Münchner „Tatort“: abschlachten und ausschlafen
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Ivo Batic (Miroslav Nemec, links) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) fragen sich, wer den Flügel zerstört haben könnte.
© Quelle: BR/NEUESUPER GmbH/Hendrik Heiden
Freundschaft? So etwas gibt es nicht im neuen Münchner „Tatort“, hier wird ein Haifischbecken ausstaffiert, wo jeder sich den Weg frei beißt und vorher noch den Lippenstift nachzieht. Marina (Jara Bihler) und Lucy (Dorothée Neff), zwei junge Geigerinnen, kämpfen um die hohe Stelle im Orchester – der Freund von Lucy hat was mit Marina, gleichzeitig ist er finanzieller Förderer eines Start-ups, das sich der Schlafforschung gewidmet hat. Es verspricht den jungen Leuten, auch den Geigerinnen, die massive Leistungssteigerung: „Über Nacht berühmt“, so könnte man das übersetzen. Letztlich wandeln sie nach der Behandlung aber scheintot durch die Stadt, die vielleicht gnadenloser in der Gier nach Ruhm daherkommt als fast jeder andere Ort in Deutschland.
Doch gehen wir die Liste weiter durch: Lucys Vater traf sich heimlich mit der Geigenlehrerin der Tochter, Lucys Mutter nahm sich daraufhin das Leben, nicht zuletzt, weil auch Lucys Mutter und die Lehrerin um eine hohe Stelle konkurrierten. Das ist selbst für München etwas viel an Missgunst. Doch wir sind noch nicht mal angelangt beim aktuellen Mord.
Dünner roter Faden
Oder gab es das Verbrechen gar nicht? Der rote Faden wird hier etwas dünn, leicht kann man sich verheddern – denn Marina geht zur Polizei, um zu erklären, sie sei sich nicht vollkommen sicher, ob sie vor zwei Tagen ihre Freundin Lucy abgestochen habe. Oder ob das nur ein Traum war. Marina sagt von sich, sie lebe als Klarträumerin, sie könne ihre Träume lenken. Doch wisse manchmal nicht, wann sie zu Ende seien und der Tag beginne, der richtige mit Schwerkraft und mit Grundgesetz, in dem der Mord halt unter Strafe steht.
In München, wo der „Tatort“ ganz besonders gründlich hinschaut, ob ein schön gemaltes Bild am Ende nicht nur hübsche Augenwischerei darstellt, waren sie – so ist es Brauch in Bayern – immer schon ein bisschen konservativer. Deshalb überlassen sie die Arbeit nun seit 30 Jahren, im mittlerweile 87. Fall, den Kommissaren Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec). Vielleicht braucht es eine Kuriosität, um den Ehrgeiz des Gespanns noch mal herauszukitzeln. Ein geträumter Mord, der sich als wahr herausstellt, wäre so ein Kick, der den gemütlichen Ermittlern Beine macht.
Motiv Traum nur dürftig ausgekostet
Doch was ist mit dem Publikum? Waren nicht schon in den alten Disney-Taschenbüchern immer jene Storys am schwächsten, die Donald und Mickey nur geträumt haben, weil dieser Kniff erlaubt, auf Logik zu pfeifen und leichtfertig mit den Motiven zu jonglieren? Die Spurensuche bringt es an den Tag, es gibt tatsächlich Blut hoch oben auf dem Dach des Gasteigs, dem Münchner Kulturzentrum. Die Mediziner weisen nach: Ja, es ist Lucys Blut. Doch Lucy ist verschwunden. Wurde sie weggeschleift?
Die „Tatort“-Folge „Dreams“ (Regie: Boris Kunz, Drehbuch: Moritz Binder und Johanna Thalmann) tänzelt durch ein Schattenreich und huscht ins Land der Träume, nichts lässt sich ausleuchten, vieles liegt im Dämmer. Ein Film mit so viel schlechter Laune und mentalem Abgrund braucht am Ende auch kein dramaturgisch zwingendes Korsett, weil die Niedertracht mit Blankoscheck beglichen wird. Sie steht für sich, sie ist nicht angewiesen auf Erklärungen.
Dieses Manko wird mit einem Showdown kompensiert, der die vagen Reisen in die Traumforschung vergessen machen will, weil sie so langatmig und unergiebig sind. Zum Finale gibt es eine Flinte, eine Waldhütte und einen Menschen, der trotz hohem Pulsschlag trifft, Zutaten allesamt, die man mit Bayern immer schon verbunden hat. Und es ist ehrenwert, die Finger in die Wunden zu legen, entrücktes Orchester und zweifelhafte Traumforschung aufs Korn zu nehmen. Dies jedoch zu einem psychologisch freihändigen Horrortrip zu formen, ohne großen Ehrgeiz in der Bildsprache oder im Schnitt, wozu das Thema „Traum“ ja Räume bieten würde, reicht nicht, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen.
„Tatort: Dreams“ aus München läuft am Sonntag, 7. November, um 20.15 Uhr.