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Nach Operation Walküre

Lübbenau und das schwere Erbe des Spreewaldgrafen

Das rund 200 Jahre alte Schloss Lübbenau ist seit 28 Jahren wieder im Besitz der Adelsfamilie zu Lynar. Es wird als Hotel und Tagungsstätte genutzt.

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Lübbenau. Das

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Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944

gilt als entschlossener Versuch, dem verheerendsten aller Kriege und der Gewaltherrschaft des Nazi-Regimes ein Ende zu bereiten. Weil das fehlschlug, wurde das Leiden und Sterben um ein weiteres Jahr verlängert. Zu jenen, für die sich mit der gescheiterten Aktion „Walküre“ vor 75 Jahren schlagartig alles änderte, gehörte die Lausitzer Adelsfamilie Lynar. „Nach der gescheiterten Machtübernahme wurde unser Großvater festgenommen, hingerichtet und unsere Familie von den Nazis enteignet“, fasst Rochus Graf zu Lynar die dramatischen Ereignisse des Sommers 1944 im Brandenburgischen zusammen. „Ein Wendepunkt, der unser Leben noch immer prägt.“

Rochus Graf zu Lynar (46) ist wie seine Vorfahren Schlossherr von Lübbenau.

Rochus Graf zu Lynar (46) ist wie seine Vorfahren Schlossherr von Lübbenau.

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Familie verlor alles Hab und Gut

Während des Krieges war Wilhelm Friedrich Graf zu Lynar Adjutant von Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, dem er auf dem Familiengut Seese auch standesgemäße Logis bot. Der einem 500 Jahre alten Adelsgeschlecht mit italienischen Wurzeln angehörende Graf stellte sein Schloss in Lübbenau für geheime Treffen der Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg zur Verfügung und war als einer der ersten über die Attentatspläne im Bilde.

Am 20. Juli 1944 begleitete Lynar seinen Vorgesetzten Erwin von Witzleben in den Berliner Bendlerblock und wurde kurz nach dem gescheiterten Putsch von der Gestapo verhaftet. „Kurz vor seiner Hinrichtung Ende September gab er uns in seinem Abschiedsbrief in Gottes Hände. Er war sich darüber bewusst, dass er seiner Frau, seinen vier Söhnen und zwei Töchtern nichts zu hinterlassen vermochte als seine aufrechte Haltung“, sagt Enkel Rochus Graf zu Lynar, der heute etwa im gleichen Alter ist wie sein Großvater damals.

Schlossherr wider Willen

Rochus ist heute, was er nie zu träumen gewagt hätte und noch weniger wollte: Schlossherr zu Lübbenau. Zusammen mit seinem Bruder Guido leitet er den Hotelbetrieb inmitten des bei Touristen beliebten Spreewaldes. Nach der deutschen Wiedervereinigung haben die aus Lissabon zurückgekehrten Lynars die 200 Jahre alten Gebäude übernommen. Zu DDR-Zeiten war es mal als Lazarett, mal als Kinderheim oder Schulungsstätte genutzt worden und derart runtergewirtschaftet, dass es zwischendurch schon abgerissen und als Rodelberg genutzt werden sollte. "Mein Vater erkannte seine alte Heimat nicht wieder." Schloss Seese war abgebaggert, Lübbenau war jämmerlich zugerichtet.

Blaublüter-Klischee nie bedient

„Vater trommelte den Familienrat zusammen und bat uns, beim Wiederaufbau mitzuhelfen“, erinnert sich Rochus, der damals gerade sein Abitur gemacht und eine Banklehre begonnen hatte. Bei vielen Einheimischen seien die Lynars auf unverhohlene Abneigung gestoßen, erinnert sich der 46-Jährige. „Das ging bis zu anonymen Morddrohungen.“ Widerwillig übernahmen die jungen Leute mit ihren Familien dennoch die neue Aufgabe, steckten viel Zeit, Geld und Ideen in das Anwesen mit Schloss, Park und Marstall.

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Rund 70 Angestellte bewirtschaften mittlerweile die knapp 40 Zimmer mit Restaurant. „Wir haben das Blaublütigen-Klischee nie bedient“, verrät Rochus einen Grund für den Stimmungswandel, der sich mittlerweile in der brandenburgischen Kleinstadt vollzogen hat. „Wir haben keinen Chauffeur, residieren nicht im Schloss, wohnen in normalen Einfamilienhäusern und schicken unsere Kinder in normale Schulen. Wir führen ein normales Leben.“ Der Park stehe allen offen. Der hemdsärmelig wirkende Schlossherr mit der erlauchten Ahnengalerie erledigt die meisten seiner Arbeitswege mit dem Fahrrad, sein Bruder schafft auf dem Feld und im Stall. „Früher haben uns Leute gehasst, weil wir zurückgekommen sind“, sagt der Schlossherr. „Heute hassen sie uns, weil es keinen Grund dafür gibt.“

Denkmal für Rochus Graf zu Lynar (1525–1596), einen Vorfahren des heutigen Schlossherren von Lübbenau.

Denkmal für Rochus Graf zu Lynar (1525–1596), einen Vorfahren des heutigen Schlossherren von Lübbenau.

Spreewald als neue Heimat

Anfangs habe er selbst nicht kapiert, worum es bei der Wiederbelebung des alten Familienbesitzes ging. Seit 28 Jahren werde nur gewerkelt, umgebaut und der jeweils nächste Kredit abgestottert. Seine Mutter habe zwar viel Fantasie, aber keinerlei Bezug zu Zahlen. „Rein rechnerisch hätten wir die Finger von diesem Generationenprojekt lassen sollen. Wir haben auch schon einige Fehler gemacht.“

Innerlich fühle er sich noch immer zu den Stätten seiner Jugend hingezogen. „Ich trage Portugal für immer in meinem Herzen.“ Als er aber seinen beiden Kindern die schönsten Ecken des südwesteuropäischen Landes zeigte und die nach ein paar Tagen fragten: „Können wir bald zurück nach Lübbenau?“, sei das für ihn eine Art Erweckung gewesen, wie Lynar selbst sagt: „Zeit für einen Perspektivwechsel auf Herkunft und Heimat.“

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Vor allem für seinen Vater, die Onkel und Tanten sei die Niederlausitz die einzig wahre Heimat. Inzwischen wisse er, wofür das viele Geld und Herzblut in das Anwesen investiert werden: „Unser Großvater ist für uns und dieses Schloss gestorben. Es zu erhalten, ist jede Mühe wert.“

Bürgermeister lobt Engagement

Mühen, die längst auch im Rathaus der 16 000 Einwohner zählenden Stadt gewürdigt werden. Die Familie zu Lynar übernehme mit ihrem familiären Verständnis Verantwortung für ihr Eigentum, lobt der parteilose Bürgermeister Helmut Wenzel. Die Lynars hätten „mit sehr viel Engagement und finanziellem Aufwand die unter Denkmalschutz stehenden Objekte des Schlossensembles mit Schloss, Orangerie, Marstall und Gerichtsgebäude liebevoll saniert und einen leistungsfähigen und qualitativ hochwertigen Hotelbetrieb etabliert“, so Wenzel, der neben dem touristischen Gewinn auch das gesellschaftliche Engagement von Graf Rochus lobt: „Die Familie zu Lynar ist eine große Bereicherung für die Spreewaldstadt.“

Und eine, die sich ihrer Wurzeln bewusst ist. Außer einer Bronzeplastik für Graf Rochus den Älteren (1525–1596) erinnert am Schloss auch eine Gedenktafel an Wilhelm Friedrich Graf zu Lynar (1899–1944), der sich vor 75 Jahren einem menschenverachtenden Regime entgegenstellte und dafür mit seinem Leben bezahlte.

Von Winfried Mahr

LVZ

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