Harzer Horror: der neue „Polizeiruf 110″ aus Magdeburg
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Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) in einer Szene des neuen „Polizeiruf 110“.
© Quelle: MDR/filmpool fiction/Conny Klein
Die Frauen werden frech. Sonntags gibt es nicht mehr Hähnchenkeule, sondern irgendwas mit Vitaminen. Sie glauben nicht mehr an den einen Gott, vor allem aber glauben sie nicht mehr an wütende Männer. Nein, wir reden hier nicht vom Iran, wo Frauen sich von dem Diktat der Mullahs lösen wollen. Wir gucken auf den Harz: Blick rauf zum Brocken, Sagenreich und Hexenland, wo nicht so viele Islamisten leben – dafür aber Männer wie der alte Arzt Hans Petersen, die abends prüfen, ob genügend Leberwurst im Kühlschrank liegt.
Dr. Petersen (Michael Schweighöfer) ist einer unter vielen, vielleicht der eloquenteste, trinkfreudigste und unverschämteste. Abends am Stammtisch holt er aus zur großen Rede, fragt, warum es nicht mehr wie früher sei, als Männlein und Weiblein feste Plätze hatten, im Lokal, doch auch im echten Leben. Kein leichter Einsatzort für Doreen Brasch (Claudia Michelsen), die den Mord an einer jungen Frau, Tanja Edler, aufklären soll. Sie wurde an Halloween gefoltert, bis sie starb. Nach dem Tod hat man die Frau verbrannt, auf einem Scheiterhaufen.
Hexen gehören zum Harz. Im neuen „Polizeiruf 110″ wird aus der Sagenwelt ein Schlachtfeld der Geschlechter. Tanja Edler kehrte aus Berlin zurück in ihre Heimat, nach Thalrode, zu Füßen des Brockens, um Hotel und Gästehaus der Mutter zu übernehmen. Berlin, Ort der Moderne, wo keiner schaut, wie es dem Nachbarn geht. Thalrode, Ort der Bewahrung, umstellt vom Wald, wo man Erholung und Romantik findet, aber auch den Horror einer versunkenen Welt. Denn wer geht so weit, einer jungen Frau den Kopf mit Schädelschrauben zu zertrümmern, wenn nicht ein Inquisitor aus der alten, dunklen Zeit? Ja, es riecht nach Mittelalter in der „Polizeiruf“-Folge „Hexen brennen“ – sie ist in Grau getaucht, das gilt rein optisch für die ausgewaschenen Farben, aber auch für das gesellschaftliche Klima.
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Verdächtige gibt es eine ganze Menge
Kommissarin Brasch ist eine Frau der kühlen Art, sie ermittelt ohne Illusion, stellt sich den Männern in den Weg, das mögen sie im Harz nicht gerne. Als „Hexen“ gelten hier in Männerkreisen jene Frauen, die zum Themenabend „Heilkräuter“ gehen, sie beten Mutter Erde an, nicht Vater Staat. Und Hexen sind auch die Frauen, die nicht genügend Leberwurst einkaufen.
Verdächtige gibt es hier eine ganze Menge. War es Reiko (Pit Bukowski), Bruder von Tanja, der durch den Tod der Schwester die Geschäfte übernehmen könnte? Er wird von seiner Mutter kleingehalten, da er angeblich als Koch nichts taugt. Es gibt noch Paul (Helgi Schmid), der Tanja schwängerte – ohne Liebe. Tanja ließ abtreiben. Oder war es Pauls Vater (Hermann Beyer), der nur noch Witze über Tiere erzählt, seit seine Frau ihn sitzenließ? „Was ist der Lieblingsort von Hunden?“, fragt er. „Die Beletage.“ Haha. So geht es zu im Harz. Die Stimmung ist nicht gut, auch der Humor ist eine Form von Selbstaufgabe.
Leider ist auch dieser Film nicht sehr vital (Regie: Ute Wieland, Drehbuch: Wolfgang Stauch), obwohl sein Thema wuchtig, kantig, irritierend ist. Doch diese Inszenierung wirkt behäbig, was in der Wechselwirkung mit der kühlen Kommissarin Brasch in dem Geraune einer alten Welt verendet, die zwischen Fachwerk und den Daumenschrauben eines Antiquariats am Ende nicht viel zu berichten hat.
Im Film gibt es Symbole wie die beiden starren Mädchen, die immer dann im Weg der Kommissarin stehen, wenn Motive ihre Richtung wechseln – wir kennen das von Stephen King. Tote Hunde liegen vor der Tür, wenn eine Frau als Opfer auserkoren wurde, das sind Motive der Gebrüder Grimm. Es gibt ein weiteres Opfer, wieder eine starke Frau. Letztlich aber ist der Showdown selbst für Halloween zu dicke ausgereizt. Dieser „Polizeiruf“ bringt kein Licht ins Dunkel: Männer sind Dämonen, der Harz behält ein kaltes Herz. Der Horror bleibt hier Budenzauber. Grob gemalt, nicht gründlich auserzählt.
Hexen gehören zum Harz. Im neuen „Polizeiruf 110″ wird aus der Sagenwelt ein Schlachtfeld der Geschlechter.
„Polizeiruf 110: Hexen brennen″, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr, mit Claudia Michelsen, Michael Schweighöfer, Pit Bukowski