Sympathie für die Mörderin: der „Polizeiruf 110: Sabine“ aus Rostock
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Hat nichts mehr zu verlieren: Sabine Brenner (Luise Heyer) im Rostocker „Polizeiruf 110“.
© Quelle: NDR/Christine Schroeder
Die Bilder kämpfen um Gerechtigkeit, auf Biegen und Brechen – das zehrt am Publikum. Als Energieausgleich muss man vorm Fernseher alle fünf Minuten in die Erdnusstüte greifen. Es ist ein Kampf auf vielen Ebenen, den dieser „Polizeiruf 110“ aus Rostock führt. Er begleitet seine Hauptfigur Sabine (Luise Heyer) mit dem Blick des Seelsorgers, erst ganz am Ende wird der Film ihr untreu.
Fäden werden vom Privaten in die Politik gesponnen – und zurück
Der Krimi hantiert mit Fäden, die vom Privaten in die Politik und geradewegs zurück gesponnen werden. All die Schattierungen sind schon für sich genommen eine Story wert, auch der Hauch von Liebe, der sich zwischen Kommissar und Kommissarin legt. Die Gefühle zwischen Bukow (Charly Hübner) und der Kollegin König (Anneke Kim Sarnau) irrlichtern. König hält sich für beziehungsunfähig, Bukow muss seinen Vater beerdigen, einen Mann der Unterwelt. Bukow trifft dort seine Halbschwester, die er aus den Augen verlor, weil sie weggelaufen war, als er geraten hatte, ein Baby abzutreiben: „Du bist zu jung!“ Sie trug es trotzdem aus.
Wie will man den massiven Stoff vom Werftensterben schadlos auf den Bildschirm kriegen, mit all den hanseatisch wechselhaften Lichtverhältnissen, die zwischen Himmelblau und grauen Wolken wechseln, als sei das nur ein routinierter, kleiner Umbau auf der Bühne? Wie es an der Ostsee üblich ist, wird kein Gedöns davon gemacht.
Das Milieu ist von sicherer Hand gezeichnet
Dieser tiefe und berührende „Polizeiruf“ heißt schlicht „Sabine“. Mehr Understatement ist nicht möglich. An den Filmhochschulen hauen sie den jungen Leuten so ein Drehbuch um die Ohren: „Du sollst um 20.15 Uhr nicht die Welt retten, such dir lieber einen Helden, der den Hut aufhat und pflanze ihn in ein sehr übersichtliches Milieu.“
In diesem Film ist beides geglückt, die Welt und das Milieu sind hier von sicherer Hand gezeichnet (Regie: Stefan Schaller, Buch: Florian Oeller). Kronzeugin der Geschichte ist „Sabine“, das sagt bereits der Titel. Sie wird beim Vornamen genannt, das klingt vertraulich, der Film verbirgt nicht seine Sympathie für diese Frau, obwohl sie mordet, was sehr deutlich und sehr früh gezeigt wird.
Sabine ist dabei kein Monster, eher wird sie eingeführt als Heilige, sie ist die Servicekraft der Werft, die jetzt geschlossen wird – sie bringt Getränke. Wenn der Chef ihr zuruft, die Zitronenscheiben seien viel zu groß geschnitten für das Glas aus dem er trinkt, dann geht das Messer in der Tasche auf. Nicht nur bei Sabine, sondern auch beim Publikum. Man muss sich irgendwann entscheiden: Hält man ihr als Mörderin die Treue, oder steigt man aus?
Über Heldin/Mörderin Sabine bricht das Leben zusammen
Sabine wankt, kippt in der Bahn fast um, als sie von ihrer Schicht nach Hause fährt. Sie ist müde, von der Arbeit und vom Leben, sie hält sich fest an einer Zigarette, dann am Revolver, mit dem sie sich erschießen will. Doch vorher nimmt sie die Patronen raus. Der alkoholisierte Nachbar schreit die Gattin an, Sabines Kind bekommt nicht die Empfehlung fürs Gymnasium, weil die Lehrerin nicht sicher ist, wer diesem Kind beim Lernen helfen soll.
Sabine, alleinerziehend und von Traurigkeit zermürbt, verkörpert eine grundlegende Aussichtslosigkeit, ohne dass es in den Bildern voreilig als Selbstaufgabe übersetzt wird. Luise Heyer spielt Sabine ohne peinliche Affekte oder falsche Tränen, sie zeichnet die Figur mit einer Feinheit, die an große Täterinnen oder Täter aus der „Tatort“-Welt erinnert: Auch Nastassja Kinski in „Reifezeugnis“ oder Lars Eidinger in „Borowski und der stille Gast“ spielten legendäre, dunkle Glanzrollen, die in sich schlüssig schienen, auch wenn sie viele rote Linien des Gesetzes überschritten.
Die flirtenden Kommissare singen Rio Reiser
Gebannt von dieser bösen Strahlkraft, die sich um die Mörderin Sabine legt, vergisst man fast, wie Bukow und Kollegin König flirten, tanzen, knutschen, auf der Beerdigung von Bukows Vater singen sie „Halt dich an deiner Liebe fest“ von Rio Reiser. Der Film knipst zwischendurch den Ton aus.
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„Sind Sie mit Bukow jetzt eigentlich zusammen?“, fragt der Vorgesetzte Röder die Kommissarin König. „Das sage ich Ihnen erst, wenn Sie mir verraten, warum Sie immer in die Herrensauna gehen“, antwortet König. „Weil es gut tut“, erwidert Röder knapp.
Im Norden macht man nicht zu viele Worte. Auch dieser radikale „Polizeiruf 110“ tut gut, auf eine Weise, die einen manchmal selbst erschreckt.
„Polizeiruf 110: Sabine“ läuft am Sonntag, 14. März um 20.15 Uhr in der ARD