Sächsin im Irak in Haft

„Linda W. sollte in Deutschland in Haft“

Thomas Mücke vom Violence Prevention Network (VPN).

Thomas Mücke vom Violence Prevention Network (VPN).

Leipzig. Die im Irak wegen Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS und illegalen Grenzübertritts zu sechs Jahren Haft verurteilte Linda W. (17) sollte ihre Strafe in Deutschland verbüßen. „In den irakischen Gefängnissen kennt man keine Programme der Deradikalisierung, in Deutschland schon“, sagt Thomas Mücke, Geschäftsführer und Gründer von Violence Prevention Network (VPN). Die Nichtregierungsorganisation hat sich auf Extremismusprävention und Deradikalisierung spezialisiert und ist auch im Freistaat Sachsen vertreten. „Bei jungen Menschen zwischen 14 und 21 Jahren gelingt in der Regel der Ausstieg aus dem religiös begründeten Extremismus, die richtige Hilfe vorausgesetzt“, sagt Mücke. Seine Organisation habe dabei gute Erfahrungen gemacht.

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Linda W. ist im Irak zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Überrascht Sie das Urteil?

Es ist schwierig, über im Ausland geltende Gesetze zu befinden. Das Urteil hätte auch anders ausfallen können. Denken Sie nur an den Fall der kürzlich zum Tode verurteilten Deutsch-Marokkanerin. Dieses Schicksal hat man der Sächsin und ihrer Familie erspart.

Halten Sie es für möglich, dass der Irak sie vor Verbüßen ihrer Strafe nach Deutschland ausliefert?

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Das ist allein eine Frage der Diplomatie, denn ein Auslieferungsabkommen mit dem Irak gibt es nicht. Wünschenswert wäre es allerdings, wenn Linda W. in Deutschland ihre Strafe verbüßt. In den irakischen Gefängnissen kennt man keine Programme der Deradikalisierung, in Deutschland schon. Im deutschen Rechtssystem gilt die Maxime: Jeder Tag der Haft ist ein Tag der Vorbereitung auf die Haftentlassung.

Die junge Sächsin distanzierte sich laut einiger Medien vom Islamischen Staat. Ist das für Sie glaubhaft?

Ob das glaubhaft ist oder nicht, können wir erst feststellen, wenn wir Kontakt mit einer solchen Person hatten.

Wie stellt Ihre Organisation den Kontakt zu Rückkehrern her?

Wir bekommen von den Behörden grünes Licht, ob wir mit einem der Zurückgekehrten arbeiten sollen. Wir werden nicht von uns aus aktiv, sondern wir warten ab. Je nachdem, wie die Strafverfolgungsbehörden entscheiden, arbeiten wir mit Rückkehrern im Gefängnis oder auch in Freiheit.

Wie kann man sicherstellen, dass jemand nicht wieder in ein extremistisches Umfeld gerät?

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Das hängt von sehr vielen Faktoren ab. Auch davon, zu welcher Gruppe ein Rückkehrer gehört. Die ersten kehrten bereits 2015 und zumeist desillusioniert dem IS den Rücken. Manche waren entsetzt, als sie mitbekommen haben, dass Minderjährige zu den Offizieren gebracht wurden. Oder sie wurden von IS-Kämpfern aufgefordert, Gleichgesinnten den Kopf abzuschlagen, nur weil diese nicht fünf Mal am Tag gebetet haben. Voller Zweifel und unter Lebensgefahr sind sie weg. Mit dieser Gruppe arbeiten wir seit Langem. Viele sind wieder entlassen, haben jetzt gute Chancen, Teil der Gesellschaft zu werden. Nun kommt eine neue Gruppe von Rückkehrern.

Diese Menschen waren länger im Krieg und vermutlich auch an Verbrechen beteiligt?

Je länger man beim IS gewesen ist, je geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man nur die Toiletten geschrubbt hat. Die, die jetzt zurückkehren, haben die Eskalation des Krieges deutlicher wahrgenommen, waren vermutlich vom System und der Ideologie überzeugt. Man muss schon damit rechnen, dass sie an irgendwelchen Verbrechen beteiligt gewesen waren. Viele der Männer haben den Krieg nicht überlebt, wer doch, über dessen Schicksal befinden jetzt die irakischen Gerichte.

Und dann sind da noch die zurückgebliebenen Frauen.

Auch da gilt, dass die Fälle erst juristisch aufgearbeitet und eine Reihe von Fragen geklärt werden. Hatten die Frauen überhaupt eine Möglichkeit zu fliehen, waren sie Opfer oder auch Täter? Wie viele überhaupt zurückkehren, darüber gibt es bislang noch keine Angaben.

Glauben Sie, dass sich Linda W. wieder in die Gesellschaft integrieren lässt?

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Bei jungen Menschen zwischen 14 und 21 Jahren gelingt in der Regel der Ausstieg aus dem religiös begründeten Extremismus, die richtige Hilfe vorausgesetzt.

Wir sprechen von Terroristen, von IS-Unterstützern – wie geht Ihre Organisation bei der Reintegration vor?

Ein Muster gibt es nicht, da jeder Mensch anders ist. Es geht darum zu erkennen: Warum hat sich jemand radikalisiert? Gab es in seinem Umfeld eine extremistische Szene? Welche Rolle spielen Freunde und Familie? Das erfahren wir nur in der Diskussion. Jemand muss bereit sein, an dem, was er tut und denkt, zu zweifeln. Einfach ist das nicht, denn dazu gehört, dass er wieder lernt, Fragen zu stellen. Bislang war er nur Befehlsempfänger, dazu verdammt, nur zu gehorchen. Dann versuchen wir in vielen Gesprächen, dass er sich vom organisiertem Extremismus verabschiedet. Gelingen kann das aber nur, wenn wir den Schmerz verstehen, den jemand durchlitten hat, und die Gründe finden, die ihn in die Radikalisierung getrieben haben. Finden wir das nicht, ist die Gefahr groß, dass sich jemand erneut radikalisiert.

Wie groß ist die Erfolgsquote?

Unsere Organisation betreut im Bereich des religiös begründeten Extremismus aktuell 350 Personen. Abgesehen von einer Handvoll Fälle sind wir zumeist erfolgreich. Wirklich abgeschlossene Fälle haben wir allerdings sehr wenige. Wir setzen auf einen stetigen Betreuungsprozess. Ich warne davor zu sagen: Wir haben drei Wochen mit einem Betroffenen gearbeitet, nun hat er sich von seiner Vergangenheit losgesagt, nun ist alles gut. Das ist ein längerer Prozess. Wir sprechen von ein, zwei und mehreren Jahren.

Wünschen Sie sich manchmal, dass der eine oder andere Extremist nicht nach Deutschland zurückkommt?

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Wir sprechen von Menschen, die hier aufgewachsen sind und die sich hier radikalisiert haben. Ja, es gibt Fälle, die sind nicht zu erreichen. Aber trotzdem sind diese Menschen unser Problem. Wir können dieses Problem nicht exportieren.

Von Andreas Dunte

LVZ

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