Hawke und McGregor mit Schaufel und Spaten - Starbesetzte Dramedy „Raymond & Ray“ bei Apple TV+
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Unwillige Totengräber: Raymond (Ewan McGregor, l.) und Ray (Ethan Hawke) sollen dem ungeliebten verstorbenen Vater das Grab schaufeln. Szene aus dem Film „Raymond & Ray“, der am 21. Oktober bei Apple TV+ startet.
© Quelle: Apple TV+
Der Vater ist tot und das Sauwetter, bei dem man durch die Windschutzscheibe kaum noch die Straße erkennt, passt zu Raymonds innerem Befinden. Er ist ein Held des Anstands, nur deshalb hat er sich mit dem Auto (apropos: Vorsicht – Spoiler!) auf den Weg zur Beerdigung gemacht. Sonst hätte er glattweg abgewunken bei einem Erzeuger, den die eigenen Söhne so wenig interessiert haben, dass er Raymonds Halbbruder fantasielos den Namen Ray zugeschustert hat. Diesen Ray will Raymond unterwegs auch gleich noch auflesen.
„Wie viele Raymonds kennst du, Ray?“ fragt Raymond durch die Tür, die sich ihm erst mal nicht auftun will. Nicht viele, gewiss, aber Ray sträubt sich in seiner Holzhütte am Rand der Welt trotzdem gegen Familiäres – er hatte gerade eine Frau „zu Besuch“, hat sowieso anderes im Kopf und macht Papa Harris, den „sonofabitch“, verantwortlich für seine unterentwickelte Karriere als Musiker. Erst mal einen Kaffee, dann einiges an Raymondscher Überredungskunst, dann der gemeinsame Roadtrip. Ray schnappt sich noch schnell seine Trompete.
Ewan McGregor und Ethan Hawke glänzen als Halbbrüder
Raymond braucht Ray, denn er hat zurzeit keinen Führerschein und schon die bisherige „verbotene“ Fahrt hat ihn alle Nerven gekostet. Als Brüder auf düsterer Reise brillieren Ewan McGregor (zuletzt war er wieder in seiner Paraderolle des „Star Wars“-Helden Obi-Wan Kenobi bei Disney+ zu sehen) und Ethan Hawke (in der deftigen Abolitionswesternserie „The Good Lord Bird“ war er ein bibelschwitzender Sklavereibekämpfer John Brown).
Geheimnisse gibt es auch. „Nach allem, was er dir angetan hat?“ klopft Ray den Bruder auf dessen Motivation ab. Was der Vater dem frisch von seiner dritten Frau getrennten Sohn angetan hat, hat dann, als es laut wird, in der Tat das Zeug zu Trauma, Therapie und einer spontanen Prügelei. Es soll hier nicht verraten werden.
Regisseur García inszeniert die Dramedy mit leisem, schrulligen Humor
Das marode Herz, so erfahren die Brüder, habe am Ende den Krebs des Vaters knapp geschlagen. „Was soll der Scheiß mit dem Nacktbegrabenwerden?“ flucht Ray angesichts des unbekleideten Leichnams. „Sein Ding ist immer noch größer als unseres“, ist Raymonds lakonischer Kommentar beim Wiedersehen mit dem väterlichen Gemächt.
Der kolumbianischstämmige Regisseur und Autor Rodrigo Garcia, der Ewan McGregor in „40 Tage in der Wüste“ (2015) auch schon mal zu Gottes Sohn erhob, inszeniert seinen Film mit einem Faible für solch leisen, schrulligen Humor. Der Tote hat sich nämlich die Präsenz seiner ihm abholden Söhne am Grab nicht nur ausdrücklich gewünscht, er hat sich auch noch erbeten, sie mögen ihm eigenhändig das Grab schaufeln – so bescheidet sie der Anwalt. Eine Herausforderung – vor allem für den brodelnden Bruder Ray.
Die Söhne lernen den Vater in fremden Erinnerungen neu kennen
Und dann lernen sie peu à peu einen anderen Harris kennen. Als „großen Redner und tollen Typ“ beschreibt der Anwalt seinen toten Klienten. Als eine „sehr alte Seele“ verehrt ihn die Pflegerin Kiera (Sophie Okenedo). Und in Vaters Haus treffen Raymond und Ray auf die aparte, deutlich jüngere Lucia (Maribel Verdú, „Y tu Mama También“), die Harris‘ Geliebte war, bis zum Ende seine Freundin blieb und mit einer Überraschung aufwartet.
Jeder am Ort, so scheint es, war dem Vater gewogen. Und wer die zwei jungen Männer sind, die auf einem Bild vor einem siebenarmigen Leuchter lächeln, klärt sich später auf dem Friedhof, auf dem die zweite Hälfte des Films vorwiegend spielt. Einem herrlichen amerikanischen Sprengselfriedhof wie man ihn aus George A. Romeros „Night of The Livng Dead“ (1968), John Carpenters „Halloween“ (1978) und vielen anderen Filmen kennt.
Erzählt wird die Geschichte vom Fremdwerden der Eltern
Es ist die alte traurigschöne Geschichte von verpassten Chancen, die Garcia erzählt. Darüber, dass man die Eltern oft im Zorn zurücklässt, in ihnen die Schuldigen auch für eigene Defizite findet, sie ob dieses bequemen Narrativs vernachlässigt, bis sie zu Unbekannten geworden sind. Die oft genug nicht rechtzeitig wiederentdeckt werden, so dass man schließlich auf die Beobachtungen und Erinnerungen anderer angewiesen ist, und spürt, wie sich eine schmerzhafte Leerstelle in einem öffnet.
Entsprechend ist kaum ein Bild dieses Films anrührender als das Raymonds, der sich vor den Sarg setzt und dem Vater die Wangen streichelt, traurig ob des für immer versunkenen „unentdeckten Lands“ vor ihm. Außer vielleicht das Bild von Ray, der unter einem Himmel, der grau ist wie die Obelisken und Grabplatten ein wehmütiges Jazzstück spielt. Trompete ist toll!
US-Kritiker waren mit Garcías Ende unzufrieden
Natürlich sind wir hier Zeuge eines weiteren filmischen Trips zu Heilung und Neuanfang. Die einsamen Brüder lernen glückliche Menschen kennen, deren Glück auch in sie einsickert, und die sie in ihr Leben lassen, bis sich die Hülle Familie neu füllt. Weil García sich aber nicht in den Verdacht bringen will, Hollywoodschmalz zu liefern, packt er eine gute Dosis Wahrscheinlichkeit in seinen Film.
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So läuft die seelische Entwicklung der Brüder verläuft nicht geradlinig sondern eher im Zickzack. Und García lässt am Ende jemand Gas geben, der in einem Film von Rob Reiner oder Nora Ephron versöhnlich und einladend die Autotür geöffnet hätte. US-Kritiker sahen darin einen misslungenen Schluss. Als könne private Erfüllung nur durch zärtliche Zweisamkeit erfolgen. Und nicht darin liegen, sein geliebtes Instrument in der Bläue einer Saalnacht wie eine Brise aufsteigen und in den Sound einer Band einscheren zu lassen.
„Raymond & Ray“, Film, 105 Minuten, Regie: Rodrigo García, mit Ewan McGregor, Ethan Hawke, Maribel Verdú, Sophie Okonedo, Tom Bowern, Vondie Curtis-Hall (ab 21. Oktober bei Apple TV+)