Warum die Doku „Unfck the World“ so wütend macht

Waldemar Zeiler und Philip Siefer in der Joyn-Doku „Unfck the World“.

Waldemar Zeiler und Philip Siefer in der Joyn-Doku „Unfck the World“.

Berlin. Und am Ende der sechs Folgen sitzt du da und möchtest in deinen Fernseher treten. So oder so ähnlich lässt sich das Gefühl beschreiben, das die Dokumentation „Unfck the World“ hinterlässt – zumindest wenn man den Stimmen aus dem Internet glaubt.

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Die Produktion des Streamingdienstes Joyn ist seit einigen Tagen Gesprächsthema im Netz, jedoch nicht im positiven Sinne. Prominente Zuschauer wie etwa der Moderator Jan Böhmermann beklagen, sie hätten „schreiend“ vor ihrem „Endgerät gesessen“, in den sozialen Netzwerken berichten Zuschauer, wie sehr sie das gerade Gesehene „aufrege“. Und andere beklagen, sie seien schon nach der ersten Folge der Dokumentation „völlig matschig im Kopf“ gewesen.

Was bitte ist „Unfck the World“ – und warum macht es so wütend?

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„Größte Bürgerversammlung aller Zeiten“

Die Joyn-Produktion des niederländischen Filmemachers Finbarr Wilbrink begleitet den ehrgeizigen Plan der beiden Kreuzberger Waldemar Zeiler und Philip Siefer, im Berliner Olympiastadion ein riesiges „Demokratiefestival“ mit 90.000 Menschen auf die Beine zu stellen. Sie erinnern sich: Diese merkwürdige Crowdfunding-Veranstaltung, die schon Ende 2019 auf massive Kritik gestoßen war.

Seinerzeit hatte die Bundesregierung ein halbherziges Klimapaket beschlossen, das auf großen Protest stieß. Zeiler und Siefer witterten ihre ganz große Chance und trommelten mit großem Marketing-Trara und viel Startupspirit diverse deutsche Influencer zusammen, um für die „größte Bürgerversammlung“ zu werben, die es jemals geben würde.

Der Plan: Interessierte Unterstützer sollten Tickets für knapp 30 Euro kaufen, im Stadion selbst wollte man dann nach diversen Programmpunkten gemeinsam eine Umweltpetition ins Parlament hieven. „Stell dir mal vor, die Sitze sind alle voll, und dann holen alle ihr Telefon raus und stimmen in der Petition für autofreie Innenstädte“, sagt Siefer in der Joyn-Doku, gefolgt von euphorischem Lachen.

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Kritik auch von Fridays for Future

Der erste Shitstorm jedoch folgte sogleich: Zeiler und Siefer sind nämlich nicht einfach nur zwei politisch interessierte Bürger, sondern vor allem Unternehmer. Mit ihrem Startup Einhorn verkaufen sie vegane Kondome und allerhand anderes nachhaltiges Zeug für Untenrum – ein hippes Weltverbesserungsevent für die woke Zielgruppe passt da natürlich perfekt ins Konzept. Und so kam schnell der Verdacht auf, man wolle hier einfach nur den Hype ums Klima für die eigene Unternehmenspromo nutzen – und verschiedene Gruppierungen distanzierten sich von der Aktion.

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Die Ortsgruppe von Fridays for Future in Frankfurt beispielsweise kritisierte das Event als „antidemokratisch und intransparent“. „Demokratie ist ein Grundrecht. Demokratie muss für jeden zugänglich sein, egal in welcher finanziellen Lage der Mensch ist. Schon deshalb ist das Event nicht mit uns vereinbar“, hieß es in einer Stellungnahme der Gruppe. „Zu sagen, dass die Weltrettung für 29,99 zu haben sei, stellt einen Schlag ins Gesicht für die Jugendlichen dar, die seit elf Monaten auf der Straße sind.“ Es sei „schlicht gelogen, dass man einfach mal mit Petitionen das Land verändern könnte.“

Der Podcast „Wohlstand für alle“ von Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt betitelte das Vorhaben als „wahnsinnig sinnloses Event“. „Das ist schlimmstes Startup-Blabla, naiver Weltverbesserungskitsch und die Ersetzung der Politik durch Gefühle. Entsetzlich“, so Schmitt. Alles an dieser Veranstaltung sei falsch.

Eine Doku wie ein Autounfall

Auch Jan Böhmermann äußerte sich kritisch auf Twitter: „Hey, Entrepreneurs, wenn es euch wirklich um Umwelt, Gesellschaft, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit geht, warum macht ihr dann nicht eure superwoken social Startups dicht und engagiert euch ohne Gewinnmaximierungsantrieb?“

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Am Ende fand die „größte Bürgerversammlung aller Zeiten“ mit dem Namen „12062020 Olympia“ nie statt. Der Grund: Die Corona-Pandemie. Zwar war es den Machern trotz negativer Kritik gelungen, 1,8 Millionen Euro für das Event zusammen zu bekommen – das Virus machte den Plänen jedoch schließlich einen Strich durch die Rechnung.

In der Doku „Unfck the World“ ist das ganze Dilemma nun noch einmal zu sehen – in sechs Folgen und aus der Sicht seiner Macher. Und eins muss man den Kritikern lassen: Ja, diese Doku ist tatsächlich wie ein ziemlich langer Autounfall, bei dem man einfach nicht weggucken kann.

Selfies und Größenwahn im Olympiastadion

Schon in der ersten Folge wird klar, worum es den beiden Gründern tatsächlich geht. Praktisch dauerhaft überlegt man, wie man das Event marketingmäßig bestmöglich ausschlachten kann. Jeder Schritt wird hysterisch lachend per Selfie und Instagram-Story dokumentiert, ein unübersehbarer Größenwahn macht sich breit – und das ausgerechnet auf den Treppen des Olympiastadions, dem denkbar ungünstigsten Ort dafür.

Als Eventnamen überlegt man sich „Unfck the World“. „Unfuck“ ist offenbar das Lieblingswort der beiden Gründen und wird – ganz Silicon-Valley-like – immer dann verwendet, wenn man irgendetwas verändern will. Das neue Buch von Waldemar Zeiler beispielsweise heißt auch „Unfuck the Economy“.

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Die gesamte Doku über sieht man Menschen mit Vollbärten und Mützen in restaurierten Fabrikhallen, wo sie Brainstormings machen und Imagevideos schneiden und darüber beraten, welche Influencer denn noch Promo machen könnten. Praktisch nie sieht man sie dabei, wie sie sich ernsthaft mit der Klimaproblematik befassen – geschweige denn damit, was sie auf dem Event eigentlich genau anbieten wollen.

„Ich habe das Bedürfnis ein O zu malen“

Erstaunlicherweise gelingt es den beiden Bartträgern tatsächlich, zahlreiche Promis für ihre Idee zu begeistern: Die erste ist Charlotte Roche, es folgt ein Event in Berlin mit Influencern, die dem Projekt teils skeptisch gegenüberstehen, am Ende aber dennoch mitmachen. Joko Winterscheidt, Lena Meyer Landrut, Luisa Neubauer, Carolin Kebekus, Jennifer Rostock – sie alle machen Werbung für eine Veranstaltung ohne Programm, mehrere hunderttausende Euro werden eingesammelt.

Nur die Scientists for Future sind skeptisch. Für ein Imagevideo sollen sie „Unfuck the World“ singen, ehe ein Teilnehmer das in Frage stellt: „Und was ist, wenn wir nicht ‚fuck‘ sagen wollen?“. Es herrsche „noch kein Konsens“, dass man hier wirklich „unfuck“ singen wolle.

Daraufhin wird ein Eilbrainstorming ins Leben gerufen, um einen neuen Namen für die Veranstaltung zu finden. Auf einem Whiteboard stehen Begriffe wie „The Limit is the Sky“, „Domino Day“, „Do-Day“, „Townhalls for Future“ und „People Park“. „Park“ sei ein gutes Wort, so Siefer – wie Jurassic-Park. Das Brainstorming endet ebenso klischeebeladen, wie es angefangen hat: Siefer steht auf und greift sich Pinsel und Leinwand: „Ich hab so ein tiefes Bedürfnis, einfach mal ein O zu malen.“

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Auch Nazis sind willkommen

Satiriker Jan Böhmermann wird später als Antagonist des Events dargestellt, sein Tweet ist der erste echte Backlash für die Gruppe: „Oh ne, Böhmermann“, platzt es aus den Protagonisten heraus, und als sich dann auch noch die Fridays-for-Future-Gruppen kritisch zu Wort melden, sitzt man verzweifelt vor dem Laptop und stöhnt „Fuck“.

Zu allem Überfluss meint Siefer dann auch noch in einem Interview mit Tilo Jung, dass theoretisch ja auch Nazis an dem Großevent teilnehmen könnten, „wenn die sich konstruktiv an der Lösung der Probleme beteiligen möchten“. Ein riesiger Proteststurm folgt, Siefer wird auf der Straße beschimpft, taucht für mehrere Tage ab und geht dann zum Barbier. „Man kann immer sehr gut ablesen, wie stressig die Zeiten waren, wie unsere Bärte aussehen. Das ist immer ein guter Statusmesser, wie burned out wir grad sind“, sagt Zeiler.

Am Ende kann nur noch ein Transformationscoach helfen – und die tiefe Überzeugung, dass alles, was man hier gerade aufgebaut hat, doch trotzdem ganz geil ist. Ungefähr so verläuft auch die restliche Dokumentation: Inhaltlich werden die Probleme nie angepackt, es geht praktisch dauerhaft um den Kampf der vermeintlichen Weltverbesserer mit ihren Kritikern.

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Das Scheitern wird zum Event

Waldemar Zeiler sagt an einer Stelle, es sei ja typisch für Linke, dass sie sich untereinander fertig machen würden, während sich Rechte geschlossen zusammenraufen könnten. In einem Interview mit Matze Hielscher suggeriert Siefer, die Leute würden einfach nur das „politische Entertainment“ nicht verstehen – in den USA sei sowas ja total normal. Und schließlich kommt dann auch noch der „Fucking Endgegner“: Corona – und das Event ist endgültig Geschichte.

Für das Scheitern scheinen sich die Protagonisten nicht zu schämen, im Gegenteil. Scheitern gehört zur Startup-Mentalität, also wird es auch exzessiv vor der Kamera inszeniert. Und genau diese Inszenierung macht die Dokumentation am Ende auch so problematisch.

Denn allein die Tatsache, dass seit Tag 1 des Projektes eine Kamera mitläuft, bestätigt alle Skeptiker in ihrer Kritik. Hier ging es augenscheinlich nie ums Weltverbessern, hier ging es stets um die eigene Selbstinszenierung. Der Traum davon, vor 90.000 Mensch als Helden gefeiert zu werden, mit seinem Event in die Geschichtsbücher einzugehen und um gute Presse fürs eigene Kondomunternehmen.

„Macht mich fassungslos“

„Antagonist“ Böhmermann widmete der Doku am Sonntag in seinem Podcast „Fest & Flauschig“ gleich mehrere Minuten Wutrede. „Ich konnte es nicht glauben“, so der Satiriker. „Was mich wirklich fassungslos gemacht hat: Wie können diese engagierten nichts Böses wollenden jungen Menschen diesen absoluten Volltrotteln hinterherlaufen?“

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Olli Schulz pflichtete bei und bezeichnete das geplante Event als typische „Prenzlberg-Aktion“, zudem seien die Protagonisten vollkommen unpolitisch.

„Das ist das Allerschlimmste an der ganzen Sache. Die wollen einfach nur die Welt retten und Petitionen zeigen und dann soll da im Stadion abgestimmt werden.“ Das sei einfach „völlig hirnrissiger Schwachsinn“. Das ganze Event habe „auf keinem Fundament“ gestanden. Und wenn man „so viel Energie“ in so ein „Luftschloss“ setze, dann sei es auch legitim, sich darüber lustig zu machen.

Die perfekte Selbstinszenierung

Die Macher von „12062020 Olympia“ sehen das erfahrungsgemäß anders und bleiben bei der gewohnten Selbstinszenierung.

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Philip Siefer kündigte die Doku auf Linkedin vor einer Woche folgendermaßen an: „Stell Dir vor, du mietest das Olympia Stadion, um im Bürgerratsprinzip Petitionen für eine bessere Welt zu verabschieden, schaffst das größte Crowdfunding Europas, vereinst 70.000 Menschen, wirst im Shitstorm virtuell an den Pranger gestellt, auf der Straße (mit Frau und Kind) als Hurensohn beschimpft und dann, kurz bevor Arcade Fire gespielt hätte, auf einer Bühne die Maja Göpel, Rutger Bregmann und vielen anderen gehört hätte, bricht eine globale Pandemie aus und alles ist vorbei. Jetzt auf Joyn.“

Eine Geschichte aus dem Marketinglehrbuch eben.

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