine kleine Randnotiz in einer Infobox. Dass Peters das Treffen organisiert hatte, macht der Journalist in seinem Text transparent.

Böhmermann witzelt – und schickt den Anwalt

Auf der anderen Seite gibt es aber noch Jan Böhmermann, der mit dieser Darstellung alles andere als zufrieden scheint.

Sein Anwalt, Christian Schertz, verschickte sowohl an das Portal „Correctiv“, aber offenbar auch vorsorglich an die „Welt“-Redaktion ein im „Unterton drohendes Anschreiben“, wie es in der „Welt“ heißt. Dieses stellt demnach Unterlassungsansprüche gegen jeden in den Raum, der behaupte, dass Böhmermann bei dem besagten Treffen eine „Vertraulichkeits- oder Verschwiegenheitserklärung“ abgegeben oder sich daran nicht gehalten habe. „Correctiv“ spricht gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) von einem „nüchtern gehaltenen“ Schreiben mit der Aufforderung zur Änderung. Die Anwaltskanzlei Schertz Bergmann hat auf eine Anfrage des RND nicht reagiert.

Etwa zeitgleich sprach Böhmermann in einer Anrufsendung des „ZDF Magazin Royale“ selbst über den Fall – und das wie so oft ziemlich ironisch. Hier machte der Moderator am 28. April immer wieder Anspielungen auf die Behauptung Hessenthalers. Mehrfach witzelte er in der Sendung, er „verspreche“ dies und jenes „hoch und heilig“: „Großes Verschwiegenheitserklärungsehrenwort“. In der Sendung deutet Böhmermann zudem an, Medien, Podcasts und Buchautoren wollten nur „Cash“ mit seinem Namen machen.

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„Jan Böhmermann ist so ein Lappen“

Genau dieses Verhalten sorgt in der Branche nun für Ärger. Ein plaudernder Moderator, der zunächst journalistische Grundsätze ignoriert, dann jede Kritik wegwitzelt und darüber hinaus Anwälte beauftragt, wenn andere Medien über dieses Verhalten berichten? All das will nicht zu der Rolle passen, die Böhmermann zuletzt mit seinem „ZDF Magazin Royale“ eingenommen hatte: die des Satireclowns, der jedoch immer wieder auch mit ernsten Investigativrecherchen für Aufsehen und Debatten sorgt.

Der Journalist Hans Jessen erklärt im Podcast „Aufwachen“ zum Fall: „Quellenschutz und Informantenschutz sind im Journalismus ein Grundprinzip. Dazu brauche ich gar keine Verschwiegenheitserklärung.“ Stimmten die Darstellungen Hessenthalers so, dann habe der Moderator ein wesentliches journalistisches Grundprinzip verletzt. Das gelte auch für den Satiriker Böhmermann: „Er ist ausgebildeter Journalist, er kommt vom selben Sender, bei dem ich auch gearbeitet habe, Radio Bremen.“

„Correctiv“ widmete dem Fall einen längeren Text, in dem es das Anwaltsschreiben thematisiert und die Wichtigkeit des Quellenschutzes in den Vordergrund stellt. Böhmermann spiele gern mit seiner Rolle, heißt es dort. Auf der einen Seite sei er Komiker, auf der anderen Seite aber auch jemand, der „mit harten Fakten Missstände anprangert und nicht selten Wirkung erzielt“. In offenbar einem Fall seien auch journalistische Prinzipien verschwommen.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier kommentierte den Artikel und das Anwaltsschreiben kurz und knapp auf Twitter: „Jan Böhmermann ist so ein Lappen.“

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Was Böhmermann zum Fall sagt

Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat Böhmermann zum Fall angefragt und dem Moderator einen Fragenkatalog zukommen lassen. Unter anderem geht es um die Frage, wie sich der Fall seiner Ansicht nach denn wirklich abgespielt hat. Keine dieser Fragen beantwortet der Moderator – jedoch geht Böhmermann indirekt auf das viel kritisierte Anwaltsschreiben ein. In seiner Antwort kritisiert er seinerseits das Rechercheportal „Correctiv“.

„Ich habe versucht, die Redaktion und die Redaktionsleitung von correctiv.org in zahlreichen persönlichen und ausführlichen Gesprächen auf Fehler, Falschbehauptungen und kritische Auslassungen in ihrer Story und auf die nicht ausreichend offengelegten persönlichen Verwicklungen des Autors in dieser Sache hinzuweisen“, schreibt Böhmermann dem RND. „Erst nach einem informellen Schreiben wurde der Text in Teilen korrigiert, zahlreiche kritische Auslassungen bestehen weiterhin.“

Was genau das bedeuten soll, was angeblich ausgelassen und verfälscht wurde, erklärt Böhmermann nicht. Der Autor, Jean Peters, hatte seine Beteilung am damaligen Gespräch im Text offengelegt. Das Portal „Correctiv“ hatte die Vorwürfe gegen Böhmermann aber auch gar nicht in die Welt gesetzt – es war Hessenthaler selbst bei „Jung & Naiv“. Justus von Daniels, Chefredakteur von „Correctiv“, sagt dem RND, man halte an den Recherchen und den beiden veröffentlichten Texten fest und habe darüber hinaus nichts zu den Vorwürfen Böhmermanns zu sagen.

Recherchepartner konfrontieren „ZDF Magazin Royale“

Wer durchaus etwas sagen möchte, sind die Recherchepartner Böhmermanns. Regelmäßig arbeitet die Redaktion seines „ZDF Magazin Royale“ mit Partnern für große Recherchen zusammen. Zuletzt für eine Sendung über Waffen, etwa mit dem Berliner „Tagesspiegel“.

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Dennis Pohl, Redakteur im Ressort Story, erklärt dem RND, der Fall habe zumindest intern Diskussionen ausgelöst. „Quellenschutz ist für uns, vor allem bei sensiblen Recherchen, einer der zentralsten Punkte des seriösen Journalismus“, betont der Journalist. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe habe man auch Kontakt zur Redaktion des „ZDF Magazin Royale“ gesucht und den Fall mit dieser „offen und direkt“ besprochen sowie die Sicht der Journalistinnen und Journalisten zum Fall eingeholt. „Dabei haben wir mehrfach unterstrichen, dass Quellenschutz für uns zentral und nicht verhandelbar ist.“

Konsequenzen aus dem Fall zieht der „Tagesspiegel“ aber vorerst nicht. Die Redaktion des „ZDF Magazin Royale“ habe man „als äußerst professionelle Kolleg:innen erlebt, die mit ihrer Arbeit höchsten journalistischen Standards gerecht werden. Deshalb können wir uns gut vorstellen, je nach Thema erneut mit der Redaktion zusammenzuarbeiten. Dabei würden wir jedoch selbstverständlich auf die Einhaltung der journalistischen Grundsätze unserer Redaktion bestehen.“

Das Portal „Krautreporter“, mit dem das „ZDF Magazin Royale“ zum Thema Waldorfschulen zusammengearbeitet hatte, erklärt: „Jan Böhmermanns mögliches Fehlverhalten im Ibiza-Fall hat auf unsere Zusammenarbeit mit seiner Redaktion keine Auswirkungen. Wir haben im Herbst 2022 mit der Redaktion des ZDF Magazins unter ihrer Chefredakteurin Hanna Herbst zusammengearbeitet. Diese Zusammenarbeit mit dieser Redaktion ist nach wie vor von gegenseitigem Vertrauen geprägt.“

Wer so schnell wohl nicht mehr mit dem „ZDF Magazin Royale“ kooperieren wird, ist das Recherchezentrum „Correctiv“. Im aktuellen Text zum Fall Böhmermann stellt Chefredakteur von Daniels klar: „Ohne klaren Quellenschutz ist kein investigatives Arbeiten – auch nicht in Kooperation – möglich.“

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