Sat.1-Show mit Marlene Lufen: Kollektives Lockdownjammern
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Marlene Lufen hat am Montagabend zum Lockdowntalk geladen.
© Quelle: Henning Kaiser/dpa
Berlin. Die Sat.1-Moderatorin Marlene Lufen hat in der vergangenen Woche mit einem rund zehn Millionen Mal geklickten Instagram-Video für Diskussionen gesorgt. In dem 14-minütigen Clip macht Lufen auf die Nebenwirkungen des Corona-Lockdowns aufmerksam und fordert gleichzeitig indirekt dessen Ende. Ihre Argumentation: Man müsse Lockdownfolgen wie Depressionen oder häusliche Gewalt mit den Corona-Zahlen „gegenrechnen“.
Lufens Haussender Sat.1 hat aufgrund des Hypes offenbar Quote gewittert und der Moderatorin am Montagabend kurzfristig eine eigene Primetime-Show spendiert. „Marlene Lufen: Deutschland im Lockdown“, lautet der Titel der Show, in der verschiedene Vertreter noch mal ihre Sicht der Dinge schildern durften.
Dass Lufen nicht ernsthaft als neutrale Gastgeberin fungiert, sondern vor allem ihre eigene Perspektive untermauern will, versucht man dabei gar nicht erst zu verheimlichen: Schon zu Beginn der Sendung wird auf ihr Instagram-Video Bezug genommen, der Post habe „einen Nerv getroffen“, heißt es in einem Beitrag. Zahlreiche Prominente werden eingeblendet, die Lufen und ihr Video unterstützen – von Oliver Pocher bis Mareile Höppner.
Wenn der Starkoch über sein Nacktbild redet
Was folgt, ist nicht mehr und nicht weniger als ein kollektives Lockdownjammern ohne Ergebnis. „Die Nerven liegen blank“, beginnt Lufen. In der Studiorunde spricht dann ein Schülersprecher von den Herausforderungen des Lockdowns für Schülerinnen und Schüler, eine Kinderärztin erklärt, wie sich Isolation auf die Entwicklung junger Menschen auswirke. Eine Depressionspatientin berichtet, wie der Lockdown alte Verhaltensmuster zutage fördere und wie sehr Videokonferenzen mit ihrer Therapeutin die Sache nur noch stressiger machten.
Restaurantbesitzer Tim Raue („Also ich bin so jemand, der ...“) redet an diesem Abend vor allem von sich selbst. Er habe auf Instagram ein Nacktbild von sich gepostet, weil er blank sei. Die Lockdownhilfen seien immer noch nicht da, derweil habe er ein Pop-up-Restaurant in der Sonne eröffnet. Auch die gereizte Stimmung durch den Lockdown beobachte er. Er sei daher zu „jemandem geworden, der die Menschen in den Arm nimmt.“ Rein “verbal” natürlich, “weil wir können’s ja nicht.”
Erwähnt wird auch Raues Verein, der jungen Menschen aus schwierigen Verhältnissen Perspektiven biete. Im vergangenen und auch in diesem Jahr würden sich kaum Betriebe finden, die Auszubildende aufnehmen, erklärt er. Raue fordert, man solle auch mal mehr über das reden, was außerhalb der Infektions- und Todeszahlen stattfinde, was der Lockdown mit „uns Menschen“ mache und was er für „unsere Zukunft“ bedeute.
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Kinder unterlegt von trauriger Pianomusik
Über die Zukunft allerdings wird in dieser Sendung praktisch gar nicht geredet, stattdessen folgen weitere Einzelschicksale: Die Facebook-Kommentatorin Mandy beispielsweise beklagt, dass sie ihr Nagelstudio im November habe schließen müssen. Tinchen berichtet von Freunden, die „mehrere Betriebe“ hätten und deren Existenz jetzt bedroht sei. Und Claudia befürchtet mit Blick auf den Valentinstag, dass nun die gesamte Brautbranche stirbt. Hier gehe es schließlich „um die Liebe“.
Eine Dermatologin beklagt, dass andere schwere Krankheiten wegen Corona vernachlässigt würden. Eine Mutter berichtet, wie ihr Kind wegen des Lockdowns die ganze Familie tyrannisiere. Eine Vertreterin eines Vereins gegen häusliche Gewalt beklagt, dass sie derzeit keine Gruppensitzungen anbiete könne.
In einem Einspieler werden Kinder gezeigt, die (unterlegt von trauriger Pianomusik) mit einem Daumen runter deutlich machen, wie „doof“ sie Corona finden. Marlene Lufen selbst erzählt derweil immer wieder Anekdoten aus ihrem privaten Umfeld. Sie könne sich gar nicht mehr vorstellen, Menschen die Hand zu schütteln, berichtet sie. Auch ihre Freundinnen und ihre Mutter bringt sie immer wieder ins Gespräch, von Letzterer zeigt sie sogar ein Foto. Ihre Angehörigen in den Arm nehmen, das gehe ja jetzt auch nicht mehr.
Mit anderen Worten: Wer nicht ohnehin schon wegen des Lockdowns schlecht gelaunt, depressiv und perspektivlos war, der ist es nach dieser Show ganz sicherlich.
Kein Wort über das Krankenhauspersonal
Zum Schluss der Sendung darf noch mal eine Gruppe Prominenter die unterschiedlichsten Dinge fordern. Vera Int-Veen beispielsweise bittet darum, sich impfen zulassen – und Rechtsanwältin Laura Karasek will „ein milderes Mittel zum Lockdown“, was an keiner Stelle näher eingeordnet wird.
Es wäre sicher einfacher, aufzuzählen, wer eigentlich an diesem Montagabend nicht in dieser Show zu sehen war und jammern durfte. Doch genau da wird es eigentlich interessant. Denn nicht zu Wort kommen durften etwa Klinikmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die aktuell bis an die Belastungsgrenze arbeiten und sich nichts sehnlicher wünschen dürften, als dass endlich diese verdammten Zahlen runtergehen und keine Menschen mehr in ihren Intensivbetten sterben.
Vor einem Jahr hat man noch auf Balkonen für diese Menschen geklatscht – heute spricht kaum noch jemand über sie. War es nicht Lufens Wunsch, Probleme aufzuzeigen, die in der Öffentlichkeit kaum thematisiert werden?
Nichts Konstruktives
Nicht zu Wort kommen durften auch Menschen, die nahe Angehörige an Covid-19 verloren haben und sicherlich eine interessante andere Sichtweise auf die Thematik eingebracht hätten. Nein, die Gefahr des Virus selbst wird, ähnlich wie auch bei Lufens Instagram-Video, konsequent ausgeblendet. Schuld an allem ist der Lockdown, nicht etwa eine globale Pandemie.
Und auch nicht zu Wort kommen durften Expertinnen und Experten, die Lufens Ausgangsthese eingeordnet oder möglicherweise sogar infrage gestellt hätten. Menschen, die vielleicht sogar eine Zukunftsperspektive in Aussicht gestellt, Mut gemacht oder konstruktive Lösungsansätze vermittelt hätten. Menschen, die einen schmalen Grad zwischen Infektionsschutz und Einzelschicksalen entdeckt hätten, den die Talkrunde im Sat.1-Studio nicht einmal gesucht hat.
Nein, Perspektiven und Lösungsansätze bekam man in dieser Marlene-Lufen-Show nicht. „Wo kann man nachjustieren, damit alle gut überleben?“, fragte Lufen irgendwann Tim Raue, ehe dieser begann, von Lockdownhilfen und seinem Nacktbild zu erzählen. Weiter nachgehakt wurde nicht.
Was sollen wir mit dieser Show anfangen?
Immerhin: Ein Ende des Lockdowns forderte Lufen in dieser Sendung nicht mehr. Vielmehr plädierte sie in ihrem Schlusswort dafür, mit Verständnis für die Sichtweise anderer zu diskutieren und nicht die „Hoffnung“ zu „verlieren“ – denn auch die schlimmste Krise sei „irgendwann vorbei“.
Na, wenn das so einfach ist, dann hätte es diese merkwürdige Sendung ja auch gar nicht gebraucht. Denn die hat an diesem Abend vermutlich mehr Hoffnungen zerstört, als dass sie irgendjemanden weitergebracht hätte.