Sachsens Verfassungsschutz in der Kritik: Spott für den Präsidenten
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Dirk-Martin Christian führt als Präsident das Landesamt für Verfassungsschutz. Er hat Skandale beendet und auch intern einiges bewegt. Doch aktuell kann er damit nicht punkten.
© Quelle: Sebastian Kahnert/dpa
Dresden. Dirk-Martin Christian hat seit knapp drei Jahren einen Job, um den ihn niemand beneidet. Seit 1. Juli 2020 führt er den sächsischen Verfassungsschutz – eine Behörde, die mit Skandalen und wegen fehlender Kompetenz aufgefallen ist: Der Ruf des Nachrichtendienstes war nicht schlecht, er war ruiniert.
Christian sollte dieses Problem lösen. Er übernahm die Führung des Landesamtes, als sein Vorgänger für die Landesregierung nicht mehr tragbar war. Lange war es danach ruhig. Doch seit einiger Zeit mehrt sich erneut Kritik.
Jüngster Auslöser, um an den Fähigkeiten des Verfassungsschutzes und seines Präsidenten zu zweifeln, war für viele eine Runde, die am Dienstag der vergangenen Woche im Landtag zusammenkam. Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) hatte den Verfassungsschutz eingeladen. Es sollte um die „Spionageabwehr im parlamentarischen Raum“ gehen.
Fraktionschefs kamen, Parlamentarische Geschäftsführer, Mitarbeiter der Verwaltung. Nach anderthalb Stunden waren viele von ihnen ernüchtert. Seitdem wird über den Vortrag gespottet, den Dirk-Martin Christian zum Besten gab.
„Ich bin besser im Thema als der Verfassungsschutz“
Keinen einzigen konkreten Hinweis habe es gegeben, wie man sich zum Beispiel gegen Cyberangriffe schützen könne, sagen Teilnehmer. Eine Stunde habe man Abhandlungen gelauscht, die gefühlt auf dem Stand der 1990er-Jahre gewesen seien – „wenn überhaupt“. Christian habe beispielsweise eine Zeitungsmeldung zu einem Cyberangriff in Sachsen zitiert und gesagt, auch er habe davon aus den Medien erfahren. Die Zusammenarbeit einer sächsischen Universität mit chinesischen regierungsnahen Instituten wolle er demnächst mal mit der Hochschule erörtern.
Christian habe nicht den Eindruck vermittelt, als würden sein Amt und er im Thema stecken, sagen die Kritischsten. Andere, die milder urteilen, sagen: „Hinterher habe ich gedacht: Eigentlich bin ich besser im Thema als der Verfassungsschutz.“ Die Wohlmeinenden nehmen Christian in Schutz: Als Präsident könne er nicht so versiert sein wie einzelne seiner Mitarbeiter.
Christian stellt rechtliche Unsauberkeiten im Amt ab
„Christian hat zumindest den Anspruch, die Arbeit ordentlich zu machen“, heißt es über den 61-Jährigen. Genau deswegen sei er auf seinem Posten. Zuvor hatte er Karriere im Innenministerium gemacht, er war für die Aufsicht des Verfassungsschutzes zuständig gewesen. Als auffiel, dass der Dienst widerrechtlich Daten von Landtagsabgeordneten gespeichert hatte, schritt der damalige Innenminister Roland Wöller (CDU) ein. Das Amt gab er in Christians Hände, der aufräumen sollte.
Von vielen Seiten erntete Christian Anerkennung dafür, wie stringent er den Skandal aufarbeitete. Dass die rechtlichen Unsauberkeiten beim Verfassungsschutz aufhörten, wird dem Juristen zugeschrieben: Dies sei eindeutig sein Verdienst. Es sind andere Punkte, die manche stören.
Erste Kritik nach einem Interview im Herbst
Zunächst haben die Abgeordneten nicht das Interview vergessen, das Christian im Herbst gab. Da warnte er davor, Menschen die bei den Protesten der rechtsextremen „Freien Sachsen“ mitlaufen, pauschal zu verurteilen. Er forderte Parteien, Verbände und Kirchen auf, sich mehr um die Sorgen vor Ort zu kümmern: „Statt von Protestwoche zu Protestwoche wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren, sollte man sich besser überlegen, wie man das Feld nicht wieder den Extremisten überlässt.“
Mit diesen Sätzen habe Christian seine Kompetenzen überschritten, hieß es danach. Solche politische Wertungen stünden einem Behördenleiter, der überparteilich agieren solle, nicht zu. Auch im Innenministerium war man alles andere als amüsiert. Christian wurde deutlich gemacht, dass er übers Ziel hinausgeschossen sei. Seitdem hat sich er aus der Öffentlichkeit spürbar zurückgezogen.
Agiert der Verfassungsschutz unter seinen Möglichkeiten?
Ein anderer Kritikpunkt bezieht sich auf Christians Amtsführung. Er sei „wenig innovativ“, verwalte eher. Der Verfassungsschutz agiere weiterhin unter seinen Möglichkeiten. „Herr Christian ist ein Beamter. Und wenn man ehrlich ist: Das haben wir uns gewünscht“, sagen seine Verteidiger.
Der Präsident des Verfassungsschutzes äußert sich auf Anfrage nicht im Detail zur Veranstaltung im Landtag und zur Kritik an seiner Person. Christian verweist auf den „enormen Reformbedarf“, den er bei seinem Amtsantritt vorgefunden habe. „Deshalb haben wir das Amt neu ausgerichtet und sind erfolgreich auf dem Weg. Beendet ist der Prozess noch nicht.“
Es habe „entscheidende Neuerungen“ unter seiner Ägide gegeben. Für den Bereich Rechtsextremismus sei nun zum Beispiel eine eigene Abteilung zuständig. Die Spionageabwehr habe man außerdem verstärkt. „Wir haben den Dialog mit den Kommunen aufgenommen, sind im ständigen Austausch mit anderen Behörden und formulieren nun jedes Jahr intern klare Ziele für unsere Arbeit.“
Neue Aufsicht für den Verfassungsschutz
Aktuell deutet nichts darauf hin, dass das Innenministerium einen Wechsel beim Verfassungsschutz anstrebt. Das bedeutet nicht, dass es nicht Veränderungen geben könnte.
Das Referat im Ministerium, das den Verfassungsschutz beaufsichtigen soll und seit Jahren unbesetzt ist, soll nach LVZ-Informationen einen neuen Leiter bekommen. Im Gespräch ist dafür anscheinend der amtierende Staatsschutz-Chef Dirk Münster, der das Polizeiliche Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum leitet. Das wiederum dürfte man beim Verfassungsschutz mit Interesse lesen. Das Auskommen zwischen Münster und Christian soll nicht das beste sein.
LVZ