Rechtsextremismus

Halle und die Identitäre Bewegung: Zwischen Protest und Ignoranz

Ganz nah dran an der Uni: Die Identitäre Bewegung hat in unmittelbarer Nähe zum Steintor-Campus (r.) ihren Sitz eingerichtet (das Gebäude im Hintergrund links). Die Kleckse an der Fassade stammen von Farbbeutelwürfen.

Ganz nah dran an der Uni: Die Identitäre Bewegung hat in unmittelbarer Nähe zum Steintor-Campus (r.) ihren Sitz eingerichtet (das Gebäude im Hintergrund links). Die Kleckse an der Fassade stammen von Farbbeutelwürfen.

Halle. Zwei Kameras filmen die Straße ab. Die Rollläden an den Fenstern im Erdgeschoss sind geschlossen, zusätzlich mit Gittern geschützt. Bunte Kleckse an der Fassade zeugen von Farbbeutelwürfen. Seit einem Jahr beherbergt das Gebäude an der Stirnseite des Steintor-Campus der Martin-Luther-Universität (MLU) Halle-Wittenberg die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Identitäre Bewegung (IB). Sie wollten den „Meinungstotalitarismus“ durchbrechen, sagt Philip Thaler von der Gruppe. Dafür sei der Standort des Hauses in unmittelbarer Nähe zur Universität prädestiniert.

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Valentin Hacken, Sprecher des überparteilichen Bündnisses Halle gegen Rechts, läuft über den Campus. Vor dem Gebäude in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 bleibt der 26-Jährige stehen. Keine Minute später verlassen zwei Bewohner das Haus. Sie grinsen und grüßen Hacken. „Sie wollen Raum einnehmen“, sagt er unbeeindruckt. „Wollen zeigen, dass sie wissen, wer ich bin.“ Wenig später öffnet jemand ein Fenster im ersten Stock, zwei weitere junge Männer treten aus der Tür. Einer fotografiert Hacken. „Schwuli“, ruft der andere. Hacken entfernt sich vom Gebäude.

Das Haus, das die IB selbst als „Leuchtturmprojekt“ bezeichnet, es wirft Schatten auf die gesamte Bundesrepublik. Sympathisanten entschieden sich wegen des „patriotischen Zentrums“ für ein Studium in Halle. Bei der Hochschulwahl im Mai wählten die Studierenden Hannah-Tabea Rößler von der Liste „Campus Alternative“, einer AfD-nahen Hochschulgruppe, in den Studierendenrat. Die Studentenschaft habe mit der Wahl gezeigt, dass es in „dreistelliger Anzahl Patrioten auf der MLU gibt“, sagt Thaler. Rößler solle die „Verwicklungen mit linksextremen Strukturen" des Studierendenrats aufdecken, fordert Thaler. Einer von 37 Sitzen im Gremium ist also ab Oktober in der Hand der Rechten. Mit dem Haus wolle die IB eben diesen Sympathisanten eine „politische Heimat und einen Ort des freien Gedankenaustausches" schaffen.

Selbstinszenierung als Strategie

Eine Unterwanderung von Rechts fände aber nicht statt, so die vorherrschende Meinung am Campus. „Die Identitären sind kein Teil der Uni“, sagt Lukas Wanke, Sprecher des Studierendenrats der Universität. Nur etwa sieben Mitstreiter des „harten Kerns“ der IB seien überhaupt immatrikuliert, schätzt Hacken. Ihre Anzahl ist verschwindend gering, wenn man bedenkt, dass rund 20 400 Studierende an der Universität Halle-Wittenberg eingeschrieben sind.

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Ende Juni standen zwei Fässer mit Giftmüll auf dem Campus der Universität. Aus einem stieg Rauch auf. Die IB wollte damit auf den in ihren Augen giftigen Einfluss der 1968er-Bewegung auf Hochschulen Bezug nehmen. Doch die Aktion verpuffte. Denn zuvor war die Facebookseite der Aktivisten abgeschaltet worden. „Damit haben sie einen großen Teil ihrer Resonanz verloren“, beobachtet Wanke. Ohne soziale Netzwerke verhallen die Provokationen ungehört.

Uneins über Umgang mit Rechtsextremisten

Über den richtigen Umgang mit den Rechtsextremisten gibt es unterschiedliche Meinungen: Patrick Wagner, Professor für Zeitgeschichte, hat sich bislang zum Thema nicht öffentlich geäußert. „Ich lehne die völkisch-rassistische Gruppe völlig ab“, sagt er. Gleichzeitig fürchtet der Professor, dass zu viel Aufmerksamkeit der „Selbstvermarktung“ der IB als einer vermeintlich starken Gruppe dienen könnte. Auch das Haus am Campus zählt er zur „Symbolpolitik“ der Neuen Rechten.

Eine andere Strategie verfolgt derweil Johannes Varwick, Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik. Er lud im Oktober 2017 zur Podiumsdiskussion über den Umgang mit Identitären ein. Über 250 Interessierte kamen. „Man muss Flagge zeigen“, findet der Professor und fordert eine stärkere argumentative Auseinandersetzung mit den Themen. „Die Kollegenschaft ist mir zu passiv und zu wenig politisch“, sagt er.

Auch die Universitätsleitung bezieht mittlerweile Stellung, verfasste zusammen mit dem Studierendenrat im Januar dieses Jahres einen offenen Brief. „Wir dürfen nicht zulassen, dass einzelne Gruppen einen Anspruch auf unseren Campus als den ihren erheben“, heißt es darin. Der Bezug des Hauses gegenüber des Steintor-Campus sei ein „Affront“ und ein „potenzielles Bedrohungsszenario“. Bisher habe es aber noch keine kritischen Vorfälle in Lehrveranstaltungen gegeben.

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„Erstmal hat jeder Studierende das Recht zu studieren“, sagt Wagner. Mario Müller, Kopf der Gruppe in Halle, hat vor etwa zwei Jahren seine Bachelorarbeit bei dem Professor geschrieben. Probleme habe es in diesem Zusammenhang keine gegeben. 2012 habe es jedoch in einem Seminar an seinem Lehrstuhl Konflikte um das Verhalten rechter Studenten gegeben. Daraufhin seien Regeln für die Teilnahme an den Veranstaltungen aufgestellt worden: Respekt, kein Rassismus und Diskussionen ohne Androhung von Gewalt. Wer sich daran nicht hält, kann ausgeschlossen werden. Das sei bislang aber noch nicht vorgekommen.

Was Halle für die Identitäre Bewegung so anziehend macht

Aber warum bauen die Neuen Rechten ihr Zentrum gerade in Halle auf? Wanke nennt eine Reihe von Gründen, die den Standort interessant machen: Eine starke AfD und eine aktive rechtsextreme Szene in Sachsen-Anhalt sowie etablierte Strukturen von konservativen und rechten Studentenverbindungen, allen voran die Halle-Leobener Burschenschaft Germania. Auch die Nähe zu Schnellroda, einem weiteren Zentrum der Neuen Rechten um Verleger Götz Kubitschek, sei ein Faktor. Die IB ist stolz auf ihren „patriotischen Rückzugsraum“. Dort sollen deutsche Bürger, die dem Zeitgeist entgegenstehen, „echte Meinungsfreiheit“ erleben und Gleichgesinnte treffen, so Thaler.

Die IB nennt ihre Nachbarschaft „gespalten“. Nach Aussage von Thaler gibt es Anwohner, die den Fremdenfeinden in anonymen Briefen und privaten Gesprächen Wohlwollen ausdrücken. „Immer mehr Menschen trauen sich zu uns“, sagt er. Die Mehrzahl der Anwohner rund um die Adam-Kuckhoff-Straße will das Haus aber offensichtlich nicht so einfach hinnehmen: „Wir wünschen ausdrücklich keine Nachbarschaft mit Ihnen“, schrieben über 100 Unterzeichner im Oktober vergangenen Jahres in einem offenen Brief. Die Stadt unterstützt die Initiative: „Das rechtsextreme Zentrum ist in der Stadt nicht erwünscht“, sagt Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos).

Dass das Haus in den kommenden Jahren verschwindet, halten allerdings sowohl Aktivisten als auch Professoren für unwahrscheinlich. „Die IB wird im Windschatten der AfD mitsegeln“, vermutet Varwick. Darum müsse gerade die politische Mitte Stellung gegen Extremismus beziehen. Wanke warnt davor, dass die IB zur Normalität wird am Campus der Martin-Luther-Universität.

Die Identitäre Bewegung in Halle

Die sogenannte Identitäre Bewegung (IB) entstand 2002 in Frankreich. 2012 gründete sich ein Ableger in Österreich, in dem Jahr trat die Gruppierung der Neuen Rechten auch in Deutschlands erstmals in Erscheinung. Die rechtsextreme Bewegung tritt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie etwa der kurzzeitigen Besetzung des Brandenburger Tors oder der Blockade des Justizministeriums in Berlin in Erscheinung. Die Auftritte inszenieren die Anhänger auf sozialen Netzwerken, etwa in Videoclips. Sie warnen vor Überfremdung und wollen eine „Festung Europa“. Dabei lehnen sie grundlegende demokratische Prinzipien wie Gleichberechtigung, Pluralismus und Menschenrechte ab.

Seit 2016 wird die IB vom Verfassungsschutz beobachtet. Einige der Unterstützer verkehrten auch zuvor schon in rechtsextremen Kreisen. 2017 zählte der Verfassungsschutz bundesweit etwa 500 Menschen zu den Unterstützern der IB, 2016 waren es noch 300. In Sachsen geht der Verfassungsschutz von 40 Mitgliedern in den Ortsgruppen Leipzig, Zwickau, Dresden, Bautzen und im Erzgebirgskreis aus. In Sachsen-Anhalt sollen 50 Personen in den Regionalgruppen Harz, Magdeburg und Halle organisiert sein.

In Halle entstand 2015 die zur IB gehörende „Kontrakultur Halle“, mittlerweile nennen sich die Mitglieder Identitäre Bewegung Sachsen-Anhalt. Vor einem Jahr kauften Unterstützer den Aktivisten in der Universitätsstadt ein Haus gegenüber des Steintor-Campus. In diesem leben etwa fünf Anhänger der IB, der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider soll darin ein Büro unterhalten. Zudem finden regelmäßig „Salons“ des Instituts für Staatspolitik, das der Verleger Götz Kubitschek mitgründete, in einem Veranstaltungsraum statt.

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Von Theresa Held

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