Lena Meyer-Landrut: „Ich bin jetzt 30, und ich mache mir wirklich Sorgen. Ich habe richtig Angst“
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„Ich bin einfach nicht mehr so egoistisch. Es geht mir in der Show nicht mehr so sehr um mich selbst“: Lena Meyer-Landrut im Studio von „The Voice Kids“.
© Quelle: Pro7
Lena Meyer-Landrut, geboren 1991 in Hannover, gewann 2010 im Alter von 18 Jahren mit dem Titel „Satellite“ den Eurovision Song Contest. Seitdem hat sie mehrere Alben veröffentlicht und arbeitete als Synchronsprecherin, Modeunternehmerin und TV-Persönlichkeit, etwa als Jurymitglied der Castingshow „The Voice Kids“. Die zehnte Staffel der Sendung ist ab Freitag, 4. März 2022, bei Sat.1 zu sehen.
Frau Meyer-Landrut, „The Voice Kids“ geht in die zehnte Runde, Sie sind zum siebten Mal in der Jury dabei. Ab wann gilt man eigentlich offiziell als alter Hase im Showgeschäft?
So langsam dürfte es so weit sein. Es gibt ja inzwischen Menschen, mit denen ich fast zwölf Jahre beruflich zusammenarbeite. Zwölf Jahre! Das ist krass.
In Staffel eins waren Sie 21 Jahre alt – also gar nicht so weit weg von den ältesten Kindern in der Show. Jetzt sind Sie 30. Wie hat sich Ihre Rolle in der Show dadurch verändert?
Im Rückblick denke ich: Was habe ich den Kindern damals bloß erzählt? Ich bin ruhiger geworden und überlegter, aber nicht nur in der Show, sondern generell. Meine Prioritäten haben sich verschoben und auch mein Verständnis von meinem Job. Mit 21 hab ich mich damals einfach gefreut, Coach sein zu dürfen. Ich wollte auch unbedingt gewinnen mit den Kindern, es war alles cool, leicht und witzig. Jetzt habe ich einen ganz anderen Durchblick, was meinen Beruf angeht. Es ist ein bisschen entzaubernd – aber das macht es für die Kinder gleichzeitig ein bisschen zauberhafter.
Ich bin einfach nicht mehr so egoistisch. Es geht mir in der Show nicht mehr so sehr um mich selbst.
Lena Meyer-Landrut
Sind Sie mehr große Schwester oder Mutter der Kompanie als zu Beginn?
Ich bin einfach nicht mehr so egoistisch. Es geht mir in der Show nicht mehr so sehr um mich selbst. Das klingt ein bisschen seltsam, aber es stimmt. Ich denke strategischer, aber das tut der Show und den Kindern gut. Die sollen eine gute Zeit haben. Natürlich spielt für mich eine Rolle, dass ich meinen Job gut mache, wie ich aussehe, was ich sage und was das für mein Image bedeutet. Aber das steht nicht mehr an erster Stelle. Früher war das intuitiv der Fall. Mir fehlte einfach das Wissen, dass ich Entscheidungen treffen kann und darf und vieles in meiner Hand liegt.
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Mit den Jurykollegen bei „The Voice Kids“: Lena Meyer-Landrut (Mitte) mit (von links) Wincent Weiss, Smudo und Michi Beck von den „Fantastischen Vier“ sowie Alvaro Soler.
© Quelle: Pro7
Wie war es eigentlich für Sie im letzten Jahr, 30 zu werden?
Das hat schon etwas gemacht mit mir. Das war nicht nur so eine Zahl. Das liegt aber auch daran, dass die letzten zwei Jahre sowieso eine intensive Zeit des Erwachsenwerdens für mich waren, unter anderem auch wegen Corona.
Für sehr viele Menschen sind die Zwanziger die Party- und Ausprobierjahre, die Experimentierzeit im Leben. Corona hat das nun einer ganzen Generation versaut. Wie nehmen Sie das wahr als jemand, der selbst nicht alle Freiheiten hatte beim Großwerden?
Ich kann von mir sagen, dass meine Zwanzigerjahre sich ähnlich anfühlten wie eine sehr lange Corona-Phase – was Erfahrungen, Partys und das eigene Erproben von Grenzen angeht. Das lag daran, dass ich mich natürlich durch meine Bekanntheit sehr eingeschränkt gefühlt habe. Ich musste mich selbst schützen und habe mir deshalb viele Dinge nicht erlaubt, die ich andernfalls wahrscheinlich ausprobiert hätte – wenn ich nicht im Licht der Öffentlichkeit immer damit hätte rechnen müssen, dass das jemand fotografiert und es in der Yellow Press landet. Deshalb kann ich das Gefühl, etwas zu verpassen, sehr gut nachvollziehen.
WG-Partys, Clubnächte – ich hatte das alles nicht. Und es gab eine Zeit, in der ich darüber sehr traurig war. Aber es ging einfach nicht. Das lässt sich nicht nachholen, das ist verloren.
Lena Meyer-Landrut
Was sind das für Erfahrungen, die Ihnen fehlen?
Das sind WG-Partys, Clubnächte – ich hatte das alles nicht. Und es gab eine Zeit, in der ich darüber sehr traurig war. Aber es ging einfach nicht. Das lässt sich nicht nachholen, das ist verloren. Ich war natürlich auch mal betrunken oder angeschickert, aber das war immer in irgendwelchen Backstagebereichen in geschützter Umgebung. Es gab niemals Eskapaden, wilde Szenarien, Grenzgänge. Im Nachhinein bin ich zufrieden mit der Entscheidung, darauf verzichtet zu haben, weil mich diese Dinge im Kern sowieso nicht ausmachen und so etwas, wenn es öffentlich wird, sehr schnell zum Stempel werden kann. Aber eine Zeit lang war ich wirklich sehr traurig darüber, das verpasst zu haben. Umgekehrt bringt Bekanntheit natürlich auch viele Vorteile mit sich. Ich habe eben andere Grenzerfahrungen gemacht. Ich habe Dinge erlebt, die fast alle Gleichaltrigen nicht erlebt haben. Das relativiert die Trauer über das, was ich verpasst habe, wieder. Das ist eben meine Geschichte. Das ist so. Ich habe auch etwas Wertvolles erhalten dafür.
Glauben Sie, es hat Folgen, dass die heute Jüngeren auf sehr viele Erfahrungen verzichten müssen, dass sie also unter viel stärkeren Einschränkungen erwachsen werden?
Ich glaube, es ist nicht alles nur schlecht, was mit Corona einherging. Vieles ist natürlich übel, aber irgendetwas Gutes lässt sich selbst aus dieser Zeit ziehen. Das hoffe ich zumindest. Es liegt ja auch viel an jedem Einzelnen, solche Erfahrungen am Ende ins Positive zu wenden.
Sie meinen die Entschleunigung oder das innere Zurücknehmen. „Mein Bedürfnis, Erwartungen gerecht zu werden, lässt immer mehr nach“, haben Sie mal gesagt. Die Voraussetzung dafür ist Selbstsicherheit. Was tun Sie, um innere Stärke zu fördern?
Daran arbeite ich jeden Tag. Ich muss viel zur Ruhe kommen und über die Dinge nachdenken, sie von allen Seiten beleuchten. Ich frage sehr oft nach dem „Warum“. Warum finde ich das schlimm? Warum möchte ich dies oder das nicht oder doch? Ich stelle mir all diese Fragen selbst, um eine ehrliche Antwort zu finden auf die Frage: Was will ich wirklich?
Kann das sein, dass Sie manchmal radikale Schnitte brauchen? Es gehört Mut dazu, zum Beispiel ein Album zu verwerfen, alle Bilder bei Instagram zu löschen oder eine Tour abzusagen, weil man mit dem Stand der Dinge nicht glücklich ist … Sind Sie so ein Katharsis-Typ?
Ja. Offensichtlich bin ich das. Das ist natürlich auch mal anstrengend, vor allem für mein Umfeld, wenn man so extrem ist. Aber die Radikalität hat schon nachgelassen. Ich fordere mich gern selbst dazu heraus zu reflektieren. Gedanken machen es einem ja nicht immer recht.
Es gibt diesen Satz: „Es ist gefährlich, über alles nachzudenken, was einem gerade einfällt.“
Mir hilft es sehr, meine Familie und Freunde einzubeziehen und auch externe Leute. Ich höre schon viel auf mein Bauchgefühl, aber auch mal auf andere. Ein Bauchgefühl liegt ja auch nicht immer richtig, es kann ja zum Beispiel auch durch Angst ausgelöst werden.
Stichwort Umfeld: Robert De Niro hat mal gesagt: „Das Härteste am Berühmtsein ist, dass die Leute immer nett zu einem sind. Man führt ein Gespräch, und alle stimmen dem zu, was man sagt – selbst wenn es völlig bekloppt ist. Du brauchst Menschen, die dir sagen können, was du nicht hören willst.“ Kennen Sie das Phänomen?
Ja. Auf jeden Fall. Das gibt‘s tatsächlich: Menschen, die immer Ja sagen. Zum Glück habe ich auch andere Menschen in meinem Leben. Ich versuche immer, offen zu bleiben für verschiedene Meinungen.
Ich habe die Angst verloren zuzugeben, dass ich als Jugendliche und junge Erwachsene politisch und geschichtlich nicht interessiert war. Im Nachhinein finde ich das total krass, ein bisschen schäme ich mich auch dafür, aber es war eben so. Das hat sich extrem verändert.
Lena Meyer-Landrut
Sie haben kürzlich gesagt, dass Ihr Interesse an Politik stark gewachsen ist. Was meinen Sie damit und wie kam es dazu?
Ich glaube, das hat auch mit dem Alter zu tun. Ich habe die Angst verloren zuzugeben, dass ich als Jugendliche und junge Erwachsene politisch und geschichtlich nicht interessiert war. Im Nachhinein finde ich das total krass, ein bisschen schäme ich mich auch dafür, aber es war eben so. Das hat sich extrem verändert. Deshalb habe ich öfter eine Meinung und eine Haltung und gebe diese auch öffentlich preis. Mir ist das wichtig. Auch wenn man mit Meinungen natürlich immer vorsichtig sein sollte.
Ich glaube, bei vielen verschwimmt gerade der Blick dafür, wie wichtig Quellen sind. Die konsumieren völlig wahllos und können gar nicht mehr einschätzen, was einem da alles präsentiert wird, egal, ob als Text oder visuell bei Instagram. Ich bin jetzt 30, und ich mache mir wirklich Sorgen darüber. Ich habe richtig Angst.
Lena Meyer-Landrut
Eine Meinung zu haben geht immer schnell.
Ja! Dieser Ausdruck „Ich finde …“ ist so dermaßen häufig geworden. Das Internet ist voll von „Ich finde …“. Man wird überrollt mit unqualifizierten Meinungen von verschrobenen, angstgeleiteten Personen. Es ist so schwer und überfordernd. Das Netz ist ein gefährliches Medium geworden. Und so viele wissen gar nicht, was sie da lesen und woher es kommt. Ich erinnere mich an einen Dialog zwischen einem Kommissar und einer Zeugin in einem Film. Die Frau sagt etwas, und der Kommissar fragt: „Woher haben Sie das?“ Und die Frau antwortet: „Ich hab‘s gelesen.“ – „Ja, wo denn?“ – „Na, im Internet.“ – „Aber wo genau denn im Internet?“ – „Wie, wo genau? Im Internet halt!“ Das war für sie die Quelle. Ich glaube, bei vielen verschwimmt gerade der Blick dafür, wie wichtig Quellen sind. Die konsumieren völlig wahllos und können gar nicht mehr einschätzen, was einem da alles präsentiert wird, egal, ob als Text oder visuell bei Instagram. Ich bin jetzt 30, und ich mache mir wirklich Sorgen darüber. Ich habe richtig Angst.
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„Es geht mir in der Show nicht mehr so sehr um mich selbst“: Lena Meyer-Landrut im Studio von „The Voice Kids“.
© Quelle: Pro7
Und Sie haben es ja am eigenen Leib erlebt. Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand vorstellen kann, wie das ist und was es bedeutet, von 80 Millionen Menschen permanent beurteilt zu werden. Können Sie verstehen, dass Menschen sich dermaßen in parallelen Denkwelten verlieren, dass sie zum Beispiel Corona leugnen und mit Nazis in ihren Reihen demonstrieren?
Verständnis habe ich dafür nicht. Aber ich kann nachvollziehen, wie so etwas passiert. Wenn ich mir überlege, was es früher für Hürden gab, bevor etwas veröffentlicht wurde, wer überhaupt öffentlich schreiben durfte und wie Artikel durch verschiedene Korrektur- und Verifizierungsschleifen gingen, bevor sie gedruckt wurden. Das waren meist Texte von Journalisten, die sich wirklich intensiv mit einem Thema auseinandergesetzt haben. Heute dagegen muss jeden Tag eine bestimmte Menge Geschriebenes online veröffentlicht werden, um genügend Klicks zu generieren. Und je mehr Output entsteht, desto egaler wird er. Ich hoffe, dass die nächste Generation das lernt: zu filtern und zu sortieren. Es ist ein solcher irrer Überfluss.
Fridays for Future macht mir auf jeden Fall Hoffnung. Was bleibt einem denn als Hoffnung? Ein Teil der Jüngeren versteht, wie wichtig Entschleunigung ist. Die sehen den Egoismus und den Narzissmus der Gegenwart sehr klar und verfallen dem nicht.
Lena Meyer-Landrut
Macht Ihnen die nächste Generation Hoffnung – auch mit Blick auf Fridays for Future, auf die Klimaproteste, den Kampf gegen die Ignoranz der Älteren?
Das macht mir auf jeden Fall Hoffnung. Was bleibt einem denn als Hoffnung? Ein Teil der Jüngeren versteht, wie wichtig Entschleunigung ist. Die sehen den Egoismus und den Narzissmus der Gegenwart sehr klar und verfallen dem nicht. Ich glaube nicht, dass die Welt insgesamt langsamer werden wird. Das wird nicht passieren. Aber wir haben als einzelne Menschen Einfluss darauf, wie schnell oder langsam wir selbst leben und handeln. Schnelligkeit ist ein großer Teil unseres Verderbens: immer schneller, immer mehr, immer weiter, immer höher, immer mehr Output, immer mehr Input, mehr reisen, schöner sein, schlauer sein, reicher sein – all das fühlt sich für mich richtig giftig und schädlich an. Ich will auch mehr. Aber ich will auch zufrieden sein.
Es sind im Moment ziemlich harte Zeiten – nicht nur, aber auch für Künstler. Fehlen Ihnen Livekonzerte?
Viele haben ja irgendwelche Picknickkonzerte oder Autokonzerte gespielt, ständig neue Musik herausgebracht. Ich hab die Zwangspause schon genossen und gern angenommen …
… und ja auch sinnvoll gefüllt.
Ich bin jetzt nicht direkt begierig darauf, dass Auftritte und Termine wieder zunehmen. Aber ich merke natürlich schon, dass es mir als Teil meines Lebens fehlt zu reisen, mit der Band zusammen zu sein oder wieder kreativ zu arbeiten. Es ist eine Frage der Dosis. Auf Dauer ist Dauerlockdown ja nicht gesund.
Existenzielle Ängste müssen Sie aber nicht haben?
Zum Glück nicht. Ich bin aber auch kein verschwenderischer Mensch. Auf das Geld, das ich verdiene, passe ich sehr gut auf. Ich kenne aus meiner Kindheit die ständige Sorge, ab morgen kein Geld mehr zu haben. Ich komme aus einer Familie, in der wir zwar nicht gehungert haben – aber wir mussten schon immer aufs Geld achten. Und wenn man dieses Gefühl kennt, ist man vorsichtig. Oder man wird das genaue Gegenteil.
Frau Meyer-Landrut, vielen Dank für das Gespräch.