Lustiges deutsches Fernsehen? Doch, das gibt’s: Das „Browser Ballett“ wird zur Sitcom

Star seiner eigenen Sitcom: Autor und Blogger Schlecky Silberstein.

Star seiner eigenen Sitcom: Autor und Blogger Schlecky Silberstein.

Das Wehklagen über den Zustand der deutschen Sitcom gehört zum Grund­rauschen hiesiger Medien­kritik. Made in Germany? Kann nicht lustig sein. Mieses Timing, miese Texte, Klischees. Das feuilletonistische Suhlen im vermeintlichen Elend hatte immer auch einen Hauch von muffiger Mentalitäts­klage: Deutschland sei prinzipiell so unlocker! Man schaue bitte mal nach England, in die USA! Diese Schwarz­humorigkeit! Diese Selbst­ironie! Humor als Hand­werk! Dem steifhüftigen Deutschen dagegen, so der Tenor, fehle einfach jedes Gespür für Komik.

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Das Ergebnis hiesiger Humor­bemühungen in Serie war tatsächlich oft biedere TV-Hausmanns­kost à la „Ritas Welt“, „Hausmeister Krause“ oder „Das Amt“. Andererseits konnte, wer wollte, auch immer Perlen entdecken, denn „Pastewka“, „Der Tatortreiniger“, „Mord mit Aussicht“, „Stromberg“ oder „Jerks“ sind am Ende auch deutsche Sitcoms, wenn auch nicht in Reinkultur.

„Eine Mischung aus ‚Wetten, dass...?‘, ‚Eine schrecklich nette Familie‘ und ‚Hamlet‘“: Mastermind Schlecky Silberstein in seiner Show „Browser Ballett“.

„Eine Mischung aus ‚Wetten, dass...?‘, ‚Eine schrecklich nette Familie‘ und ‚Hamlet‘“: Mastermind Schlecky Silberstein in seiner Show „Browser Ballett“.

Zuletzt mehrten sich die Anzeichen, dass die deutsche Comedy wieder stabil Anschluss an den Zeitgeist gefunden hat – zumindest im Subgenre der fiesen kleinen Serie. Politische Satiren wie „Eichwald, MdB“ (ZDF) oder „Parlament“ (france.tv, BeTV, WDR), dessen zweite Staffel gerade abgedreht ist, gerieten überraschend komisch, klug und schwer unterhaltsam. Alltagssitcoms wie „Check, Check“ (Joyn/Pro Sieben) mit dem großartigen Klaas Heufer-Umlauf als Flughafen­mitarbeiter wider Willen oder „Warten auf’n Bus“ (ARD) mit Ronald Zehrfeld und Felix Kramer verknüpfen Scherz und Tiefe auf das Feinste.

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Das ZDF nahm sich im leider nie fortgesetzten „Lerchenberg“ putzmunter selber hoch – und selbst die rumpelige, alte Provinzbüro­sitcom hat mit „Frau Jordan stellt gleich“ (Joyn/Pro Sieben) und Katrin Bauerfeind als rotzcooler Gleichstellungs­beauftragter ein zeitgemäßes Update erhalten.

Schlecky Silbersteins bunte Tüte des Wahnsinns

Als fruchtbares Gärbecken für fröhlichen Zinnober aller Art erwies sich immer wieder das ARD/ZDF-Jugend­portal Funk. Im digitalen Schlaraffen­land der Öffentlich-Rechtlichen ist endlich wieder Raum auch für Experimente mit gehobenem Blödsinn. Das „Browser Ballett“ etwa, Schlecky Silbersteins bunte Tüte des Wahnsinns, hatte seinen Ursprung im digitalen Bällebad von ARD und ZDF, hat seither aber eine erstaunliche Wahrnehmungs­karriere hingelegt: Seit Dezember 2020 wird die Show im Ersten ausgestrahlt. Für den farben­prächtigen Genremix gab es 2019 den Grimmepreis in der Kategorie Kinder und Jugend. Nun startet die neue Staffel – und tritt locker den Beweis an, dass das natürlich doch geht: lustig sein und trotzdem deutsch.

Ausgezeichnet: Schlecky Silberstein (links) und David Steinberger 2019 mit dem Grimmepreis für ihr „Bohemian Browser Ballett“.

Ausgezeichnet: Schlecky Silberstein (links) und David Steinberger 2019 mit dem Grimmepreis für ihr „Bohemian Browser Ballett“.

Silbersteins „Browser Ballett“ startete 2016 als „Bohemian Browser Ballett“. Die Grundidee war ein Late-Night-Show-artiger Mix aus Parodien, Fakedokus, Sketchen, tagesaktuellen Kommentaren in den sozialen Medien, etwa zwei frischen Youtube-Clips pro Woche und jeder Menge Memes – unter Verzicht auf die üblichen TV-Rituale. Es ist quasi die Essenz einer Late-Night-Show, geboren aus viralem Denken – Fernsehen fürs Netz also ohne die visuellen Fesseln des alten Mediums. Mastermind Schlecky Silberstein, bürgerlich Christian Brandes (40), verstand seine Show stets als „linksgrünversifften Stachel im Arsch der Revolutionäre“ und hat mit schmerzfreien Attacken mehrfach dort für Aufregung gesorgt, wo Humor unbekannt ist und intelligente Satire aus dialektischen Gründen gar nicht als solche erkannt werden kann: im rechten Lager.

Macho gegen Mahnerin, Party gegen Politik

Für die neue Runde hat Silbersteins Lustgrotte des Bizarren nun den Namen und das Gewand geändert: „Browser Ballett – Satire in Serie“ lautet der etwas schwer­gängige Titel. „Unser Ziel war eine Mischung aus ‚Wetten, dass...?‘, ‚Eine schrecklich nette Familie‘ und ‚Hamlet‘“, sagt Silberstein. „Und das ist uns verdammt noch mal gelungen!“ Die achtteilige Neuauflage ist nun eine Sitcom über den Arbeitsalltag zweier Late-Night-Hosts, gespielt von Schlecky Silberstein und Neuzugang Luise von Finckh („Deutschland 89“, „Fack ju Göhte“), aber angereichert mit den gewohnten satirischen Einspielfilmen. Das Setting ist vertraut: Von sich selbst besoffener Late-Night-Moderator im Stardelirium fühlt sich bedroht von einer jungen Idealistin. Macho gegen Mahnerin, Party gegen Politik, Wunschkonzert gegen Weltverbesserung – argwöhnisch beäugt vom selbstverständlich ebenso quotengeilen wie humorfreien Senderchef (Jonas Hien).

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Die Story mag Klischee sein, die nun etwas strukturiertere Form aber ist originell und tut der Sache gut. Domestizierungen im Fernsehen treiben grellen Formaten ja gern mal die Widerborstigkeit aus, spülen sie weich – und machen sie egaler. Nicht so in diesem Fall. Aus der wilden Collage ist ein immer mal eskalierender Erzählstrom mit funkelnden Brechungen und Unterbrechungen geworden. Das fängt schon damit an, dass die echte Redaktions­leiterin Anna Dushime auch die „falsche“ Redaktions­leiterin im „Browser Ballett“ namens Anna spielt. „Browser Ballett“ seziert tiefenscharf und clever die Mechanismen der Medienwelt. Das funktionierte schon als Clip­parade ganz hervorragend. Und das funktioniert auch als Sitcom.

„Browser Ballett – Satire in Serie“ startet am Donnerstag, 28. Oktober 2021, mit zwei Folgen in der ARD-Mediathek und um 20.15 Uhr in ONE. Sonnabend sendet Das Erste das Satireformat ab 30. Oktober um 23.40 Uhr direkt nach dem „Wort zum Sonntag“. Produziert wird die Serie von der Steinberger Silberstein GmbH aus Berlin im Auftrag des NDR und in Kooperation mit Funk. Produzent ist David Steinberger, Redaktions­leiterin Anna Dushime, Herstellungs­leiterin Nicole Kreyßel und Producerin Hala Khalid. Die Redaktion des NDR haben Dominique Ziesemer, Christian Sieh und Jasmin Wenkemann inne.

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