„Tantchen“ BBC in der Krise: Nach Enthüllungen um Diana-Interview geht es der Anstalt noch schlechter
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LV4UKGV3JNA57IWHBJYNUAWAYA.jpg)
Die BBC steckt tief in der Krise. (Symbolbild)
© Quelle: imago images/photothek
London. Als kürzlich ein Untersuchungsbericht zu dem Schluss kam, dass ein BBC-Reporter vor 26 Jahren gefälschte Kontoauszüge dazu benutzt hatte, um Zugang zu Prinzessin Diana zu erhalten für das aufsehenerregende Interview, das heute als historisch bezeichnet werden darf, da folgte für das Königreich etwas äußerst Ungewöhnliches: Prinz William attackierte in einer Videobotschaft die öffentlich-rechtliche Anstalt scharf. Der 38-Jährige beschuldigte den Sender gar, dass das Versagen des Senders in seiner Aufsichtsfunktion zu der „Furcht, Paranoia und Isolation“ seiner Mutter in ihren letzten Lebensjahren „wesentlich beigetragen“ hätte.
In den konservativen Reihen in Westminster sogen sie diesen Angriff des künftigen Königs genüsslich auf. Denn seit Jahren schon verpassen die Politiker keine Gelegenheit, die BBC zu maßregeln, zu kritisieren, zu veräppeln. Stets schwingt ganz offen die Drohung mit, der ältesten und renommiertesten Rundfunkanstalt den Geldhahn zuzudrehen. An vorderster Front steht Premierminister Boris Johnson, der aus seiner Feindseligkeit gegenüber der BBC nicht einmal ein Geheimnis macht.
Minister boykottierten 2019 nach Parlamentswahl BBC-Sendungen
Auf Anweisung der Downing Street boykottierten Minister nach der Parlamentswahl im Dezember 2019 sogar zahlreiche Sendungen, Interviews gab es auch vom Regierungschef keine. Das änderte sich erst wieder mit dem Beginn der Corona-Pandemie. Doch Frieden herrscht keineswegs.
Es sei das „größte Ziel der BBC, Boris Johnson von der Macht zu entfernen“, schrieb kürzlich ein Kommentator im „Telegraph“, so etwas wie das Hausblatt der Tories. Aber der Hass zirkelt längst nicht mehr nur innerhalb kleiner Kreise. Auch in der Öffentlichkeit stoßen die Attacken zunehmend auf Unterstützung. Und es geht längst nicht nur um eine Gruppe, die sich von der BBC ungerecht behandelt fühlt.
Alle Seiten schießen Pfeile auf die British Broadcasting Corporation
Im Grunde schießen, insbesondere seit dem EU-Referendum 2016, alle Seiten Pfeile auf die British Broadcasting Corporation. Zu brexitfreundlich, zu links, zu regierungstreu, zu konservativ, zu harmlos, zu parteiisch, zu unparteiisch, zu sehr „Sprachrohr der Tories“, zu abgehoben, zu kritisch, zu londonzentriert, zu unbritisch: Es gibt kaum einen Vorwurf, den sich die BBC nicht gefallen lassen muss.
Es geht der Anstalt, das darf man ohne Zweifel so sagen, so schlecht wie nie zuvor. Nach dem Skandal um das Zustandekommen des Diana-Interviews warf der Kulturminister Oliver Dowden der Rundfunkanstalt Arroganz vor und forderte einen kulturellen Wandel. Mittlerweile wirkt die BBC wie ein in die Ecke getriebenes Tier – und versucht sich mit Entschuldigungen und Zugeständnissen aus dieser herauszumanövrieren. Mit mäßigem Erfolg.
BBC-Strukturen sollen geprüft werden
Dowden kündigte an, die Strukturen des Senders, dessen Finanzierung und Aufsicht einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Geschenkt, dass das legendäre Interview fast drei Jahrzehnte zurückliegt. Dabei ist das Problem keineswegs nur politischer Natur. Die „Auntie“, das „Tantchen“, wie die BBC im Volksmund bezeichnet wird, blickt auch in finanzieller Hinsicht in eine ungewisse Zukunft.
Seit November vergangenen Jahres verhandelt die Anstalt mit der Regierung über eine Neuorganisation des Finanzsystems. „Die BBC steht vor erheblichen finanziellen Herausforderungen“, hieß es von Rechnungshofchef Gareth Davies. Der Sender habe bereits erhebliche Einsparungen vorgenommen, es seien aber weitere Anstrengungen nötig. Denn die Zuschauerzahlen sinken, auch wegen der privaten Streamingkonkurrenz. Von 2010 bis 2019 ist die Zahl der durchschnittlichen Minuten, die ein Erwachsener die BBC-Programme schaut, von 80 auf 56 Minuten gesunken.
BBC kommt ohne Werbung aus
Die BBC kommt ohne Werbung aus, speist sich vielmehr zu 75 Prozent aus Rundfunkgebühren. Jeder Haushalt auf der Insel bezahlt jährlich 159 Pfund, umgerechnet rund 185 Euro. Der Rest der Einnahmen stammt aus dem gewinnträchtigen Verkauf von Fernsehproduktionen ins Ausland. Doch 2017/18 bis 2019/20 sind die Beitragssummen, mit denen sich die BBC finanziert, um 310 Millionen auf 3,52 Milliarden Pfund, umgerechnet gut 4 Milliarden Euro, gefallen. Und konservative Politiker bringen regelmäßig die Möglichkeit eines Abomodells ins Spiel und verweisen als Vorbild auf kommerzielle Rivalen wie Netflix.
Die „alte Tante“ mag zwar auf Unparteilichkeit pochen, aber ist gleichzeitig finanziell angewiesen auf das Wohlwollen des Staats. Im Februar übernahm Richard Sharp den Vorsitz bei der BBC und leitet damit den 14-köpfigen Rundfunkrat, der laut Charter die Unabhängigkeit der BBC wahren soll. Natürlich stellt es keinen Zufall dar, dass er den Job erhielt. Nicht nur ist Sharp ein äußerst vermögender Mann, er kennt mit Boris Johnson und Schatzkanzler Rishi Sunak die zwei mächtigsten Politiker im Königreich gut. Gemeinsam mit Tim Davie, der im vergangenen Jahr zum neuen Generaldirektor ernannt wurde, soll Multimillionär Sharp „beschleunigte Reformen“ bei der BBC voranbringen, wie es Kulturminister Dowden bezeichnete. Nur wie diese aussehen sollen, darüber dürfte es so schnell keinen Konsens geben.