„The Defenders“ – Einsatz in Manhattan
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Superhelden in Zivil im Fahrstuhl (von links): Jessica Jones (Krysten Ritter), Iron Fist (Finn Jones), Daredevil (Charlie Cox) und Luke Cage (Mike Colter).
© Quelle: Foto: Netflix
Berlin. Die Macher von Superheldenserien und -filmen scheinen zu glauben, deren Fans hätten die Fähigkeit, die Zeit zu spalten, ihren 24-Stunden-Tag zu 48-Stunde-Länge aufblasen zu können oder zumindest keinen Schlaf zu brauchen. Comicverfilmungen schießen aus dem Boden wie Pfifferlinge, viele sind keinen solchen wert, trotzdem sind noch unzählige in Vorbereitung.
Superheldenoutfits sind out
Je mehr Figuren wie Kim Jong Un, Trump, Erdogan, Putin, Maduro und Orbán unsere wirkliche Welt in eine comichafte Farce verwandeln, desto mehr scheinen wir uns nach Leuten zu sehnen, die die Dinge für uns regeln, die uns bewahren können vor dem drohenden, großen Verderben. Und sei es um den Preis, dass sie diese Rettung in Fremdschämgarderobe (mit oder ohne Cape) vornehmen müssen.
In der neuen Marvel-Serie „Defenders“ indes trägt bis zum Ende der vierten Episode niemand einen jener pathetischen Strampelanzüge, die mit dem Satz „Und wer bist du? Das Grüne Kondom?“ in der Verfilmung von Mark Millars Comic „Kick-Ass“ ein für alle mal dem Spott preisgegeben wurden. Einzig der blinde Anwalt Matt Murdock (Charlie Cox) klappt kurz die Kiste mit den Memorabilia auf und lässt uns einen Blick auf das ochsenblutrote Kostüm seines abgelegten Alter Egos Daredevil erhaschen. Der Mann mit dem superscharfen Hör- und Spürsinn ist inzwischen anders wohltätig, arbeitet „pro bono“, lässt mittellose Klienten aussichtslose Prozesse gewinnen. Seine Zeit, sich durch Hell’s Kitchen zu prügeln, ist vorbei. Eigentlich.
Alte Superhelden auf der Suche nach sich selbst
Was auch für den unverwundbaren Luke Cage (Mike Colter) gilt, der nach seiner Zeit im Gefängnis seine lokale Heldenrolle in Harlem neu definieren muss. Und für Jessica Jones, die einstige Superheldin Jewel, die ihre phänomenale Flugfähigkeit und ihre übernatürliche Körperkraft nur noch für ihren Job als Privatdetektivin einsetzt. Sie alle stehen ab dem Ende der vierten Folge von „The Defenders“ Danny Rand zur Seite, dem Millionärs-spross, der durch seine Erziehung im chinesischen Gebirgskloster K’Un L’Un zur Iron Fist wurde, dem Beschützer jenes marvelmythischen Ortes und neuerdings auch der ganzen Welt.
Jeder dieser vier New Yorker hatte schon eine eigene Netflix-Serie. Ganz stark war der Auftritt von Krysten Ritter als Jessica Jones, die im verschneiten New York zu jazzigen Klängen zu viele Whiskys kippte. Und ganz schwach und die vermeintliche Unverwundbarkeit der Netflix-Programmqualität widerlegend war zuletzt die erste Staffel von „Iron Fist“, in der Finn Jones zwar Rands eiserne Faust glühen ließ, sonst aber blass blieb. Zusammen müssen diese vier ihre Stadt, die – wie der Comicserienfan – nie schläft, vor dem Untergang retten.
Langsam erzählt es sich besser
Als wären mit den „Avengers“, den „X-Men“, der „Suicide Squad“ und der demnächst im Kino startenden „Justice League“ nicht schon ausreichend Heldenverbände unterwegs, deren Personalstärke eine charakterliche Tiefe der Figuren nicht mehr erlaubt. Die äußerst widerwillig sich verbandelnden „Defenders“ indes werden nicht nur glaubwürdig zusammengeführt, sie erhalten auch ausreichend Bildschirmzeit, ihre Persönlichkeiten und besonderen Talente auszustellen. Die Drehbuchautoren Doug Petrie und Marco Ramirez wissen: Langsam erzählt es sich gut.
Die dunkle Seite der Macht, mit der es das Quartett zu tun bekommt, nennt sich „die Hand“: eine Verbrecherorganisation seit uralten Zeiten, angeblich Abtrünnige von K’Un L’Un mit der Losung, „dem Leben selbst zu dienen“, der okkulten Fähigkeit, Tote ins Leben zurückzurufen, und der Neigung zur Inszenierung von Weltuntergängen. Die größte Überraschung ist deren First Lady Alexandra: Auch Sigourney Weaver ist mit ihrem Auftritt in „The Defenders“ also im Reich des hochklassigen Fernsehens angekommen. Und sie ist hier hier nicht etwa in Marlon-Brando-Manier unterwegs, der mit einem hochbezahlten Minutenauftrittt einer Comicverfilmung die höheren Weihen gab, indem er als Kryptonier Jor-El Söhnchen Kal-El zur Erde schickte, um dort Superman werden zu können.
Sigourney Weaver als kulturaffine Superschurkin
Weaver spielt eine echte Hauptrolle, und sie ist so schön wie gefährlich als vom Krebs fast besiegte Generalissima der „Hand“. Keine der eindimensionalen Heftchenschurken, sondern eine (speziell für diese Serie erschaffene) Figur, die Brahms liebt und sich im Central Park beim Taubenfüttern darüber wundert, dass man dieses grüne Fleckchen Manhattan nicht längst aufgegeben hat, um weitere Wolkenkratzer hochzuziehen. Warum sie diesen malerischen Ort dennoch vernichten möchte, bleibt offen. Überhaupt haben Petrie und Ramirez am Ende der vier zur Sichtung bereit gestellten Episoden (von insgesamt acht) dem durchaus geneigten Zuschauer noch allerhand zu erklären.
Die Serie weicht von den Comics ab
Wer die vorangegangenen Einzelserien nicht gesehen hat, versteht nicht selten nur Central Station. Auch für die Fans der Comicvorlagen wird alles ein bisschen anders erzählt, als sie es aus den Heftchen kennen. Aber die sind immer neue Adaptionen ja gewohnt und schon froh, dass hier nicht die originalen Defenders – Doctor Strange, der Silver Surfer, Submariner Namor und der unglaubliche Hulk – antreten. Diese vier hätten in ihren plakativen Outfits das notwendige realistische Setting der magisch durchwirkten Geschichte im Nu verdorben. Eine Kamera der notorisch gekippten Bilder und eine atmosphärische Filmmusik illustrieren freilich etwas aufdringlich eine aus den Fugen geratende Welt. Die erinnert uns immer wieder an unsere eigene.
Eine Serie über Superhelden, die Diktatoren und Populisten das Mundwerk stopfen, das Handwerk legen, die Handys abnehmen. Das wär‘s. Marvel, übernehmen Sie!
Von Matthias Halbig / RND