TV-Kritik

ZDF-Serie „Neuland“: vier Frauen und ihre Dämonen

„Neuland“ - Dreharbeiten: Von links: Anke Ritter (Anneke Kim Sarnau), Sarah Reimers (Mina Tander), Karen Holt (Franziska Hartmann) und Marie Klein (Peri Baumeister).

„Neuland“ - Dreharbeiten: Von links: Anke Ritter (Anneke Kim Sarnau), Sarah Reimers (Mina Tander), Karen Holt (Franziska Hartmann) und Marie Klein (Peri Baumeister).

Leutnant Holt heißt mit Vornamen Karen und muss vom Kampfeinsatz in Mali ins beschauliche Sünnfleth zurückkehren, um die Töchter ihrer verschwundenen Schwester zu betreuen. Dummerweise schleppt sie einen tarngefleckten Rucksack voller Probleme zur Heimatfront, wohin die Kriegerin so gut passt wie Sarah, Anke und Marie aufs Schlachtfeld – gut situierte Sünnfletherinnen, die der Soldatin ebenso zusetzen wie innere Dämonen als Erinnerung an diverse Einsätze.

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Vier Frauen in tragender Rolle, die sich nicht (nur) mit Kind, Kegel, Kerlen, Kleidung befassen, vier weibliche Hauptfiguren verschiedenster Couleur also, deren Anhang allenfalls ergänzende Relevanz hat – rund 15 Jahre nach seiner Krimiserie „KDD“ betritt das Drehbuch von Orkun Ertener abermals „Neuland“. Kein Wunder, dass die ZDF-Serie genauso heißt. Der „Tatort“-Autor hat Regisseur Jens Wischnewski („Gefährliche Wahrheit“) ein Provinzporträt gezeichnet, in dem er nachbarschaftliche Verwerfungen auf mittlerer Flamme köcheln lässt.

Salonrassistisches Standesbewusstsein

Dass der Topf schon im ersten von acht Teilen überkocht, liegt allerdings an einer Nebensächlichkeit. Unterm Jubel ihrer Klasse wird Alexandras Jüngste (Aennie Lade) vom elitären Jasper (Leopold Mühlbauer) verprügelt, bis ihr Mitschüler Rami (Omran Saleh) eine Kettenreaktion in Gang setzt. Während Elternvertreterin Sarah (Mina Tander) den Syrer verteidigt, bläst Jaspers Mutter Anke (Anneke Kim Sarnau) zum Widerstand und entblößt damit ein salonrassistisches Standesbewusstsein, das die Kleinstadtidylle als Luftschloss enttarnt.

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Mittendrin und doch nur dabei: Karen (Franziska Hartmann) als traumatisierte Einzelgängerin, die abends Klavier spielt, nachts vom Krieg träumt, schon morgens trinkt und mittags mit dem Ex ihrer vermissten Schwester schläft, also die komplexeste Protagonistin seit Carrie Mathison in „Homeland“ ist. Tragende Typen gibt es auch, klar. Aber von Sarahs muskulöserer Hälfte Erik (Steve Windolf) über Ankes Mustergatten (Christian Erdmann) bis zum Kontrollfreak (Godehard Giese) an der unfreiwillig häuslichen Seite von Marie (Peri Baumeister) sind es nur Sidekicks einer ungewöhnlichen Zahl weiblicher Persönlichkeiten.

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Vielschichtige Sorgen vielschichtiger Figuren

Seit „Desperate Housewives“ füllt sich das Spitzenpersonal horizontaler Serien ja mit Frauen. Abseits emanzipierter Formate wie „Big Little Lies“ und „Herzogpark“ aber wird ihr Erscheinungsbild noch immer durch oberflächliche Konsumgören à la „Sex and the City“ geprägt. Ungeachtet der genuin deutschen Krankheit, Milieustudien im Hochhaus- oder Villenviertel, also selten mittig, spielen zu lassen, kreiert das ZDF demgegenüber vielschichtige Sorgen vielschichtiger Figuren, die ihren Stress wegsaufen (Karen), weglabern (Anke), wegkümmern (Sarah) oder vor ihm wegrennen (Marie), aber auf selbstbestimmte Art eigensinnig sind.

Dass Wischnewskis fiktionales Provinznest einer Metropole voll Bohemians im Sichtbeton-Ambiente gleicht, die in Centerpole-Küchen Bordeauxgläser schwenken und ihre Brut vors siebenzügige Dorfgymnasium kutschieren, ist da fast schon lächerlich. Es verleiht „Neuland“ allerdings einen Grad an Wohlstandsverwahrlosung, der Sünnfleth zum originellen Beispiel der sozialen Spaltung im realen Land macht. Mit einem Quartett weiblicher Hauptfiguren, das leider noch immer die Ausnahme ist.

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„Neuland“ läuft am 27. und 28. Dezember im ZDF, jeweils drei Folgen ab 22.15 Uhr.

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