RS-Virus in Sachsen: Was Eltern darüber wissen sollten
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RS-Virus: Kleiner Patient, großes Leiden - Viele Kinder müssen zurzeit ins Krankenhaus, nachdem sie sich mit RSV angesteckt haben.
© Quelle: dpa
Leipzig. Die Zahl der RS-Infektionen war schon im Herbst und Winter 2021 außergewöhnlich hoch – auch in Sachsen. Jetzt wiederholt sich die Situation: Vor allem kleine Kinder stecken sich mit dem RS-Virus an. Einige von ihnen erkranken so schwer, dass sie ins Krankenhaus müssen. Kinderkliniken geraten an ihre Grenzen und manchmal darüber hinaus. Wie kommt es zu der Infektionswelle? Und wie ist die Lage in Sachsen?
Was ist das RS-Virus?
RSV steht für Respiratorisches Synzytial-Virus. „Respiration“ ist der Gasaustausch zwischen einem Organismus und seiner Umgebung: die Atmung. Als „Synzytien“ werden Riesenzellen mit mehreren Kernen bezeichnet, die sich im Körper etwa bilden können, wenn Eiweiße aus der Hülle des RS-Virus mit Zellen des Lungengewebes verschmelzen. Der Erreger kann akute Erkrankungen der Atemwege hervorrufen, die jedoch in den meisten Fällen harmlos bleiben und lediglich zu Erkältungen führen.
Warum erkranken momentan so viele Kinder – und viele von ihnen schwer?
Wenn ein Kind nach einer RSV-Infektion schwere Symptome ausbildet, kann das zum einen organische und zum anderen immunologische Gründe haben. Organisch haben insbesondere jüngere Kinder engere Atemwege. Wenn das Virus nicht nur den oberen, sondern auch den unteren Atemtrakt befällt, entwickeln sie eine Bronchitis oder sogar eine Lungenentzündung. Das Risiko für einen schweren Verlauf erhöht sich für Frühgeborene in den ersten Lebensmonaten: Ihnen konnten die Mutter in den letzten Wochen der Schwangerschaft keine Antikörper gegen RSV mitgeben. Auch Lungenfehlbildungen und angeborene Herzfehler gelten als Risikofaktoren.
Immunologisch führen zahlreiche Kinderärzte die hohe RSV-Rate auf die vergangenen Corona-Gegenmaßnahmen zurück. Professor Wieland Kiess, Direktor der Leipziger Uni-Kinderklink, spricht von einem Nachholeffekt infolge der Pandemie. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen und dank der Masken waren insgesamt weniger RS-Viren zirkuliert.
Normalerweise machen 90 Prozent der Kinder in den ersten zwei Lebensjahren eine RSV-Infektion durch. Doch dies blieb während der Corona-Lockdowns vielen Kleinkindern erspart. Laut Professor Reinhard Berner, Direktor der Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Dresden, liegen zurzeit auch Drei- und Vierjährige mit einer Erstinfektion auf Station, was es früher kaum gegeben habe.
Den etwas Älteren, deren Immunsysteme vor der Pandemie erste Antikörper gegen das RS-Virus produziert hatten, fehlte aufgrund der Hygiene-Maßnahmen der Booster einer Zweit- oder Drittinfektion. Und selbst Jugendliche und Erwachsene haben ihre Immunsysteme ohne Kontakt zum Virus zuletzt weniger gegen RSV trainiert. Alles zusammen führt dazu, dass jetzt besonders viele Kinder mehrerer Altersklassen gleichzeitig erkranken.
Wie steckt man sich an?
Das RS-Virus überträgt sich vor allem durch Tröpfchen-Infektion – etwa, wenn eine infizierte Person einen anhustet, anniest oder wenn man eine Türklinke oder Haltestange in der Straßenbahn berührt, an der ein Erkrankter Viren hinterlassen hat. Die Inkubationszeit zwischen Ansteckung und Ausbruch beträgt dem Robert-Koch-Institut zufolge im Durchschnitt fünf Tage. Nach einer Infektion ist man selbst drei bis acht Tage lang ansteckend. Mitunter beginnt die Infektiosität bereits, bevor Symptome ausbrechen.
Wie kann man sich schützen?
Eine Tröpfchen-Infektion unter Kleinkindern in der Kita zu vermeiden, ist schwierig. Die in der Corona-Zeit eingeübten Hygiene-Regeln – insbesondere die regelmäßige Desinfektion von Türklinken und dergleichen – können die Zirkulation der Erreger jedoch einschränken. Eine Impfung ist bislang nicht zugelassen. Für Frühgeborene in den ersten Lebensmonaten ist eine vorbeugende Behandlung mit monoklonalen Antikörpern empfohlen.
Woran lässt sich eine RV-Infektion erkennen?
Eine RSV-Infektion von anderen Erkältungskrankheiten zu unterscheiden, ist anhand der Symptome kaum möglich. Sicherheit gibt erst ein PCR-Test. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat auf seiner Internetseite zusammengefasst, wann man mit seinem Kind besser zum Arzt sollte:
– bei hohem Fieber (über 39 Grad Celsius, bei Säuglingen unter drei Monaten über 38 Grad Celsius; auch ohne Fieber kann es bei Säuglingen ein Alarmzeichen sein, wenn sie nichts mehr trinken, teilnahmslos wirken, sich ihre Hautfarbe verändert);
– bei anhaltendem Fieber (länger als drei Tage, bei Unter-Zweijährigen schon nach einem Tag);
– bei wiederholten Fieberschüben oder Fieberkrampf;
– wenn fiebersenkende Mittel nicht helfen;
– wenn das Kind zusätzlich zum Fieber Bauchschmerzen oder Durchfall hat, bricht, sich ein Hautausschlag zeigt, das Atmen schwerfällt oder beim Atmen ein Knistern zu hören ist.
Welche Behandlung hilft gegen die Erkrankung?
Wie bei vielen viralen Erkrankungen gibt es gegen das Virus selbst kein Heilmittel, abgesehen von den körpereigenen Abwehrkräften. Behandelbar sind aber die Symptome. Ratsam ist, erkrankten Kindern viel zu trinken zu geben und ihre Atemwege durch Spülungen, Nasenspray oder Nasentropfen freizuhalten, jedoch nicht länger als sieben Tage lang. Bei schweren Verläufen entscheiden Klinikärzte über Sauerstoff-Gaben oder Atemhilfen. Zudem existieren Medikamente, die die Bronchien weiten.
Wie ist die Lage in den Arztpraxen und Kinderkliniken in Sachsen?
Die Leipziger Kinderärztin Melanie Ahaus, Sprecherin des Sächsischen Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, führt die prekäre Lage in den Praxen und Krankenhäusern nicht allein auf die gestiegene Zahl von Infektionen zurück, „sondern in erster Linie die unzumutbaren Sparmaßnahmen in der Kinderheilkunde“. Auch Wieland Kiess, Direktor der Leipziger Uni-Kinderklinik, kritisiert immer wieder eine strukturelle Unterfinanzierung in Kinderkliniken. Reinhard Berner, Direktor der Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Dresden, beklagt: „Wir haben jeden Tag eine kleine Krisensitzung.“
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In der Kritik steht, dass die Krankenkassen die Kinder- und Jugendmedizin ebenso wie die Versorgung der Erwachsenen über sogenannte Fallpauschalen bezahlen – obwohl das medizinische Personal bei Heranwachsenden in der Regel weit mehr Zeit aufwenden muss. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte moniert, dass "die Politik die Pädiatrie seit Jahren aushungert". Laut Fischbach mussten 80 Prozent der Kliniken zuletzt die Zahl ihrer Betten reduzieren. "Sogar im Intensivbereich. In unseren Praxen müssen wir daher zunehmend schwer kranke und chronisch kranke Kinder und Jugendliche mitversorgen." Die Praxen stehen ihrerseits vor dem Problem, dass die Kassenärztliche Vereinigung ihr jeweiliges Quartalsbudget deckelt – egal, wie viele kleine Patientinnen und Patienten es in Erkältungsphasen zu behandeln gilt.
Zurzeit steht laut einer Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin in Deutschland rechnerisch weniger als ein Kinderintensivbett pro Krankenhaus für Notfälle frei zur Verfügung – doch genau genommen sind es nicht die Betten, die fehlen: sondern das Personal zur Versorgung der kranken Kinder. Christian Geyer, Leiter der Kinder- und Jugendmedizin am Leipziger Klinikum St. Georg, fordert daher, dass die Politik die jetzige Situation zum Anlass nimmt, die Pädiatrie vom ökonomischen Druck zu befreien und auskömmlich zu finanzieren. "Es geht schließlich um unsere Kinder", sagt er.
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Von mwö
LVZ