E-Paper
Kritik von Studierenden

Lehrermangel: „Ich frage mich, ob man überhaupt möchte, dass wir in Sachsen bleiben“

Der Lehrermangel in Sachsen erschwärt es den Schulen, den regulären Unterricht abzusichern. Angehende Lehrkräfte kritisieren, dass die Bildungsverwaltung sich zu wenig kümmert, um tatsächlich mehr junge Pädagogen vor die Klassen zu bekommen.

Der Lehrermangel in Sachsen erschwärt es den Schulen, den regulären Unterricht abzusichern. Angehende Lehrkräfte kritisieren, dass die Bildungsverwaltung sich zu wenig kümmert, um tatsächlich mehr junge Pädagogen vor die Klassen zu bekommen.

Artikel anhören • 8 Minuten

Dresden. Nele verkörpert das, was Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) bisweilen als Goldstaub bezeichnet. Die junge Frau aus dem Leipziger Umland hat schon acht Semester Lehramtsstudium hinter sich, wird nächstes Jahr ihr erstes Staatsexamen ablegen und will im März 2025 an einer Schule als Referendarin beginnen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Besser könnte es eigentlich nicht laufen. Und das sowohl für Nele, die ihren richtigen Namen nicht öffentlich preisgeben möchte, als auch für Piwarz. Denn der Minister sucht mit seiner Bildungsverwaltung händeringend nach neuem Personal. Die Stichworte lauten Lehrermangel, Stundenausfall und Altersabgänge.

Studierende wandern für Praktika in andere Bundesländer ab

Deshalb sind Menschen wie Nele so heiß begehrt – und eben auch so selten wie Goldstaub. Wer sich mit der 21-Jährigen unterhält, wird aber rasch zu einer anderen Meinung kommen. Ihre bisherige Ausbildung liest sich im Schnelldurchlauf so: Umzug nach und Studium in Leipzig, zwei vierwöchige Praktika in Ostsachsen, inklusive Wohnungssuche, zusätzlichen Kosten und finanzieller Unsicherheit, weil kurzfristige Nebenjobs in der Ferne kaum möglich sind.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Insgesamt gibt es zu wenig Praktikumsplätze. Die Schulen sind häufig auch nicht ausreichend informiert“, hat die Lehramtsstudentin für Sonderpädagogik festgestellt. Auch die Bildungsverwaltung sei bei Vermittlungen zu selten hilfreich, sagt sie. Deshalb würden sich nicht wenige Kommilitonen aus West-Bundesländern für die Pflichtpraktika in der alten Heimat entscheiden – wo sie häufig auch bessere Referendariatsstellen bekämen.

Immer mehr Referendare verpflichten sich für Landschulen

„Ich frage mich, ob sich die Leute in der Schulverwaltung auch mal in unsere Lage versetzen. Ob man überhaupt möchte, dass wir in Sachsen bleiben. Man kommt sich immer wie ein Bittsteller vor“, fasst Nele ihre Erfahrungen aus den vergangenen vier Jahren zusammen. Es sind nur zwei dieser Sätze, die die öffentlichen Bekundungen des Kultusministers zu konterkarieren scheinen.

Läuft in der Akquise von Lehrernachwuchs also etwas schief? Oder ist Nele ein Einzelfall? Tatsächlich kann das Kultusministerium durchaus auf Erfolge verweisen, selbst wenn – wie bei den beiden jüngsten Einstellungsrunden – Hunderte freie Lehrerstellen nicht besetzt werden konnten. Doch der Anteil der Referendarinnen und Referendare, die sich für einen längerfristigen Einsatz außerhalb von Leipzig und Dresden verpflichtet haben, stieg seit 2019 von 11 auf 41 Prozent.

Freistaat lockt mit 1000 Euro Sonderzahlung

Dafür gibt es auch ein kräftiges Gehaltsplus: Wer seine Ausbildung in einer ländlichen Region abschließt und sich für weitere fünf Jahre bindet, erhält während des Vorbereitungsdienstes einen monatlichen Bonus von 1000 Euro. Das ist bundesweit einmalig. Mit dem sogenannten Anwärtersonderzuschlag gehören die sächsischen Referendarinnen und Referendare zu den bestbezahlten in ganz Deutschland.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Dass die Maßnahme wirkt und die Nachwuchskräfte in die Bedarfsregionen zieht, zeigt der Blick auf die Zahlen“, erklärt das Kultusministerium. Darüber hinaus bleiben inzwischen 73 Prozent der Referendarinnen und Referendare später in Sachsen und nehmen hier eine Lehrerstelle. Zum Vergleich: Vor drei Jahren waren es lediglich 64 Prozent. Auch die parallel eingeführte Verbeamtung scheint daran ihren Anteil zu haben.

Studierendensprecherin: Mit Geld lässt sich nicht alles lösen

Dennoch, hält Fanny Weickelt entgegen, könnten es deutlich mehr Nachwuchskräfte sein, die im Freistaat bleiben. Die angehende Lehrerin, die aus dem Erzgebirge stammt, ist im Studierendenrat der Universität Leipzig für das Lehramt zuständig – und kennt Erzählungen wie jene von Nele zur Genüge. „In Sachsen wird gedacht, mit Geld ließe sich alles regeln. Die Zulage ist zwar eine gute Geste, um junge Lehrpersonen aufs Land zu locken. Doch am Ende kümmern sich zu viele Seiten einfach zu wenig“, erklärt Fanny Weickelt.

Fanny Weickelt, Studierendensprecherin und angehende Lehrerin: „Es gibt nicht wenige junge Lehrpersonen, die einfach Angst vor dem sächsischen Land haben, weil es schon vielerorts gefestigte rechte Strukturen gibt.“

Fanny Weickelt, Studierendensprecherin und angehende Lehrerin: „Es gibt nicht wenige junge Lehrpersonen, die einfach Angst vor dem sächsischen Land haben, weil es schon vielerorts gefestigte rechte Strukturen gibt.“

Sie berichtet von häufig als alternativlos deklarierten Jobangeboten in weiter Entfernung, von wenig Entgegenkommen in den Behörden, von fehlenden „weichen“ Standortfaktoren wie Kultur oder öffentlichem Nahverkehr. Gerade Letzteres mache das wöchentliche Pendeln zu Uni-Seminaren, die auch während des Referendariats stattfinden, zu einer Herausforderung, macht Fanny Weickelt klar. Hinzu kämen in Sachsen äußerst kurzfristige Stellenzusagen, sodass eine Wohnungssuche für potenzielle Referendarinnen und Refendare erschwert werde.

Nachwuchslehrer helfen bei Stundenabsicherung aus

Abschreckend wirke auch, dass viele Lehrkräfte völlig überlastet seien, und Teilzeitarbeit nur in Ausnahmefällen gewährt werde. Und schließlich, sagt die Studierendensprecherin, würden sich auch Wahlergebnisse der AfD negativ auswirken: „Es gibt nicht wenige junge Lehrpersonen, die einfach Angst vor dem sächsischen Land haben, weil es schon vielerorts gefestigte rechte Strukturen gibt.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Aus all diesen Gründen würden sich etliche Studierende mit dem ersten Staatsexamen in die sogenannte Unterrichtsversorgung retten – statt als Referendare in entlegene Regionen geschickt zu werden, erzählt Fanny Weickelt. In diesen Fällen werden die noch nicht vollständig ausgebildeten Lehrkräfte „gegen gutes Geld“ zur Absicherung der Stundenpläne eingesetzt. Ansonsten wären die im ersten Schulhalbjahr 2022/23 registrierten neuen Ausfall-Rekordwerte wohl noch höher gewesen.

Studierende: Hohe Belastung, wenig Rückendeckung

Reicht das Problem also weitaus tiefer? Ja, sagt Ludwig Firkert, der Sprecher der Konferenz der Sächsischen Studierendenschaften (KSS). Er studiert in Dresden selbst auf Lehramt und meint: Wenn Sachsen mehr junge Lehrkräfte binden wolle, müsse sich auch mehr um die Belange der Studierenden gekümmert werden. So sei etwa die Überlastung – insbesondere während des anderthalbjährigen Referendariats – ein zunehmendes Problem, das sich mit Geld nicht aufwiegen lasse.

„Doch statt Lösungen zu finden, wird das Gendern an den Schulen verboten und ein Kulturkampf ausgetragen“, ärgert sich Firkert, „gerade für kritischere, progressivere Lehrkräfte ist das ein Schlag. Wir wünschen uns mehr Rückendeckung. Auch für neue pädagogische Konzepte, für deren Umsetzung momentan selbst bei gutem Willen einfach die Zeit fehlt.“ Allein aufgrund des entsprechenden Ministeriumserlasses zum Gendern erwartet er, dass eine Vielzahl von angehenden Lehrerinnen und Lehrern den Freistaat demnächst verlassen könnte.

Kultusministerium: Kommunikation ist verbessert worden

Dagegen sieht sich das Kultusministerium durch den Rat für deutsche Rechtschreibung bestätigt, auf dessen jüngste Empfehlungen verwiesen wird. Auch die Kritik der Studierenden wird nicht geteilt: „Es wird immer versucht, die Wünsche der Bewerberinnen und Bewerber hinsichtlich ihrer Ausbildungsschule oder Ausbildungsstätte zu berücksichtigen.“ Zugleich müssten aber ebenso „die regionalen Bedarfe sowie vertretbare Größenordnungen in den Ausbildungsgruppen“ im Blick behalten werden. „Denn alle Schülerinnen und Schüler in Sachsen haben einen Anspruch darauf, unterrichtet zu werden“, wird in Dresden erklärt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Lesen Sie auch

Trotzdem soll den Studierenden mehr entgegengekommen werden, versichert das Kultusministerium: Die „direkte Kommunikation des zuständigen Landesamtes für Schule und Bildung (Lasub) mit den Bewerberinnen und Bewerbern“ sei seit dem letzten Zulassungsverfahren „nochmals deutlich intensiviert“ worden. So bestehe nun „grundsätzlich die Möglichkeit“, gemeinsam nach Ausbildungsalternativen zu suchen, wenn das erste Angebot nicht zusage. „Dennoch gelingt es nicht immer, den Vorstellungen in allen Punkten gerecht zu werden“, räumt das Kultusministerium aber auch ein.

Suche nach Ausbildungsplatz in anderen Bundesländern

Für Nele, die eingangs erwähnte Lehramtsstudierende, sind solche Argumente durchaus nachvollziehbar. Dennoch wird sich die junge Frau einen Platz suchen, der am besten zu ihr passt und gefällt. Ob das in Sachsen sein wird, ist zumindest aus heutiger Sicht fraglich. Die angehende Sonderpädagogin wird sich nächstes Jahr auch in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg und in Bremen als Referendarin bewerben – „dort ist man mit der Inklusion schon viel weiter als hier“. Auch die pädagogischen Konzepte scheinen also ein ausschlaggebender Punkt zu sein.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Hinzu gesellt sich das Gefühl, andernorts tatsächlich willkommen zu sein und mit offenen Armen empfangen zu werden. Am Ende wird Nele noch einmal kategorisch: „Warum verprellt man uns in Sachsen? Warum stellt man sich hier immer wieder selbst ein Bein, wo doch der Bedarf so groß ist?“ Denn eigentlich würde sie ja gern in ihrer Heimat bleiben, sagt sie.

LVZ

Mehr aus Sachsen

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken