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Cinin Abuzeed

Leipziger Studentin wehrt sich gegen Abschiebung am Flughafen Tel Aviv: „Es geht dabei nicht um mich“

Zurück in Leipzig: Die Studentin Cinin Abuzeed, die am israelischen Flughafen festgehalten und nach Deutschland abgeschoben wurde.

Zurück in Leipzig: Die Studentin Cinin Abuzeed, die am israelischen Flughafen festgehalten und nach Deutschland abgeschoben wurde.

Leipzig. Vielleicht hätte der israelische Grenzbeamte anders gehandelt – hätte er gewusst, wen er da vor sich hat.

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Hätte er gewusst, dass Cinin Abuzeed schon als Schülerin im Jugendparlament saß. Dass die 19-Jährige, die nach Israel einreisen wollte, ein hohes Unrechtsbewusstsein hat. Dass sie intuitiv mit ihrem Handy filmen würde, als die Situation am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv zu eskalieren drohte. Dass sie mit dem Video ein Millionenpublikum erreichen würde.

Eine Leipziger Jura-Studentin, die davon träumt, Menschenrechtsanwältin zu werden, wurde durch einen Vorfall an der israelischen Landesgrenze weltweit bekannt. Sie brachte den früheren Berliner Bürgermeister und Bundestagabgeordneten Michael Müller (SPD) dazu, das Auswärtige Amt zur Rede zu stellen – welches den Vorfall nun „völlig inakzeptabel“ nannte und bei der israelischen Grenzbehörde Protest einlegte.

Einreise in palästinensische Gebiete: Der Grenzbeamte habe mit Tränengas gedroht

Anders gesagt: Abuzeed wusste, dass sie nicht fair behandelt wurde. Und wie man sich heutzutage dagegen wehrt, um vielleicht kein politisches Erdbeben, aber zumindest eine kleine Eruption auszulösen. Nun wird sie auf der Straße erkannt, im Hörsaal, im Taxi. Wie geht es ihr damit?

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„Eigentlich hat sich mein Leben nicht groß verändert“, sagt Abuzeed. Sie hat mit einem Cappuccino auf einer Europalette im Leipziger Zentrum-Süd Platz genommen. Die Tage, in denen sie täglich Dutzende Medienanfragen erhielt, sind erst einmal vorbei. Keine Hunderte von Hasskommentaren mehr auf ihrem privaten Instagram-Profil. „Unter meinen Kommentaren ist ein halber Bürgerkrieg ausgebrochen“, sagt sie. Keine Fake News mehr mit Fotomontagen von ihrem Gesicht. Eine davon brachte sie zur Anzeige. Sie wirkt erleichtert.

Am 24. April war das noch anders. Eine Woche war es her, dass Abuzeed ihre Großmutter im Westjordanland besuchen wollte. Wer mit deutschem Pass in die palästinensischen Gebiete einreisen will, muss über Tel Aviv kommen. Doch dort wurde Abuzeed aufgehalten: Der Grenzbeamte habe ihr mit Tränengas gedroht, sagt sie. Nur das Eingreifen des deutschen Botschafters in Israel habe verhindert, dass sie in Abschiebehaft kommt – sagt dieser.

Eine kleine diplomatische Eruption: Auswärtiges Amt verurteilt Vorfall in Tel Aviv

Die israelische Grenzbehörde sah die Lage anders. Sie habe sich als Einwohnerin des Westjordanlandes zu erkennen gegeben. Weil sie allerdings keine Genehmigung der palästinensischen Behörden hatte, sei ihr die Einreise nach Israel verweigert worden. Zudem habe sie sich aggressiv und beleidigend verhalten. Cinin Abuzeed streitet das ab.

Letztlich musste Abuzeed 30 Stunden in einem Warteraum am Grenzposten Tel Aviv ausharren. In einem Polizeiwagen wurde sie schließlich aufs Rollfeld gefahren und in den nächstbesten Flug nach Berlin verfrachtet. Ihr Koffer war verschollen. Eine Woche später lud sie ihr Video hoch. Vorher habe sie das Auswärtige Amt um eine Erklärung gebeten. „Ich wusste mir nicht anders zu helfen“, sagt sie.

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Es folgten viele Millionen Klicks, Hunderte Medienanfragen. Fernsehteams wollten Abuzeed interviewen. Und radikale Webseiten aller politischen Ränder nahmen ihre Geschichte und ihr Gesicht, „um ihre Propagandalügen zu pushen“, wie sie sagt. Abuzeed sagt, dass sie eigentlich gar nicht berühmt werden wollte. „Ich wusste mir nur nicht anders zu helfen.“ Schließlich, am Donnerstag, erhielt auch der Abgeordnete Michael Müller eine Antwort vom Auswärtigen Amt. Man verurteile den Fall, man lege Protest ein. Gespräche mit dem israelischen Außenminister seien aufgenommen worden.

Eine 19-Jährige erzeugte eine kleine diplomatische Eruption. Was möchte sie noch?

Cinin Abuzeed: „Jedes Land kann selbst entscheiden, wer einreisen darf“

„Noch mal: Es geht hier nicht um mich“, sagt sie. Was sie wirklich störe, sei ein Passus auf der Seite des Auswärtigen Amts. Ein Satz, der im Grunde sagt: Das, was ihr passierte, könne immer wieder vorkommen. Deutsche Staatsbürger „mit auch nur vermuteter arabischer oder iranischer Abstammung oder islamischer Religionszugehörigkeit“, heißt es dort, sollten bei der Einreise nach Israel mit „intensiven Sicherheitsbefragungen und möglicher Verweigerung der Einreise“ rechnen. Auch die „Verbringung in ein Abschiebezentrum“ sei „üblich“.

Cinin Abuzeed hat, genau wie ihre Eltern, einen deutschen Pass – jedoch stammen diese aus Palästina. Vor Jahrzehnten reisten sie zum Studieren in die DDR ein. Wahrscheinlich deshalb führt die israelische Grenzbehörde auch die Leipziger Studentin in ihrem palästinensischen Personenregister. Der Grenzbeamte habe ihr zum Beleg ein altes Kinderfoto gezeigt. Dann sei all das passiert, wovor das Auswärtige Amt auf seiner Website warnt. „Wie kann der deutsche Staat das hinnehmen?“, sagt Abuzeed.

Man könnte Abuzeeds Fall bedauern und gleichzeitig einwenden: Gilt deutsches Recht nicht nur auf deutschem Boden? Wie soll Deutschland israelischen Beamten Vorschriften machen? Doch genau das sieht auch Abuzeed so. „Jedes Land kann natürlich selbst entscheiden, wer einreist und wer nicht“, sagt sie. Ihr gehe es um etwas anderes: „Den konsularischen Schutz, dem Deutschland verpflichtet ist.“

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Cinin Abuzeed lebt seit Oktober 2022 in Leipzig, aufgewachsen ist sie in Berlin.

Cinin Abuzeed lebt seit Oktober 2022 in Leipzig, aufgewachsen ist sie in Berlin.

Heißt: Abuzeed prangert weniger Israel an, als sie der dortigen Deutschen Botschaft den Vorwurf macht, in solchen Fällen nicht zu handeln. Während der 30 Stunden sei die Botschaft nicht für sie zu erreichen gewesen. „Aus technischen Gründen“, erklärte diese. Zurück in Deutschland, wartete sie abermals eine Woche auf eine Antwort. Erst dann habe sie ihr Video hochgeladen – woraufhin Medien aus der ganzen Welt über ihren Fall berichteten. „Aber nicht jeder kann ein virales Tiktok-Video posten“, sagt sie. „Ich frage mich, was mit denen passiert, die niemand hört.“

Hunderte erzählten ihre Geschichten – und Abuzeed will Unterschriften für Petition sammeln

In den letzten Wochen rief Abuzeed all jene, die unter ihrem Video kommentierten, ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben, zu einer Umfrage auf. Hunderte antworteten ihr. Erzählten ihre Geschichten. Diese Fallsammlung will Abuzeed nun zusammen mit 10.000 Unterschriften für eine Petition der Deutschen Botschaft übergeben.

Kürzlich postete Abuzeed ein kurzes Video, darauf: ihr Koffer. Verbeult und zerdrückt. „Die Legende ist zurück“, schrieb sie dazu. Bald möchte sie sich wieder ganz auf ihr Studium konzentrieren.

LVZ

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