„Keine Lohndrücker mit Steuergeld unterstützen“ – Dulig zur Kritik am Vergabegesetz
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Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) steht wegen des neuen Vergabegesetzes in der Kritik. Im LVZ-Interview erklärt er, welche Punkte ihm besonders wichtig ist – und dass die Regeln bis zum Sommer 2024 kommen sollen.
© Quelle: Sebastian Kahnert/dpa
Dresden. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) will mit einem neuen Vergabegesetz die Regeln für öffentliche Aufträge ändern: Künftig sollen Billiganbieter und Umweltsünder keine Chance mehr haben. Im LVZ-Interview erklärt Dulig seine Pläne – und reagiert auch auf die Kritik aus der Wirtschaft, die ein „Bürokratiemonster“ aufziehen sieht. Das Gesetz soll bis zum Sommer 2024 im Landtag beschlossen werden.
Herr Dulig, das neue Vergabegesetz scheint das Zeug zu einer unendlichen Geschichte zu haben. Seit knapp zehn Jahren wollen Sie das Projekt umsetzen – und es scheint nicht, als würden die Erfolgsaussichten neuerdings steigen?
Zunächst einmal: Ich finde es legitim, dass ein Staat die Regeln bestimmt, wer dessen Aufträge bekommt. Daher muss es ein Vergabegesetz geben. Die Kriterien müssen transparent sein, um Korruption und Vetternwirtschaft zu verhindern. Es ist aber auch nachvollziehbar, dass es politisch unterschiedliche Ansichten gibt, wie solche Bedingungen aussehen. Daher spielen in der jetzigen Koalition soziale und ökologische Vorgaben eine weitaus größere Rolle, als es bei einer Regierung mit der FDP der Fall wäre.
„Wir wollen die regionale Wirtschaft unterstützen“
Sie sprechen von Korruption und Vetternwirtschaft – das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass solchen Machenschaften heute noch Tür und Tor geöffnet wären?
Nein. Es gibt ja ein Vergabegesetz, um genau das zu verhindern. Nur müssen wir es dennoch novellieren und der heutigen Zeit anpassen. Wir wollen die regionale Wirtschaft unterstützen, die gut mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgeht – und nicht, dass die Billiganbieter gewinnen. Fest steht: Wir wollen als Staat keine Lohndrücker mit Steuergeld unterstützen.
Das neue Vergabegesetz
Den Zuschlag bekommen im Normalfall die Billigsten: Bei öffentlichen Aufträgen spielt bislang der Preis die entscheidende Rolle. Das gilt beispielsweise für Bauarbeiten an Straßen oder Häusern, für Reinigungsfirmen in der Verwaltung und Kantinenbetreiber in Schulen, für Lieferanten von Büromaterial oder auch Polizeiuniformen.
Im Koalitionsvertrag haben CDU, Grüne und SPD bereits Ende 2019 festgeschrieben, dass bei der Vergabe solcher Aufträge künftig Mindeststandards eingehalten werden müssen – und nicht mehr zwangsläufig der Günstigste zum Zuge kommt. Die neuen Vorgaben sollen per Gesetz etwa die Tariftreue und Lohnuntergrenzen sowie soziale Standards wie Ausbildung und Familienvereinbarkeit betreffen, aber auch Faktoren wie Umweltverträglichkeit, regionale Verankerung und Energieeffizienz.
Die Dimension wird anhand des Vergabeberichts der sächsischen Staatsregierung für die Jahre 2019/2020 deutlich: Demnach hätte das neue Gesetz für 218 262 Aufträge des Freistaates in einem Gesamtwert von mehr als 1,5 Milliarden Euro gegolten – sofern es bereits in Kraft gewesen wäre.
Bislang haben 14 der 16 Bundesländer eine sogenannte Tariftreue-Regelung: Lediglich Bayern und eben Sachsen scheren aus. Während in Bayern aber das monatliche Durchschnittseinkommen mit 4804 Euro im deutschlandweiten Vergleich auf Platz vier rangiert, kommt der hiesige Freistaat mit 3711 Euro laut Statistischem Bundesamt lediglich auf Platz zwölf. Darüber hinaus liegt Sachsen bei der Tarifbindung in den Betrieben auf dem vorletzten Rang.
Politisch liegen Sie mit der Union über Kreuz, das scheint nachvollziehbar. Doch auch aus der Wirtschaft gibt es erhebliche Kritik.
Ich erlebe gerade bei den Kammern eine konstruktive Atmosphäre und echten Lösungswillen. Es gibt aus der Wirtschaft viel Zustimmung. Mich hat etwa die Chefin eines Trockenbauunternehmens beim „Tag der Sachsen“ angesprochen, die Azubis ausbildet und daher höhere Preise kalkulieren muss als Firmen ohne Azubis. Sie hat derzeit kaum eine Chance bei Ausschreibungen. Eine Sicherheitsfirma beschwerte sich, dass sie keine Staatsaufträge erhält, weil sie Tarif zahlt und damit nicht das billigste Angebot abgeben kann. Heißt: Das, was wir mit dem neuen Gesetz planen, würde diesen vorbildlichen Firmen nutzen – nicht schaden.
„Bürokratie darf die Unternehmen nicht erschlagen“
Also ist alles nur ein Sturm im Wasserglas?
Im Konkreten sehen sehr viele Betriebe, wie das neue Vergabegesetz ihnen helfen würde. Die Hauptkritik ist die Furcht vor mehr Bürokratie. Das neue Gesetz muss daher handhabbar sein – darum geht es mir auch. Durchaus notwendige Bürokratie darf die Unternehmen nicht erschlagen. Wir planen daher ein schlankes Gesetz. Der Aufwand, um sich an einer Ausschreibung zu beteiligen, darf nicht so groß sein, dass Betriebe lieber verzichten, als ein Angebot abzugeben. Wichtig ist mir, dass die Vorgaben und Chancen für alle Beteiligten fair sind.
CDU, Grüne und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag den Rahmen festgeschrieben. Der Beschluss ist ganz klar: Soziale und ökologische Kriterien, wie Tariftreue und Umweltverträglichkeit, müssen in Zukunft erfüllt werden. Was gibt es daran zu rütteln?
Gar nichts. Doch die Wirtschaft hat die Sorge, dass wir ihr ein bürokratisches Gesetz überstülpen – und trat deshalb auf die Bremse. Dieses hat wiederum die CDU beeindruckt. Deshalb bin ich kritisiert worden. Jetzt, auf der Zielgeraden, werden wir einen guten Ausgleich zwischen den politischen und wirtschaftlichen Interessen hinbekommen. Wir haben auch viele Hinweise der Wirtschaft aufgenommen. Im Konkreten sehen viele Betriebe, dass das neue Vergabegesetz ihnen künftig helfen wird. Eben weil wir Möglichkeiten schaffen, dass nicht immer nur der Billigste den Auftrag bekommt, sondern der Beste.
„Wir geben Unternehmen einen Vertrauensvorschuss“
Dafür lautet das Stichwort: neue Nachweispflichten. Warum soll es kompliziert sein – wenn es doch einfacher gehen würde?
Das sehe ich nicht so. Vergaben werden vollständig digital erfolgen – eine große Vereinfachung. Wir wollen, dass künftig in vielen Punkten Eigenerklärungen ausreichen. Das betrifft etwa das Bemühen um Ausbildung oder das Einhalten von Kernarbeitsnormen. Als Staat geben wir Unternehmen einen Vertrauensvorschuss, dass ihre Angaben stimmen – daher reicht ein Klick an der entsprechenden Stelle oft aus. Wenn sich später bei einer Kontrolle jedoch herausstellen sollte, dass die Erklärungen falsch gewesen sind, dann handelt es sich um Betrug, und dann gibt es Sanktionen.
Zur Person
Martin Dulig (49) ist seit 2014 Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Sachsen, zudem seit 2019 Zweiter Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Zwischen 2009 und 2021 war Dulig SPD-Landesvorsitzender. Die Bundes-SPD hat ihn seit 2018 zweimal zu ihrem Ostbeauftragten gewählt.
Der gebürtige Plauener stammt aus einem kirchlich geprägten Elternhaus, sein Vater war Dozent an einem evangelischen Diakonenhaus. Dulig wuchs in Meißen und Moritzburg auf, wo der Vater von sechs Kindern und Opa von vier Enkeln noch heute lebt. Er hat Erziehungswissenschaften und Sozialpädagogik studiert.
Daran gibt es aber, insbesondere aus der Wirtschaft, juristische Bedenken. Wie wollen Sie es hinbekommen, dass das neue Gesetz nicht nur politische Ziele erfüllt, sondern auch rechtlich sattelfest ist?
Wir sind momentan in dem Prozess, diese Bedenken aus der Wirtschaft und von den Gewerkschaften zu berücksichtigen. Unterm Strich muss aber klar sein: Wer sich an die Regeln hält, darf nicht der Dumme sein – sondern muss unterstützt werden. Das ist meine Bedingung.
„Ökologische Kriterien müssen nachgewiesen werden“
Diese Vorgabe können Sie bedenkenlos umsetzen?
Selbstverständlich darf ein Gesetz nicht anfechtbar sein. Deshalb haben wir die Eckpunkte bereits vom Normprüfungsausschuss untersuchen lassen und arbeiten dessen Anmerkungen ein. Das betrifft nicht nur die Erklärungspflichten, sondern auch die geplante Lohn-Untergrenze, die übrigens bereits in 14 von 16 Bundesländern gilt. Mein Ziel ist, dass wir viel mit Erklärungen arbeiten und keine Belege mehr notwendig sind. Ein Beispiel: Es soll genügen, wenn Betriebe erklären, dass sie sich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder auch für Ausbildungsplätze einsetzen. Dagegen werden ökologische Kriterien nachgewiesen werden müssen, etwa um wie viel Kohlendioxidausstoß es geht.
Viele Unternehmen befürchten einen höheren Aufwand, sodass bereits von einem „Bürokratiemonster“ die Rede ist. Selbst wenn Sie die Nachweispflichten vereinfachen – wie wollen Sie diesen gordischen Knoten zerschlagen?
Es ist wichtig, dass wir beim Thema Entbürokratisierung das Gesetz praktisch und einfach umsetzbar machen. Deshalb könnte es, wie von der CDU vorgeschlagen, eine Bestbieterklausel geben: Damit müsste nur der jeweilige Sieger einer Ausschreibung alle Nachweise erbringen. Das heißt, dass der Aufwand bereits im Bieterverfahren wesentlich reduziert würde. Darüber hinaus sollen die Schwellenwerte, bis zu denen freihändige Vergaben durchgeführt werden dürfen, deutlich angehoben werden. Momentan liegt diese Untergrenze bei 25.000 Euro, egal ob es sich um Straßenbau oder Dienstleistungen handelt. Die neuen Schwellenwerte – etwa im Bau – sollen künftig bei rund 150.000 Euro und für Dienstleistungen bei rund 100.000 Euro liegen. Das bedeutet eine ganz klare Stärkung für die regionale Wirtschaft.
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„Viele Betriebe sind an ihren Grenzen“
Aus der Wirtschaft waren bereits Ankündigungen zu vernehmen, sich nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen, sollten die von Ihnen vorgelegten Punkte umgesetzt werden. Mit anderen Worten: Für den Freistaat würde es schwieriger, überhaupt noch Firmen zu finden, die für ihn arbeiten wollen. Inwieweit lenken Sie jetzt also ein?
Das Thema hat nichts mit der Diskussion um das neue Vergabegesetz zu tun. Wir wollen möglichst schnell Glasfaser verlegen, Straßen und Brücken sanieren, Radwege bauen. Doch schon jetzt bekommen wir für einige Ausschreibungen keine Angebote mehr, denn viele Betriebe sind bereits an ihren Grenzen für weitere neue Aufträge angelangt. Hinzu kommt, dass den Firmen zunehmend Arbeitskräfte fehlen. Die Auftragslage der Betriebe ist derzeit noch gut, doch vielen Unternehmen brechen zunehmend die Aufträge aus dem privaten Bereich weg. Deshalb werden Investitionen des Staates künftig wieder wichtiger.
Wie bewerten Sie aktuell die Einigungschancen für das neue Vergabegesetz: Wird sich die CDU bewegen müssen – oder werden Sie auf die Wirtschaft zugehen?
Es gibt kein Entweder-Oder. Wir sind in einer Phase, in der wir uns einigen wollen. Momentan deutet sich eine gute Entwicklung an. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat erklärt, dass er sich an den Koalitionsvertrag halten möchte. Auch die Kammern sind meines Erachtens an einer Lösung interessiert. Ich spüre inzwischen einen ehrlichen Willen zur Einigung. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass Sachsen letztlich doch ein gutes Vergabegesetz bekommen wird.
„Vorbereitungszeit für die Wirtschaft notwendig“
Wann wird es die erste Ausschreibung nach den neuen Vorschriften geben?
Wenn es nach mir geht, wird das neue Vergabegesetz noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten. Zur Fairness gegenüber den Unternehmen gehört aber auch, dass zwischen dem Landtagsbeschluss und dem Inkrafttreten eine Vorbereitungszeit für die Wirtschaft notwendig ist. Der Zeitplan ist schon jetzt sehr eng. Mein Ziel ist auf jeden Fall, dass das neue Vergabegesetz noch vor der Sommerpause 2024 das alte Gesetz ablösen wird.
LVZ