Koalitionskrach in Sachsen

„Angstpolitik und Krawall“: SPD-Chef geht Ministerpräsident Kretschmer an

Die SPD hat deutliche Kritik an Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) geäußert: „Statt auf das Abarbeiten von Problemen konzentriert er sich auf Selbstdarstellung – vor allem durch Angstpolitik und Krawall“, sagte SPD-Parteichef Henning Homann.

Die SPD hat deutliche Kritik an Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) geäußert: „Statt auf das Abarbeiten von Problemen konzentriert er sich auf Selbstdarstellung – vor allem durch Angstpolitik und Krawall“, sagte SPD-Parteichef Henning Homann.

Dresden. Lange hat die SPD ihren Ärger heruntergeschluckt. Zu lange, würden manche Mitglieder sagen. Seit Monaten beobachten die sächsischen Sozialdemokraten, wie Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) eine Duftmarke nach der anderen setzt. Russland-Politik, Asylproblematik, Heizungsgesetz: Kretschmer läuft regelmäßig mit knackigen Zitaten in den bundesdeutschen Medien. Der Ministerpräsident schießt dabei gern in Richtung der Bundesregierung, die bekanntlich von einem SPD-Kanzler geführt wird. Manches Zitat wird Kretschmer auch als Anbiederung an AfD-Positionen ausgelegt. Die Sachsen-SPD hat das alles mit Ächzen und Stöhnen ertragen, hielt aber öffentlich still. Doch damit ist es vorbei.

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Es hat sich augenscheinlich viel aufgestaut, als sich Parteichef Henning Homann am Mittwoch zu Wort meldet. Dafür, dass die sächsische SPD das Land noch immer gemeinsam mit der CDU in einem schwarz-grün-roten Bündnis regiert, geht er den Ministerpräsidenten scharf und direkt an. Homann will ein paar Dinge klarstellen.

„Der Politikstil der CDU nervt nicht nur, sondern lenkt ab“

„Der Politikstil der CDU nervt nicht nur, sondern lenkt auch von der Sachpolitik ab“, sagt er. „Der sächsische CDU-Vorsitzende und Ministerpräsident setzt aus unserer Sicht die falschen Prioritäten. Statt auf das Abarbeiten von Problemen konzentriert er sich auf Selbstdarstellung – vor allem durch Angstpolitik und Krawall.“ Die SPD habe oft geschwiegen. „Wir sind bei Weitem nicht über jedes Stöckchen gesprungen – dem lieben Koalitionsfrieden willen. Aber wenn es dann kontrafaktisch wird, dann hat es schlichtweg eine Grenze. In der erwarten auch unsere Wählerinnen und Wähler, dass man öffentlich widerspricht.“

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Das ist keine bloße Kritik mehr, das ist ein politischer Knall: Rums!

SPD und Grüne vermuten hinter Kretschmers Auftreten Kalkül

Auslöser für den offenen Widerstand der SPD ist ein Interview, das Kretschmer dem „Münchner Merkur“ gegeben hat. Darin behauptete der Ministerpräsident, Deutschland sei mittlerweile Kriegspartei im Ukraine-Konflikt. Eine „absolut gefährliche Falschbehauptung“, nennt das Homann. Zudem forderte Kretschmer im Interview Kürzungen der Asylbewerber-Leistungen. Bereits zu Wochenbeginn wiesen SPD und Grüne regelrecht empört darauf hin, das Verfassungsgericht habe entschieden, dass auch Asylbewerbern das Existenzminimum zustehe. Homann qualifiziert Kretschmers Überlegungen nun mit ein paar Worten ab: Das sei „nicht mehr als Sprücheklopferei“.

Laut SPD-Chef Henning Homann hat die CDU  vergessen, dass es erst um Sachsen und nicht um die Selbstprofilierung gehe.

Laut SPD-Chef Henning Homann hat die CDU vergessen, dass es erst um Sachsen und nicht um die Selbstprofilierung gehe.

Die beiden kleinen Koalitionspartner von SPD und Grünen vermuten seit Längerem, dass Kretschmers Auftreten einem Kalkül folgt. Mit plakativen und populistischen Spitzen gegen die Ampel-Regierung in Berlin wolle er seine persönlichen Beliebtheitswerte steigern. Auch bei dem Wählerklientel, das es im Zweifel zur AfD ziehen könnte. Bei anderer Gelegenheit trete Kretschmer in Sachsen dagegen wesentlich konzilianter auf.

Schneller Applaus von den Falschen?

Da kann es dann dazu kommen, dass der Ministerpräsident sich in einer ZDF-Talkshow mit Grünen-Bundeschefin Ricarda Lang über die Energiewende zankt, nur um später im Freistaat den Ausbau der erneuerbaren Energien zu loben. Auf der einen Seite möchte Kretschmer Fachkräfte im Ausland anwerben, auf der anderen Seite fordert er mehr Abschiebungen.

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Die CDU in Sachsen habe vergessen, dass es zuerst um das Land und dann die eigene Profilierung gehe, sagt Homann. „Aus einer Politik, die mit falschen Tatsachen agiert und Dinge verspricht, die nicht umsetzbar sind, kann nichts Gutes für das Land entstehen. Es mag dafür von manchen Menschen schnellen Applaus geben, aber es ist schlicht nicht seriös und führt langfristig zu neuen und noch tieferen Enttäuschungen bei den Menschen, wenn man Dinge verspricht, die nicht einlösbar sind.“ Der AfD, davon ist die SPD überzeugt, nimmt man damit keine Wählerstimmen ab.

„Es ist viel zu früh, jetzt in den Wahlkampf zu starten“

Die Wortmeldung des SPD-Vorsitzenden ist auch deswegen so bemerkenswert, weil seine Co-Vorsitzende Kathrin Michel und er sich einem anderen Kurs verschrieben haben. Beide möchten eigentlich mit Sachpolitik und einer Handvoll Themen glänzen, die für die SPD und ihre Wählerschaft wichtig sind: gute Arbeit, sichere Renten, die Transformation der Wirtschaft. Von politischen Kulturkämpfen, die enormes Empörungspotenzial haben, aber ebenso schnell vergessen sind, wollen sie Abstand halten.

„Kulturkämpfe sind nur Ablenkungen von dem, was wirklich wichtig ist“, hat Homann in diesem Frühjahr mal gesagt. Auch jetzt betont er, dass der SPD die Sachpolitik in der Koalition wichtig sei. Das Vergabegesetz und das Gleichstellungsgesetz sind beispielsweise nicht geeint, der Lehrermangel ist in Sachsen ein enormes Problem. Er möchte derlei Dinge gerne „ohne Spielchen abarbeiten“, sagt Homann. Das müsse man in der verbleibenden Legislaturperiode in den Vordergrund stellen. „Es ist viel zu früh, jetzt in den Wahlkampf zu starten.“ Die Landtagswahl finde im Herbst 2024 statt. „Sachsen braucht einen Ministerpräsidenten, der seine Aufgabe in Sachsen konzentriert angeht.“

SPD will keinen Anti-Kretschmer-Kurs einschlagen

Außer harscher Kritik hat die SPD allerdings kein anderes Mittel, um den Ministerpräsidenten zur Räson zu rufen oder Konsequenzen zu ziehen. Die SPD könnte theoretisch aus der Koalition austreten, die Regierung würde das aber nicht sprengen. Kretschmer könnte ohne die SPD-Minister weiterregieren. Denn für Neuwahlen ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag erforderlich: Die hat die Koalition nicht. Und das Instrument der Vertrauensfrage fehlt in der Landesverfassung.

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Auf einen Anti-Kretschmer-Kurs möchte Homann die Sozialdemokraten ebenso wenig einschwören: „Ich möchte keinen Anti-Kretschmer-Wahlkampf führen.“ Er halte das nicht für klug. „Wenn das Land nur über den Ministerpräsidenten diskutiert, dann tut man ihm erstens einen Gefallen und ignoriert zweitens, was wichtig ist.“

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