Medienexpertin zu 20 Jahren 9/11: „Filme können Leerstellen füllen“

Eine Szene aus Oliver Stones Film „World Trade Center“, der 2006 veröffentlicht wurde – einer Zeit, in der mehrere Filme zu den Terror­anschlägen vom 11. September erschienen.

Eine Szene aus Oliver Stones Film „World Trade Center“, der 2006 veröffentlicht wurde – einer Zeit, in der mehrere Filme zu den Terror­anschlägen vom 11. September erschienen.

Die Terror­anschläge vom 11. September in den USA sind an Samstag genau 20 Jahre her. Seitdem sind zahlreiche Filme und Serien erschienen, die sich – direkt oder indirekt, dokumentarisch oder fiktional – damit befassen. Die Medienexpertin Prof. Dr. Kathleen Loock lehrt an der Leibniz-Universität Hannover im Bereich American Studies und Media Studies und ordnet im Gespräch mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) ein, wie die Filme und Serien unsere Erinnerung an das Geschichts­ereignis prägen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Prof. Dr. Kathleen Loock, Junior­professorin für American Studies und Media Studies an der Leibniz-Universität Hannover.

Prof. Dr. Kathleen Loock, Junior­professorin für American Studies und Media Studies an der Leibniz-Universität Hannover.

Frau Loock, 9/11 ist jetzt 20 Jahre her. Wie sehr hat dieses Ereignis die Film- und Serien­landschaft beeinflusst?

Wir haben eine ganze Menge Filme, die auch zum kulturellen Gedächtnis über den 11. September beitragen. Die Terrorattacken haben auch auf die Art, wie Serien oder Filme heute erzählt werden, einen Einfluss gehabt. Man redet oft vom Post-9/11-Kino oder ‑Fernsehen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wie sieht es aktuell mit 9/11-Filmen und ‑Serien aus? Ist das noch ein Thema?

Ich glaube, dass der 11. September nach wie vor eine Rolle spielt und noch einmal viele Dokumentationen erscheinen werden. Direkt im Anschluss an die Anschläge wurde Hollywood zum Teil vorgeworfen, dass Actionfilme mit Explosionen und Terror­attacken so etwas Unvorstellbares überhaupt erst vorstellbar gemacht hätten. Menschen, die damals die Nachrichten verfolgten, meinten, es sei wie in einem Film. Sofort danach gab es wohl auch deshalb relativ wenige Filme, in denen es um Terror­angriffe auf die USA ging.

Hat sich das mit der Zeit verändert?

Einige Jahre später, in den Jahren 2004, 2005, 2006, kamen dann die großen Kinofilme, die sich mit 9/11 beschäftigen, Spielfilme, die versuchten, fast dokumentarisch zu sein und das Geschehene zu rekonstruieren. Wir haben dann also einerseits Dokumentationen wie Michael Moores „Fahrenheit 9/11“ (2004) und andererseits Filme wie Oliver Stones „World Trade Center” (2006), die einen Blick auf die Opfer und First Responders werfen, die zuerst vor Ort eintrafen, um zu helfen. Gleichzeitig schafft Stones Film eine gemeinsame Vorstellung von dem, was passiert ist, und schreibt eine Geschichte, in der die Stadt New York und auch die USA ihre Unschuld verlieren und der Kriegs­einsatz im Anschluss im Irak und gegen den Terror legitimiert wird.

Wenn man noch ein paar Jahre weitergeht: Wie entwickelt sich die filmische Darstellung der Ereignisse?

Dann geht es weniger um die Attacken selbst, sondern eher um die Auswirkungen und den Versuch, Tod, Trauer und Trauma zu verarbeiten. Das sind dann Filme wie „Reign over Me“ (2007) mit Adam Sandler und Don Cheadle oder „Remember Me“ (2010), wo es nur am Ende diesen Twist gibt, der den Film überhaupt mit dem 11. September in Verbindung bringt. Da geht es nicht mehr darum, Bilder zu wiederholen oder Leerstellen auszufüllen, die durch die televisuelle Erinnerungs­produktion auch geformt wurden, sondern mehr darum, wie man im Nachhinein mit den Anschlägen umgehen kann. Das ist etwas, das wir heute zum Teil noch sehen, wenn Filme wie „Extremely Loud & Incredibly Close“ (2011) weiter die Folgen von 9/11 erkunden. Danach sind auch immer mehr Filme und Serien wie „Homeland“ (seit 2011) dazugekommen, die sich indirekt mit den politischen Folgen, dem Krieg gegen den Terror, der Art und Weise, wie die USA auf die Attacken reagiert haben, und den langfristigen Auswirkungen kritisch auseinandersetzen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wie unterscheidet sich die Erinnerung an 9/11 bei Menschen, die es bewusst miterlebt haben, und solchen, die da noch gar nicht gelebt haben oder zu jung waren? Welche Rolle spielen da Medien und Filme?

Die Generation, die jetzt erwachsen wird, hat den 11. September gar nicht erlebt. Deren Erinnerung wird aber durch ikonische Bilder aus den Medien, die weiter zirkulieren, konstruiert. Sowohl die Bilder, die wir aus dem Fernsehen kennen, als auch die Filme und Serien prägen also die Erinnerungs­kultur und beeinflussen, wie wir die Vergangenheit, aber auch die Gegenwart verstehen. Diese medialen Repräsentationen sind auch entscheidend für die nationale Identität der USA und wie sich Amerikaner als ein Volk verstehen, das sich diesen Terror­attacken ausgesetzt sah. Ich glaube, dass da auch im Hinblick auf den Abzug aus Afghanistan noch einmal Bilanz gezogen werden wird: Was hat das eigentlich gebracht – im Sinne auch von Sicherheit vor Terror­attacken?

Die Medien und Filme prägen also unsere Erinnerung an 9/11 maßgeblich mit?

Ja, die Erinnerung an das Ereignis wird durch die Medien geprägt, und diese ikonischen Bilder aus dem Fernsehen beeinflussen weiterhin, wie 9/11 im Film behandelt wird, wie aber auch ähnliche Terrorattacken, die jetzt wieder in Filmen und Serien gezeigt werden, dargestellt werden.

Die mediale Bericht­erstattung über den 11. September war ja auch sehr besonders.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wenn man über 9/11 redet, muss man immer auch über ein globales Medien­ereignis sprechen, bei dem im Fernsehen die Erinnerungs­produktion gleichzeitig mit dem Ereignis stattgefunden hat. Nachrichten­sender wie CNN haben live übertragen und überall auf der Welt konnten Menschen simultan daran teilnehmen und konstant informiert sein. Es war sehr besonders, dass die Anschläge global verfolgt wurden. Bestimmte Bilder, Sequenzen, Video­ausschnitte wurden immer wiederholt und bekamen dadurch auch diesen ikonischen Charakter. Jeder kennt das Bild vom „Falling Man“, das kennen auch Generationen, die damals die Berichterstattung nicht live verfolgt haben.

Wie unterscheidet sich der mediale Einfluss zu Generationen, die das Ereignis noch bewusst miterlebt haben?

Wir haben Generationen, für die der 11. September ein so einschneidendes Ereignis war, dass es ein starkes Vorher-nachher-Gefühl gibt. Und es gibt eben die jüngeren Generationen, die das nur über mediatisierte Erinnerungen erleben können. Es existieren aber viele Filme, die zur Personalisierung, Dramatisierung und Emotionalisierung des Ereignisses beitragen, sodass man diese Erinnerung für sich selbst beanspruchen kann, auch wenn man 9/11 nicht selbst erlebt hat. Ich glaube das wird uns weiter beschäftigen. Das sieht man auch an immer wieder neuen Filmen über den Ersten oder den Zweiten Weltkrieg, die das historische Ereignis und seine Bedeutung Zuschauern und Zuschauerinnen näherbringen sollen.

Wie überlagern sich denn bei Menschen, die 9/11 noch erlebt haben, tatsächliche Erinnerungen und medial geschaffene?

Die Erinnerungs­forscherin Astrid Erll hat einmal geschrieben, dass das kollektive Gedächtnis ohne Medien nicht denkbar sei. Gleichzeitig spielen die Medien auch für die individuelle Erinnerung eine Rolle. Medien schaffen und zirkulieren Wissen über Vorstellungen von einer gemeinsamen Vergangenheit. Wir haben auch eigene Erinnerungen – fast jeder Mensch weiß, wo und wie er von den Anschlägen erfahren hat –, aber gerade weil der 11. September so ein Medien­ereignis war, prägen die Bilder aus den Nachrichten die Erinnerung an das, was in New York passiert ist. Das gilt auch für Leute, die vor Ort waren. Die Erinnerungen sind fragmentiert und unvollständig. Und es gibt diese Leerstellen, die Filme zum Teil füllen.

Wie kann man sich das vorstellen?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Was da am 11. September eigentlich passiert ist, ist schwer greifbar. Solche Leerstellen können Filme füllen. Selbst die persönlichen Erinnerungen sind durch Fernseh­bilder, die zeigen, wie das Flugzeug in einen der Twin Towers fliegt, von Anfang an mediatisiert. Gleichzeitig werden diese Bilder auch Teil des kollektiven Gedächtnisses, indem sie wiederholt werden und wir weltweit die gleichen Erinnerungen an die Anschläge teilen können. Filme, die das verarbeiten, zeigen Versionen der Wirklichkeit und machen eine Geschichte daraus. Diese Geschichten sind immer von Ideologien, Normen und Werten der Gesellschaft geprägt, und das beeinflusst auch unsere Wahrnehmung.

Sie haben die Leerstellen angesprochen, die durch Filme, die zum Teil fiktiv sind, gefüllt werden: Ist das nicht auch verwirrend, weil Zuschauerinnen und Zuschauer nicht immer zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden können?

Es gab um die 2010er-Jahre noch einmal eine Reihe an Filmen, bei denen tatsächlich oft kritisiert wurde, dass sie das Thema ausbeuten und nur die Emotionen der Zuschauerinnen und Zuschauer ansprechen wollen und zum Teil eher Dinge verzerren. Unter anderem wurde 2017 der Film „9/11“ mit Charlie Sheen und Whoopi Goldberg deswegen kritisiert. Bei „Remember Me“ wurde ebenfalls kritisiert, dass 9/11 als Plottwist eingesetzt worden war. Die Spielfilme, die wenige Jahre nach 9/11 produziert wurden, haben oft mit Überlebenden und Hinterbliebenen zusammen­gearbeitet und hatten deren Rückhalt, so wie „United 93“ (2006) oder Oliver Stones „World Trade Center“. Diese Filme hatten einen dokumentarischen Anspruch, auch wenn sie die Ereignisse und Figuren dramatisierten.

Widerspricht sich das nicht?

Das kann man jedenfalls stark kritisieren. Oliver Stones Film „World Trade Center“ etwa, von dem er gesagt hat, dass er überhaupt nicht politisch sei, ist sehr patriotisch, erzählt eine Helden­geschichte und spielt stark mit Musik und religiösen Bildern. Er ist darauf ausgerichtet, die Reaktion der USA zu legitimieren. Das sollte man kritisch betrachten, wurde es damals aber nicht. Ich glaube schon, dass diese dramatisierenden und emotio­nalisierenden Filme auch stark die Erinnerung daran, was am 11. September passiert ist, prägen. Da muss mit viel Vorsicht geguckt werden, was da für Geschichten erzählt werden. Es geht hier nicht um eine Eins-zu-eins-Darstellung der Wirklichkeit, sondern um Wirklichkeits- und Vergangenheits­versionen. Und die sind eben oft patriotisch geprägt und eher selten kritisch. Das kommt erst mit der Zeit, dass auch mal kritische Stimmen laut werden.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Merkt man den Filmen denn an, ob sie in den USA oder in einem anderen Land produziert wurden? Haben die USA einen anderen filmischen Blick darauf?

Ich denke schon. Es gab etwa diese Kurzfilm­sammlung „11′09″01 – September 11“ von 2002. Das sind elf Kurzfilme von internationalen Filme­machern, unter anderem von Alejandro González Iñárritu und Sean Penn. Die haben eher einen globalen Blick auf den 11. September und verbinden ihn zum Teil auch mit anderen Ereignissen wie dem Putsch am 11. September 1973 in Chile. In den USA selbst geht es sehr viel um New York. Hollywood hat direkt nach den Anschlägen zum Teil sogar Sequenzen, in denen man die Skyline am Anfang eines Films sieht, nachträglich digital bearbeitet und das World Trade Center herausradiert, damit es nicht direkt Erinnerungen wachruft. Bei „Spider-Man“ etwa wurden diese Shots aus dem schon fertigen Film entfernt. Hollywood hat da sehr vorsichtig reagiert und auch erst einmal keine Filme mehr produziert, in denen es um Terror­attacken ging.

Hat sich diese Vorsicht bis heute wieder gelegt?

Natürlich gibt es wieder Filme, in denen es um Terror­anschläge geht, rein fiktionale wie „White House Down“ (2013) und „Olympus Has Fallen“ (2013) und wieder basierend auf wahren Begebenheiten wie „Patriot’s Day“ (2016), der die Anschläge auf den Boston-Marathon von 2013 thematisiert. Aber insgesamt gibt es weniger solche Actionfilme in die Richtung. Was wir dafür etwa haben, sind Filme, die sich mit dem Krieg gegen den Terror beschäftigen, wie „Zero Dark Thirty“ oder „The Hurt Locker“, die das auch kritisch in den Blick nehmen und an die Kriegs­schauplätze gehen. Als Kontrast dazu können Superhelden­filme und ‑serien mit ihren klaren Gut-gegen-Böse-Mustern gewertet werden, die fester Bestandteil des Post-9/11-Kinos und ‑Fernsehens geworden sind.

Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken