Ein Gastbeitrag von Christoph Gröner: Bauaktivitäten in Leipzig auf der Kippe
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Christoph Gröner ist CEO der Gröner Group AG.
© Quelle: André Kempner
Berlin. Ich habe 1995 in Leipzig mein Unternehmen gegründet und bin im Bau- und Immobiliensektor tätig. Seitdem konnte ich sehr viele unterschiedliche Wirtschaftsentwicklungen in der Branche beobachten, doch die jetzige Situation beunruhigt mich.
400.000 Wohnungen sollen laut Bundesregierung jährlich gebaut werden. Tatsächlich dreht sich aber jeder dritte Baukran in Deutschland nicht mehr. 20 Prozent weniger Baugenehmigungen sind eine Vorwarnung für bis zu 70 Prozent weniger Bauaktivität in Deutschland. Zulieferbetriebe gehen in Kurzarbeit oder schließen, vermehrt bewerben sich Handwerksbetriebe und suchen nach Aufträgen.
Wie konnte es so weit kommen? Woran genau scheitert es, 400.000 Wohnungen zu bauen? Und wie wird sich der Immobilienmarkt in Leipzig entwickeln? Aus meiner langjährigen Erfahrung als Immobilienprojektentwickler kann ich diese Fragen aus verschiedenen Perspektiven beantworten.
1. Die Banken
Inzwischen ist es eine gewohnte Vorgehensweise der großen Banken und Kreditinstitute: Laufen die Geschäfte gut, wird mit aller Macht jede Transaktion an Land gezogen. Sobald sich der Markt eintrübt, wird das Geschäft gegen null gefahren. Diese Haltung kennen wir schon aus der Finanzkrise 2008/2009. Die Volks- und Raiffeisenbanken und die Sparkassen sind darin geübt, ihre Kunden durch die Krise zu begleiten. Aber auch sie versorgen den Immobilienmarkt im Moment nicht mit ausreichenden Kreditmitteln. Ein Übriges kommt durch die seit Februar 2023 von der Finanzaufsicht Bafin verlangten höheren Eigenkapitalhinterlegungen bei Immobilienkrediten hinzu. Zusammengefasst: Durch das Abtauchen der Geschäftsbanken und der restriktiven Geldpolitik der Kreditinstitute entsteht eine Verknappung der Mittel für die Immobilienwirtschaft. Damit erhöhen sich die Risiken für Insolvenzen in der Branche.
2. Die Investoren
Durch die Nullzinspolitik wurden Immobilien in Leipzig sehr hoch bewertet, was aber nicht von Bestand sein kann, denn letztlich spielt die Kaufkraft der Bevölkerung die entscheidende Rolle. So ist die Zahlungsfähigkeit der Bürger in Leipzig leider nicht in dem Maße gestiegen, wie die Mieten und Kaufpreise der Wohnungen. Generell kann also gesagt werden, dass die Kaufpreisvorstellungen vieler Investoren nun nicht mehr realisierbar sind. Wir werden wohl auf das Niveau der Jahre 2019/2020 zurückfallen, und Immobilien in Leipzig werden kaum mehr für über 6000 Euro/qm platziert werden können. Dadurch bleiben dann viele Bauvorhaben in der Schublade, da der Einkauf der Grundstücke auf dieser Basis erfolgt ist.
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Große Projektentwicklungen wie am Eutritzscher Freiladebahnhof werden nicht realisierbar sein, wenn sich an der aktuellen Situation nichts ändert, meint Christoph Gröner.
© Quelle: Andre Kempner
Zudem haben sich in Zeiten der Nullzinspolitik Investmentgesellschaften, Fonds, Kreditinstitute und so weiter darauf verständigt, Immobilien als gewinnbringende Produkte zu betrachten. Allgemein geht man davon aus, dass Immobilien über 10 bis 20 Jahre immer in der Lage sein werden, die Inflation auszugleichen. Nun, da die Zinsen bis zu 4 Prozent betragen, wenden sich die Institutionen ab. Sie investieren im Moment eher in einfachere Produkte wie Aktien, Wertpapiere und Staatsanleihen mit der Begründung, hier lassen sich Renditen bis 5 Prozent ohne großen Aufwand erzielen. Sie verkennen aber, dass diese Renditen durch die Inflation mehr als aufgebraucht werden. So lügen sich diese Anleger in die Tasche und sorgen damit auch für einen Preisverfall und mögliche Verluste bei ihren eigenen Immobilien.
3. Die Politik
Mit 670 Milliarden Euro (2022) trägt die Bau- und Immobilienwirtschaft zu fast 20 Prozent des Bruttosozialproduktes der Bundesrepublik bei und ist damit der ökonomisch stärkste Sektor. Die Automobilwirtschaft lag im Jahr 2020 nur bei 132 Milliarden Euro, also 3,9 Prozent. Hätten wir bei der Automobilindustrie nur in Ansätzen ähnliche Entwicklungen, würde ein Hilfsprogramm das andere jagen. Hier in diesem Fall reagiert die Politik in keiner Weise – in jedem Fall nicht angemessen. Nicht nur, dass die gewünschten 400.000 Wohnungen pro Jahr niemals in dieser Marktsituation gebaut werden können, nein – gerade wird die gesamte Bauwirtschaft heruntergefahren und geht so teilweise für immer verloren.
Wir kennen diese Entwicklung nach der Corona-Pandemie aus der Gastronomie. Sind die Mitarbeiter erst einmal in andere Berufe gewechselt, kommen sie nicht zurück. Die Bauwirtschaft hat ohnehin seit Jahren ein Nachwuchsproblem – jetzt scheiden zusätzlich durch Kurzarbeit und Entlassungswellen verfügbare Arbeitskräfte aus.
Zur Person
Christoph Gröner (55) studierte an der TU Kaiserslautern Maschinenbau und startete 1990 seine erste Firma. Mit der 1995 in Leipzig gegründeten CG Gruppe stieg er zu einem der größten deutschen Wohnungsentwickler auf. Seine Anteile an diesem Unternehmen hat er 2020 verkauft und ist nun CEO der neu gegründeten Gröner Group AG. Der Immobilienexperte ist verheiratet und Vater von vier Kindern.
Dabei sieht die Politik ungerührt dem Abbau der Bau- und Immobilienwirtschaft zu. Mit wenigen „Handgriffen“ könnten Bund und Länder diesem Trend wenigstens in der Wohnungswirtschaft ohne signifikanten Aufwand ein Ende setzen: Stellen der Bund beziehungsweise die Förderbanken der Länder den Produzenten, Investoren oder Käufern von Wohnimmobilien Darlehen für zum Beispiel zwei Prozent auf 3000 Euro/qm zur Verfügung, reduziert sich der Mietpreis von knapp 20 Euro/qm auf 12 Euro/qm. Mit diesem einfachen Mittel ist innerhalb von wenigen Stunden dafür gesorgt, dass die Wohnungswirtschaft wieder anspringt, ohne dass Bund und Länder eigenes Geld in die Hand nehmen müssen. Doch stattdessen diskutieren wir über Gasthermen, Luftwärmepumpen etc. und schlittern sehenden Auges in eine nie da gewesene Wohnungsnot. Seriöse Prognosen sagen voraus, dass bald nur noch 200.000 bis 250.000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden.
4. Die Immobilienwirtschaft
Die fetten Jahre sind nicht genutzt worden, Innovationen und zukunftsfähige Produkte nach vorne zu bringen. Nahezu kein Immobilienunternehmen ist derzeit in der Lage, die Digitalisierung des Planungsprozesses mittels BIM (Building Information Modeling) anzuwenden. Das Thema Prefabrication, also serielle Vorfertigung von Bauteilen, ist nur von ganz wenigen Protagonisten nach vorne gebracht worden und befindet sich in den Kinderschuhen. Auch die Realisierung CO2-neutraler Bewirtschaftungen von Immobilien werden nur von wenigen Vorreitern vorangetrieben, zu denen auch unser Unternehmen, die Gröner Group, gehört. Durch BIM und Prefabrication wird die Bauzeit halbiert. Außerdem sinken die Kosten um zehn Prozent im Vergleich zu herkömmlich errichteten Gebäuden. Fehler und Abfall auf den Baustellen werden vermieden. Die Vorfertigung von Wänden und Decken sowie ein höherer Anteil von Recyclingbeton sparen zudem Baumaterial ein, was die CO2-Bilanz verbessert. Das Ergebnis ist seriell, hat aber dennoch individuell gefertigte Bauteile, ist also kein Plattenbau 2.0.
5. Folgen für Leipzig
Ich gehe davon aus, dass in Leipzig in den nächsten zwei bis fünf Jahren – je nach Zinsentwicklung – die Bauaktivitäten um bis zu 70 Prozent sinken werden. Begonnene Projekte werden in den meisten Fällen noch zu Ende gebracht. Besondere Bauvorhaben wie das angefangene und stecken gebliebene Projekt „Altes Technisches Rathaus“ in der Prager Straße müssen aber erst noch Investoren finden. Hier spielen dann Gewährleistungen aus alten Verträgen und entstandene Bauschäden eine besondere Rolle. Es ist also nicht absehbar, ob es hier in Kürze weitergeht.
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Aktuell Stillstand: Seit mehreren Jahren ruhen die Arbeiten am früheren Technischen Rathaus in der Prager Straße.
© Quelle: Jens Rometsch
Große Projektentwicklungen wie am Bayerischen Bahnhof oder der Freiladebahnhof werden nach meiner Ansicht unter den gegebenen Voraussetzungen nicht realisierbar sein. Erst wenn wir von Seiten des Bundes oder der Länder deutliche Zuwendungen für Neubauaktivitäten in die Immobilienwirtschaft bekommen, ist eine Realisierung absehbar. Zinsverbilligte Kredite oder steuerliche Anreize müssen dazu in einem erheblichen Umfang erfolgen. Hier müssen wir feststellen, dass sich die Kommune „verzockt“ hat. Statt die Genehmigungsverfahren zu straffen und in die Umsetzungsphase zu gehen, wurden die Verfahren hinausgezögert und in vielen Fällen mit unzähligen Forderungen überhäuft, sodass auf diesem Wege die Niedrigzinsphase verpasst wurde und die Projekte nun keine Chance mehr auf Realisierung haben.
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Fazit: Schuldzuweisungen helfen an dieser Stelle nicht, Verantwortung übernehmen ist das Stichwort – für alle Seiten. Sonst sehe ich für Immobiliendeutschland düstere Zeiten voraus.
LVZ