Sachsen bekommt die Landarztquote
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Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (2.v.l.)stellte in Dresden das neue Programm vor.
© Quelle: Foto: Roland Herold
Dresden. Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU), die sich erst kürzlich im Vorzeigeland Schweden über das dortige Gesundheitssystem informierte, stellte am Dienstag in Dresden ein 20-Punkte-Programm zur medizinischen Versorgung in Sachsen vor. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Warum braucht Sachsen einen solchen Plan?
Sachsen leidet unter einem immer stärker werdenden Ärztemangel. Insbesondere im ländlichen Raum, aber auch in der Stadt Chemnitz, wird es zunehmend schwieriger, Vertragsarztsitze wieder zu besetzen und die Versorgung zu gewährleisten. Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Sachsen hat für 24 von 47 Planungsbereichen drohende Unterversorgung bei der hausärztlichen Versorgung festgestellt. Anfang des Jahres gab es 255 offene Hausarztstellen. Gleichzeitig liegt das Durchschnittsalter bei 54 Jahren, 28 Prozent der Hausärzte sind sogar 60 Jahre und älter.
Welche Schwerpunkte setzt das Programm?
Sachsen will 100 Medizinstudienplätze zusätzlich schaffen und eine Landarztquote einführen. Konkret geht es um mehr Studienplätze für Humanmedizin, Modellvorhaben an den Medizinischen Fakultäten der TU Dresden und der Uni Leipzig und um eine Landarztquote für Medizinstudenten, die sich für eine Tätigkeit außerhalb der großen Städte entscheiden. Zudem sollen Medizinstudenten eine Mindestaufwandentschädigung im Praktischen Jahr (PJ) in Akademischen Lehrpraxen und Lehrkrankenhäusern im ländlichen Raum erhalten, damit die Tätigkeit dort attraktiver wird. Allerdings ist das bereits mehrheitlich der Fall, während angehende Mediziner am Leipziger Uniklinikum im PJ leer ausgehen.
Deckt das den vorhandenen Bedarf?
Nein. Dazu wären laut einem Gutachten etwa doppelt so viele Studienplätze erforderlich. Deshalb soll die Zahl der Studierenden, die im ungarischen Pécs ihren Arzt machen und denen das Studium dafür finanziert wird, dass sie anschließend in Sachsen aufs Land gehen, im Projekt mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen von 10 auf 20 verdoppelt werden. Außerdem sollen Absolventen der hiesigen Unis stärker für eine Tätigkeit im Freistaat geworben werden.
Wer hat im Kabinett dafür und wer dagegen gestimmt?
Der Beschluss im sächsischen Kabinett fiel laut Regierungssprecher Ralph Schreiber einstimmig, wobei alle Mitglieder außer Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), der sich durch einen Staatssekretär vertreten ließ, anwesend waren.
Warum ist die SPD, die bisher gegen eine Landarztquote und neue Studienplätze war, eingeknickt?
Das ist sie nur scheinbar, denn das Ganze steht unter einem Finanzierungsvorbehalt. Nur, wenn das Haus von Finanzminister Matthias Haß (CDU) grünes Licht gibt, kommen die Studienplätze auch. Das aber ist in der gegenwärtigen Haushaltsituation zumindest fraglich. SPD-Fraktionschef Dirk Panter kritisierte umgehend das Programm: „Die Vorschläge enthalten zahllose ungedeckte Schecks und ihre wenig ambitionierten Vorschläge haben keinerlei Auswirkung auf die nächste sächsische Regierung – wie auch!“ Mehr Studienplätze und eine mögliche Quote für Studienanfänger standen schon im letzten 20-Punkte-Programm von 2012, so Panter.
Was ist die Landarztquote?
Sie bedeutet, dass Studienplätze an Bewerber vergeben werden, die sich verpflichten, nach ihrem Abschluss zehn Jahre auf dem flachen Land zu arbeiten.
Woher kommt das Geld?
Für das 20-Punkte-Programm sind wesentliche Kostenpositionen bereits im derzeitigen Doppelhaushalt eingeplant: rund 30 Millionen Euro. Die Mittel für die Aufstockung der Studienplätze und weitere Maßnahmen vor allem im hochschulischen Bereich sind erst mit dem nächsten Doppelhaushalt umzusetzen. Sprich: Erst die am 1. September neu gewählte Regierung in Sachsen hat das letzte Wort. Diese muss dann auch die Rechtsgrundlagen für eine Landarztquote schaffen, die maximal 41 Studienplätzen (20 Prozent) für künftige Mediziner pro Jahr entspräche. Und die Grundlagen für die PJ-Honorierung.
Was sagt die Sozialministerin dazu?
Barbara Klepsch: „Das Programm orientiert sich nicht an Legislaturperioden, sondern an den Notwendigkeiten einer medizinischen Versorgung in Sachsen.“
Sind mehr Landärzte die Ultima Ratio?
Vermutlich nicht, deshalb sollen an ausgewählten Orten Lokale Gesundheitszentren entstehen, um für die Patienten an einer Stelle wichtige medizinische Leistungen anbieten zu können. In den Modellregionen Weißwasser und Marienberg werden bereits mobile Arztpraxen erprobt. Gleichzeitig wird die Digitalisierung vorangetrieben, um bei den Patienten weite Wege und bei den Ärzten Zeit zu sparen.
Beschäftigt sich die Staatsregierung erst jetzt mit dem Thema?
Nein, das Kabinett knüpft an die 2012 beschlossenen Maßnahmenvorschläge, unter anderem zur Ärztlichen Versorgung in ländlichen Gebieten an.
Was sagt die Opposition?
Erwartungsgemäß kommt von dort heftige Kritik. Die Sozialexpertin der Linken, Susanne Schaper, sagte: „Barbara Klepsch geht als Bummelministerin in die Geschichte ein.“ Es sei am Ende der Legislaturperiode unglaubwürdig, noch den großen Wurf anzukündigen, von dem das meiste erst im Landeshaushalt 2021/2022 kommen könne. Für die AfD sagte deren sozialpolitischer Sprecher André Wendt: „Es ist gut, dass die von der AfD geforderte Landarztquote nun endlich kommen soll.“ Allerdings würden die nun eingeleiteten Schritte nicht reichen, um den sich seit Jahren verschärfenden Land- und Facharzt-Mangel effektiv zu bekämpfen. Volkmar Zschocke, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, monierte, das Programm enthalte „wenig Konkretes und viel heiße Luft“. Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich lediglich um ein Wahlkampfmanöver handelt, so Zschocke.
Von Roland Herold
LVZ