Lernrückstände nach Corona: Sachsen gibt Millionen für mehr Nachhilfe
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Die Lernrückstände sind nach der Corona-Pandemie teilweise noch immens. Deshalb legt Sachsen jetzt ein eigenes Landesprogramm auf, um das Aufholen fortzusetzen.
© Quelle: Daniel Bockwoldt/dpa
Dresden. In Sachsen wird es auch im kommenden Schuljahr ein Corona-Aufholprogramm geben. Kultusminister Christian Piwarz (CDU) kündigte am Mittwoch an, dass der Freistaat die im Juli auslaufende Bundesfinanzierung mit Landesgeld auffangen wird. Pro Schuljahr sind zehn Millionen Euro eingeplant. „Wir haben damit die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler, die noch Unterstützung für schulisches Lernen benötigen oder während der Corona-Pandemie emotional in eine schwierige Situation gekommen sind, weiterhin zu fördern und zu unterstützen“, erklärte Piwarz.
Schulen können über Budget selbst verfügen
Das Aufholprogramm war vor anderthalb Jahren zunächst schleppend gestartet. Inzwischen laufen laut Kultusministerium an 89 Prozent der 1400 sächsischen Schulen entsprechende Projekte. Bezahlt werden Förder- und Nachhilfeangebote, die den Unterricht ergänzen sollen. In das Paket fallen auch Gutscheine für Schwimmkurse. Jede Schule kann in Eigenregie ihre Angebote auflegen und Honorarkräfte – etwa Studierende oder ehemalige Lehrkräfte – verpflichten.
Im Landesamt für Schule und Bildung ist eine eigene Servicestelle eingerichtet worden, um die jeweiligen Anträge schnell bearbeiten zu können. Jeder Schule wird entsprechend ihrer Anzahl an Schülerinnen und Schülern ein Budget zur Verfügung gestellt. Das waren zuletzt durchschnittlich rund 60 Euro pro Kopf.
Landeselternrat sieht „riesengroßen Bedarf“
„Der Bedarf ist weiterhin riesengroß. Deshalb ist es gut, dass das Aufholprogramm weitergeführt wird“, sagt Nicole Möller vom Landeselternrat Sachsen. Dabei gehe es nicht allein um die Lernlücken in Fächern wie Mathematik, Deutsch oder Fremdsprachen – sondern insbesondere auch um die psychischen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie, die mit langen Schulschließungen und Wechselunterricht verbunden gewesen ist.
Deshalb müsse das Miteinander wieder gestärkt und müssten gerade die psychosozialen Folgen angegangen werden, macht Möller klar, „auch wenn sich viele Eltern wünschen, dass die klassischen Unterrichtsinhalte an erster Stelle stehen“. Doch um diese Defizite tatsächlich aufholen zu können, werde es noch Jahre brauchen.
Schülersprecherin kritisiert Notendruck und volle Lehrpläne
Ähnlich schätzt Sachsens Landesschülersprecherin Lilly Härtig die Lage ein: „Man merkt, dass es noch viele Lernlücken gibt. Besonders schwierig ist, neuen Stoff zu lernen und parallel verpassten Stoff nachzuholen.“ In diesem Zusammenhang kritisiert sie auch den wachsenden Notendruck und die überfüllten Lehrpläne. Die Bildungsgewerkschaft GEW weist zudem auf die angespannte Personalsituation hin: Nicht nur in Corona-Zeiten sei es schwierig genug gewesen, überhaupt den Unterricht abzusichern.
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Bislang gibt es 20 000 Verträge für Nachhilfestunden
Im Rahmen des Aufholprogramms sind laut Kultusministerium in Sachsen bislang insgesamt 20 000 sogenannte Dienstleistungsverträge abgeschlossen worden. Die größeren Städte seien dabei im Vorteil, meint Nicolle Möller vom Landeselternrat: „Gerade im ländlichen Raum gibt es leider nicht so viele Angebote, wie sie eigentlich notwendig wären.“
Allgemein werden in vielen Fällen professionelle Nachhilfeinstitute verpflichtet. Aber auch ehemaliges Lehrpersonal, Erzieher, Logopäden, Ergotherapeuten, Schauspieler oder Musiker sind unter den Honorarkräften – und ebenso Eltern. Daneben unterrichten auch etliche Studierende nebenbei: Allein von der Leipziger Universität sind es mehr als 250, die sich an dem Projekt „Universität nützt Schule“ beteiligen. Dagegen dürfen Lehrerinnen und Lehrer die zusätzlichen Aufgaben nur in begrenztem Rahmen übernehmen, zum Beispiel über Ganztagesangebote.
Nicht nur der Unterrichtsstoff soll gepaukt werden
Neben der Nachhilfe beim herkömmlichen Lehrstoff sollen mit dem Programm insbesondere auch Gruppenarbeiten – etwa bei Theater- oder Naturprojekten – gefördert werden. Dazu können auch Entspannungsübungen und der Stressabbau gehören. Die Teilnahme ist stets freiwillig. Sehen Eltern den Bedarf bei ihrem Kind, sollten sie in den Schulen nach den Angeboten fragen, so das Kultusministerium. „Wir streben eine Verstetigung des gut angenommenen Aufholprogramms im kommenden Doppelhaushalt 2025/26 an“, kündigte Piwarz zudem an.
Studie: Lernrückstände sind während der Pandemie gewachsen
Die jüngste Erhebung des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) hatte gezeigt, dass die Lernrückstände während der Corona-Pandemie auch in Sachsen gewachsen sind. So hatten 2021 immerhin 26,3 Prozent der Viertklässler in Orthografie den Mindeststandard nicht erreicht – 2016 waren es 19,1 Prozent gewesen. In Mathematik hinkten zuletzt 13,4 Prozent hinterher, fünf Jahre zuvor dagegen 8,8 Prozent. 12,9 Prozent haben Probleme mit dem Lesen (2016: 7,2 Prozent) und zehn Prozent mit dem Zuhören (2016: 8,8 Prozent).
LVZ