Stuttgarts neuer „Tatort“ ist großes Kino

Eine Tote auf der Straße: Nika Banovic (Mimi Fiedler) ist mit dem Fahrrad herbeigeeilt, um Thorsten Lannert (Richy Müller, l.) zu unterstützen.

Eine Tote auf der Straße: Nika Banovic (Mimi Fiedler) ist mit dem Fahrrad herbeigeeilt, um Thorsten Lannert (Richy Müller, l.) zu unterstützen.

Stuttgart. Der Klang des Schwäbischen durchzieht den Film wie eine leise, schwach artikulierte Kriegserklärung. Da ist die Kindergärtnerin (toller Kurzauftritt: Odine Johne) mit ihrem knallbunten Pullover, Betonung liegt auf „knall“ – die Hierarchie der Kinder in der Kita kann sie mit dem falschen Lächeln eines Krokodils umreißen. „Matteo und Leon“ sind nur die ,Gefolgsleut‘‘, bilanziert sie, alles in so weicher, weiblich durchgerührter Mundart, dass am Ende nicht mehr klar ist, ob das noch Erotik oder die Militanz der übermotivierten Pädagogin ist.

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Traurige Kommissare fahren teure Automobile

Klar bleibt für sie immerhin: Kinder spiegeln nur ihr Elternhaus, für sich genommen sind die Mädchen oder Jungen gar nicht böse – böse sind nur Mamas oder Papas. Vor allem, wenn das „Knischtern“ in der Ehe nach dem zweiten Kind verloren geht.

Ohne das Böse kommt auch dieser „Tatort“ nicht aus. Durch die Folge „Stau“ aus Stuttgart führen die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare), zwei Männer, die keine Frauen haben, aber schöne Autos. Lannert fährt einen alten Porsche, Bootz einen neuen Benz, werthaltige Fabrikate aus dem Umland. Das Leben ohne Frauen hat ihnen allen Witz genommen, hat sie in die Pflicht getrieben, keine Leidenschaft steht ihnen im Gesicht, nicht mal die Lust auf einen Schnaps. Die Leiche eines 14-jährigen Mädchens liegt auf der Straße? Ärgerlich vor allem finden Lannert und Bootz, dass sich der Feierabend nun verschiebt.

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Brüggemann – ein Stoiker, der sich auf Witz versteht

Weil auch dem Südwestrundfunk nun aufgegangen ist, dass die Kommissare sehr nach Kur und nur noch schemenhaft nach Fernsehunterhaltung aussehen, hat er Dietrich Brüggemann als Regisseur geholt, der mit Daniel Bickermann zudem das starke Drehbuch schrieb. Als Mensch ist Brüggemann ein Stoiker, doch einer, der den Witz beherrscht, sogar in den Abteilungen, wo der Humor sonst kaum gewässert wird. Das Morddezernat von Lannert und Bootz ist so gesehen ein sehr durstiges, bedürftiges Gebiet.

Brüggemann hat 2014 für „Kreuzweg“ bei der Berlinale den Silbernen Bären für das beste Drehbuch erhalten. Er poliert den „Tatort“ zu einem fein erzählten Episodenstück, in dem die Fäden stets zusammenlaufen – das war schon immer die Handschrift von Brüggemann. Mit Krimis hat er bislang nichts am Hut gehabt, in der ersten Hälfte dieses „Tatorts“ übertüncht er das mit kluger Ironie, die in tiefer Menschenkenntnis mündet. In der zweiten Hälfte muss er sich dem Hintergrund des Kriminalfalls stellen. Das gelingt nur mit verhältnismäßig grobem Werkzeug, der Geschichte geht die Eleganz verloren. Doch sie bleibt ein fein gebautes Sittenbild.

Das Milieu ist so wichtig wie der Mord

Der Mörder des Mädchens, sagt die Logik der Ermittler, steht noch im Stau, der sich nach einem Wasserrohrbruch bildete. Gut 200 Autos auf Stuttgarts Weinsteige, Männer auf dem Heimweg von ihrer Geliebten, Frauen mit der Tochter auf dem Hintersitz, die Punkrock hören möchte. Ausgebrannte Angestellte, Rentner mit begnadet schlechter Laune. Niemand kommt voran, die Temperamente türmen sich zur explosiven Mischung. Brüggemann verdeutlicht ihre Unverträglichkeit, indem er Bilder aneinander schneidet, wie sie Autoradio hören. Metal, Mozart, merkwürdige Sachen.

Das ist großes Kino, wie es im „Tatort“ selten zu sehen ist, zumal in Stuttgart, wo als Motor oft das Depressive in den Filmen liegt. Es gibt tolle Charaktere bei Brüggemann, die werden nicht vertieft und treiben auch die Spannung nicht voran, doch das Milieu ist ihm am Ende mindestens so wichtig wie der Mord. Es gibt Mann und Frau im Stau, die streiten, ob die Paartherapie zu teuer sei. Und darüber, ob der Mann Auto fahren könne. Am Ende auch darüber, warum sie kinderlos geblieben sind. Die Frau sagt: „Lieber keine Kinder als Kinder, die vom eigenen Vater totgefahren werden.“ Das ist Sarkasmus in der derbsten Form.

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Ohnehin ist dieser „Tatort“ nicht besonders subtil, auch die Lösung des Falls trifft ins Mark. Nicht, weil sie brutal wäre – sondern weil auch hier das Leise dominiert, das Sachliche. Und weil es darum geht, dass selbst in Schwaben zeitweilig die Gründlichkeit verloren geht.

Von Lars Grote / RND

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