„Jetzt habe ich den Überblick verloren“: So lief „Wetten, dass..?“ im ZDF
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Retroshow mit Stammpersonal: Thomas Gottschalk freut sich in der Jubiläumsshow „Wetten, dass..?“ mit Co-Moderatorin Michelle Hunziker.
© Quelle: Daniel Karmann/dpa
Natürlich hat er überzogen. Überziehen gehört schließlich zur Folklore dieser Sendung, die ohne ordentlich Nachschlag gar nicht offiziell gültig wäre. 31 Minuten und 54 Sekunden lag Thomas Gottschalk am Ende über dem Plansoll. Das ZDF hätte ihn gewiss auch noch tiefer in die Nacht weitersenden lassen, denn wann gab es das zuletzt: dass eine Samstagabendshow noch einmal die Nation aufwühlt? „Ich lasse mir heute Zeit“, drohte er schon zu Beginn. Er kam, sah und überzog.
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„Wetten, dass..?“ war also wieder da. An einem Samstag um 20.15 Uhr. Live aus der Messehalle drei in Nürnberg. Mit Abba und Udo Lindenberg. Es war, als sei plötzlich wieder 1981 und wir alle seien 40 Jahre jünger. In einer Art nostalgischer Aufwallung hat das ZDF ein Sentimentalitätsexperiment gewagt: Wetten, dass der Sender es schafft, mit Baggerwette und allerhand Mietstars noch einmal dieses warme Bademantelgefühl zu erzeugen, dem die Generation Golf seit Jahrzehnten hinterhergreint und das symbolhaft für die Unschuld der Achtzigerjahre steht? Am Ende der überlangen Sonderausgabe muss man sagen: Wette gewonnen, Experiment leidlich geglückt – wir sehen uns im nächsten Jahr.
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„Die Legende des Samstagabends“ (ZDF), angetan in einem edlen Goldbrokat-Uniformnachbau, erhielt gleich zu Beginn vier Minuten lang Standing Ovations. Die Sehnsucht schien groß, den „göttlichen Buben“ (Martin Walser) wieder dort zu sehen, wo er sich beruflich immer am liebsten aufgehalten hat: im „Wetten, dass..?“-Studio. „Macht ruhig ohne mich weiter“, scherzte er in den Jubel hinein. „Ich freue mich, dass ihr euch freut. Hört auf! Ich will hier nicht vor Rührung zerfließen.“ Angst vor einem Shitstorm? „Ich bin der Meinung: Ab einem gewissen Alter kann einem vieles egal sein, und ich habe dieses Alter erreicht.“
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Ist Gottschalk älter geworden? Gewiss. Es gibt keine echte Alternative zum Älterwerden. Seine etwas putzige Fahrigkeit sorgte für eine gewisse Lässigkeit, was die Zeitplanung angeht. Ohne Michelle Hunziker vom Bundesfreiwilligendienst für alternde Starmoderatoren hätte sich der Mann womöglich noch ein bisschen öfter verzettelt. „Ich habe kurz den Überblick verloren“, sagte er schon um 20.40 Uhr. Das war phasenweise betreutes Moderieren. Aber es blieb fröhlich. Vorname des Gastes Svenja Jung vergessen? Was soll’s? Es ist „Wetten, dass...?“. Ist doch okay.
Nein, Helene Fischers Babybauch war nicht zu sehen
„Wir werden uns erinnern, / Denn das hier ist groß“, sang Helene Fischer zwischendurch, gewandet in ein weißes Michael-Jackson-Gedächtnis-Flatteroberteil samt Windmaschine. „Heut’ Nacht wird keiner schlafen, / Das weiß ich genau“. Sie meinte dann aber gar nicht „Wetten, dass..?“.
Die wichtigste Boulevardfrage des Abends: Nein, man konnte Helene Fischers Babybauch noch nicht erkennen, trotz des „Glanzes in deinen Augen“ (Michelle Hunziker). Selbstverständlich war sie an diesem Abend Patin der Kinderwette (Fischer: „Wer hätte das gedacht?!“).
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„Ich hab viel dummes Zeug erzählt“
Eigentlich hätte das Special schon vor einem Jahr über die Bühne gehen sollen. Doch die Corona-Pandemie machte dem ZDF einen Strich durch die Rechnung. „Wetten dass..?“ dürfe einfach keine „Notausgabe“ sein, hatte Gottschalk damals gesagt. Es müsse eine Party sein, und zwar eine Nostalgieparty: „Ich hab viel dummes Zeug erzählt, aber es hat mir und es hat allen, die zugeschaut haben, Spaß gemacht.“ Das war in der Messehalle drei in Nürnberg im Prinzip auch der Fall, wenn auch – so ehrlich muss man sein – nicht durchgehend. Die Show war wie ein Fenster in eine andere TV-Epoche. „Es geht im Fernsehen nicht darum, besonders hart zu sein, sondern besonders originell“, sagte Heufer-Umlauf. Es war das Wort zum Sonntag.
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Benny Andersson von Abba begrüßt Thomas Gottschalk bei „Wetten, dass ...?“.
© Quelle: Getty Images
Gegen Nostalgie ist nichts einzuwenden. Ein guter Schuss Vorzeitverklärung macht das Leben retrospektiv bunter, und warum auch nicht? Wenn wir ehrlich sind, war „Wetten, dass..?“ schon zu Lebzeiten kein Abbild des Zeitgeistes mehr, sondern eine fröhliche Leistungsshow der Gestrigkeit. „Nachdem der Moderator sich mit dem Zeitgeist schwer tut, wird man das auch der Show anmerken“, hatte Gottschalk zuvor angekündigt, um bloß keine falschen Erwartungen zu wecken. So kam es.
Gottschalk: Wie immer ein schrill gewandeter Weltumarmer
Es wäre auch albern, als Thomas Gottschalk jetzt plötzlich mit Tiktok-Filmchen anzufangen, wo alle Welt große Bagger und Helene Fischer erwartet. „Influencer müssen draußen bleiben“, sagte er vor der Show. Trotzdem durften dann doch die Social-Media-Zwillinge Lisa und Lena („Mega!“) sich backstage als „Reporterinnen“ verdingen und ihr übliches Tun tun, auf dem im Kern kein Segen lastet.
In der Tat war Gottschalk einfach der, der er ist: Gottschalk. Ein gewohnt schrill gewandeter Weltumarmer, in dessen Hirn, wie sein Kumpel Günther Jauch mal gesagt hat, „immer eine Rasterfahndung nach dem nächsten Gag läuft“. Gelegentlich lief diese Fahndung auch in Nürnberg ins Leere („Bei manchem Frauchen weiß man ja nicht mehr, ob die in die Plastik- oder Biotonne gehört“), aber eine Handvoll Treffer war dann doch dabei („Wir sind alle geimpft, getestet und genesen – ich bin sogar geduscht“).
„Den nötigen Ernst bringen Joko und Klaas mit“
Noch lustiger als der Gastgeber selbst waren die Gäste Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf („Wir waren ja schon mal bei ‚Wetten, dass..?‘, aber bei Lanz“), denen der einzige Relevanzmoment des Abends gehörte: als sie an das Schicksal der Menschen im Flüchtlingslager Moria erinnerten. „Ich wusste: Den nötigen Ernst bringen Joko und Klaas mit“, scherzte Gottschalk. Seine Erben blickten milde. Sie wissen: Die Zukunft im deutschen Fernsehen gehört ihnen.
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TV-Legenden unter sich: Frank Elstner als Gast von Thomas Gottschalk bei „Wetten, dass...?“.
© Quelle: Getty Images
Und die Wetten? Ein hyperaktives Hündchen trennte artig Müll (gewonnen) – eine deutschere Wette ist kaum denkbar. Ein Achtjähriger namens Emil kletterte mit den Füßen an den Halteschlaufen einer U-Bahn entlang durch den Zug (gewonnen). Ein Geografie-Nerd namens Leon im bunten Hemd warf leidlich erfolgreich Dartpfeile auf ausgewählte Länder, ohne die Weltkarte zu sehen (knapp verloren, aber Wettkönig!). Bei der erfreulich spektakulären Außenwette lieferten sich Feuerwehrleute auf einem mit Wasserkraft aus Feuerwehrschläuchen angetriebenen Gefährt ein Duell mit vier Topsprintern über zwei Stadionrunden (gewonnen). Eine überaus fröhliche Frau erkannte Lieder am Geräusch, das ihre Schwester mit einer Klobürste in einer Toilette erzeugte (gewonnen). Und ein Baggerfahrer fing mit der Schaufel Frisbeescheiben ein (knapp verloren).
Die Hälfte von Abba war nicht genug
Der meisterwartete Auftritt des Abends geriet eher unspektakulär: Die Abba-Granden Björn Ulvaeus und Benny Andersson gaben sich die Ehre, umjubelt wie ein universelles Heilmittel gegen die Zumutungen der bösen Welt, was Abba ja im Prinzip auch ist. Gewiss, man freue sich über das Interesse am Comeback. Nein, man habe nicht bloß alte Lieder aus der Schublade geholt. Bleibendes oder gar Erhellendes berichteten Björn und Benny nicht, es blieb bei oberflächlicher Legendenbestaunung. „Wir haben kein Mädchen?!“, beklagten sie spielerisch, als sie (zufällig) als Wetteinsatz ihren Hit „S.O.S“ singen sollten. Zum Glück sprang (zufällig) Helene Fischer ein. Man musste dann aber auch schnell zum Flieger. Die Hälfte von Abba war nicht genug.
Die Sehnsucht nach einem vermeintlich besseren Gestern aber – das zeigte der Abend in Nürnberg – ist groß in diesem Land. Die Abba-Damen freilich ließen sich nicht blicken. Ihre Euphorie angesichts des Revivals soll sich in Grenzen halten, aber es muss halt auch bei Millionären Essen auf den Tisch.
54 Prozent der Deutschen wollen einmal im Jahr „Wetten, dass..?“ sehen
Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der guten alten „Hörzu“ hätten 54 Prozent der befragten Bürger Interesse an einer jährlichen Sonderausgabe von „Wetten dass..?“. Hat die Idee Zukunft? Gewiss. Auch wenn man sich am Sonnabend zwischendurch daran erinnert fühlte, dass „Wetten, dass..?“ schon immer auch Läääängen hatte. Die dramaturgische Lahmarschigkeit gerät ja gern in Vergessenheit, wenn sich der Schleier der Nostalgie über frühere Fernseherlebnisse legt. Auf manch heutiges Kind muss der Zinnober gewirkt haben wie richtiges Fernsehen in Zeitlupe und mit vielen seltsamen Erwachsenen.
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Alles wie immer bei „Wetten, dass..?“ – bloß die Welt drumherum ist eine Andere: Joko Winterscheidt (von links nach rechts), Klaas Heufer-Umlauf, Heino Ferch, Svenja Jung, Helene Fischer und Michelle Hunziker verfolgen in Nürnberg eine Wette.
© Quelle: Daniel Karmann/dpa
Alles wie immer also bei „Wetten, dass..?“. Bloß die Welt drumherum ist inzwischen eine andere. Möglich, dass die Zukunft des linearen Fernsehens in der Vergangenheit liegt, im Schaffen von Lagerfeuermomenten. Einen Schuss frischer, heutiger und lebendiger darf aber auch der Showdinosaurier „Wetten, dass..?“ sein, Lagerfeuer hin oder her.
Elstners Erfindung taugt nur noch als sentimentale Retroshow
Die letzte (Bagger-)Wette präsentierte dann Showerfinder Frank Elstner. Standing Ovations in der Halle für den Mann, der Bürokratie, Baggerwetten und Besuch aus Übersee zu einem Showkonzept vereint hat, das 30 Jahre lang den Zeitgeist spiegelte, heute aber nur noch als sentimentale Retroshow taugt. „Frank hat die erste Wette präsentiert, er soll auch die letzte präsentieren“, sagte Gottschalk vor dem finalen Baggereinsatz. Hier irrte der Moderator. Es wird nicht die letzte Ausgabe dieser Show gewesen sein. Wetten, dass …?