Sächsische Soldaten zeigen Präsenz in Mali – ein Dresdner erzählt
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Im Rahmen der UN-Stabilisierungsmission Minusma sind auch 830 Soldaten der Bundeswehr in Mali tätig. Ihre tägliche Arbeit besteht vor allem darin, Präsenz zu zeigen und aufzuklären.
© Quelle: Fotos (2): Lutz Mükke
Gao/Bamako. Sie sind in Stellung gegangen. Auf einer leichten Anhöhe liegen und knien sie in einem weiten Kreis hinter Dornengestrüpp, Schirmakazien und Bodenwellen im braunroten Sahel-Sand. Es ist Mittag, 45 Grad und ganz still. Unter den Helmen und schweren Schutzwesten rinnt Schweiß. Von hier aus sind es immer noch über 1000 Kilometer bis in die nördlichste Landesspitze Malis. Das Land ist dreieinhalb mal so groß wie Deutschland. Als die Soldaten sich wieder zurückziehen, kommt von irgendwoher ein Eselskarren angeknarrt. Und plötzlich stehen da auch drei malische Jungs vor den Fahrzeugen und machen große Augen. Keiner beachtet sie. In der Enge der Mannschaftstransporter geht die Fahrt weiter Richtung Provinzhauptstadt Gao. Der Auftrag heute, wie alle Tage, lautet „Präsenz zeigen“ und „Kontakt zur Bevölkerung“ aufnehmen. Einer der Soldaten ist der Dresdner Felix B..
Nach Irak, Kosovo und zwei Mal Afghanistan ist Mali für den 33-jährigen Berufssoldaten der fünfte Auslandseinsatz – und sein erster für die Vereinten Nationen (Uno). Der Gebirgsjäger arbeitet als stellvertretender Zugführer. „Die Bevölkerung in Mali ist viel freundlicher als in Afghanistan“, vergleicht der Sachse. Zwar komme es auf Patrouillen auch vor, dass man sie böse anblicke und andeutete, die Kehle aufschlitzen zu wollen, aber das seien seltene Ausnahmen.
Spürhunde suchen Sprengfallen
Am Rande Gaos wird abgesessen, und ein Teil der Soldaten beginnt in einer langgezogenen Formation immer in Zweiergruppen die Patrouille. Die vier Kilometer lange Strecke führt kreuz und quer durch die Gassen und Straßen der über tausend Jahre alten Handelsstadt. Vor zehn Jahren war Gao noch ein attraktives, zurückgelehnt freundliches Touristenziel. Heute führen die Blauhelmsoldaten einen Spürhund mit, der Sprengfallen finden soll.
Die genau geplante Route der Fußpatrouille geht vorbei an eingeschossigen Lehmhäusern, Höfen und kleinen Läden. Ein paar Jungs spielen auf einem Platz Fußball, eine Schafherde kreuzt die Straße, an einem Brunnen sitzen bunt gekleidete Frauen, ein paar Männer verputzen ein Haus, Mopeds tuckern herum. Trauben von Kindern rennen hinter und zwischen den Soldaten her. Etliche rufen „Mali, Mali, Mali“. Das ist der Ruf jener, die Malis Einheit erhalten wollen und gegen die Abspaltung des Nordens sind.
Der hatte sich 2012 zum unabhängigen Staat „Islamische Republik Azawad“ erklärt, nachdem Tuareg-Rebellen und militante Islamisten binnen kürzester Zeit die maroden malischen Regierungstruppen besiegt und die wichtigen Städte Gao, Timbuktu, Mobti und Kidal unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Zehntausende flüchteten vor den drakonischen Scharia-Misshandlungen und vor den Kämpfen in den Süden Malis. Die einstige Kolonialmacht Frankreich und der Uno-Sicherheitsrat schalteten sich ein. Französische Soldaten brachten mit der Operation „Serval“ weite Teile des Nordens unter Kontrolle. Als der französische Präsident Hollande schließlich Anfang 2013 im rückeroberten Timbuktu wie ein Befreier empfangen wurde, riefen Tausende euphorisch „Mali! Mali! Mali!“.
Parallelen zu Afghanistan
Doch in den zurückliegenden sechs Jahren ist viel geschehen. Nur Frieden gibt es in Mali noch immer nicht. Der Vergleich mit Afghanistan drängt sich auf. Auch dort empfing die Bevölkerung die ausländischen Truppen zunächst überwiegend freundlich. Aber dann, genau wie in Mali, wurden sie von endlosen Wespenstichen der Guerillas mehr und mehr in ihren Lagern isoliert.
Und wer ist der Feind in Mali? Worum wird hier bekämpft? Die Antworten auf diese Frage sind genauso komplex wie das riesige Land selbst. Ein holzschnittartiger Einblick: In Mali kämpften ein Dutzend Gruppen in teils wechselnden Koalitionen gegeneinander, miteinander oder separat. Dazu gehören etliche Fraktionen der Tuareg, die seit der Unabhängigkeit 1960 immer wieder gegen den maroden Staat Mali rebellieren. Als Libyen 2011 von einer französisch-amerikanisch-britisch-kanadischen Militärkoalition ins Chaos gebombt wurde, flohen Tausende libysche Tuareg-Elitesoldaten gut bewaffnet nach Mali und begannen hier, mit ihren Brüdern für einen eigenen Staat, den Azawad, zu kämpfen. Der Friedensvertrag von Algier brachte 2015 eine gewisse Beruhigung.
Außerdem wurde Mali zum Aufmarschgebiet für militante Extremistengruppen wie die 2017 gegründete Dschama at Nusrat al-Islam wa-I-Muslimin oder al-Qaida im islamischen Maghreb, zu denen sich auch wichtige Tuareg-Führer bekennen. Niemand weiß genau, wie viele bewaffnete Glaubenskrieger es heute in Mali gibt. Schätzungen reichen von 1000 bis 4000 Mudschaheddin, die jedoch in allen Landesteilen und Städten reichlich Unterstützer mobilisieren könnten.
Und als ob das alles nicht schon kompliziert genug wäre, gibt es da noch eskalierende Konflikte zwischen einzelnen Völkern. Erst im März kamen bei Kämpfen zwischen Fulani und Dogon in der Mitte Malis mehr als 130 Menschen ums Leben. Und auch hier mischen sich die UN-Truppen mittlerweile ein, wofür Soldaten aus dem spannungsgeladenen Norden abgezogen werden müssen.
Das größte aller Übel in Mali ist allerdings eines, dem mit Waffen gar nicht beizukommen ist: Hunderttausende junge Männer haben keine Jobs, und ihr Vertrauen in immer neue Versprechungen auf eine bessere Zukunft ist dahin. Sie leben in der ärmsten Region der Welt. Vielen dürfte es egal sein, wer sie in ihre Reihen aufnimmt und bezahlt – die malische Armee, Dschihadisten, die Uno, kriminelle Banden, Behörden, Hilfsorganisationen, ethnische Formationen oder Baubetriebe. Eine irgendwie geartete Zukunft will jeder von ihnen, eine Familie gründen, heiraten. Dazu aber braucht es Geld, an das in Mali verdammt schwer ranzukommen ist.
Riesige Rohstoffvorkommen
Selbst ranghöchste europäische Militärs wagen derzeit nicht zu prognostizieren, wann die schwache malische Regierung die vielerorts herrschende Staatsleere wieder ausfüllen kann. Sicher aber ist: Die ausländischen Truppen werden Mali und die Region nicht so schnell verlassen. Dafür sprechen auch geostrategische Gründe, „Migrationsverhinderung“ und wirtschaftliche Hintergründe. Hier lagern riesige Vorkommen an Uran, Bauxit, Silizium, Öl und Gold. Außerdem scheffeln zu viele ihre Gewinne aus dem laufenden Kriegsgeschäft. Die Dynamiken in Mali sind kaum mehr kalkulierbar. Zumal die ausländischen Truppen zunehmend als Kolonialisten wahrgenommen werden.
Zurück in den Gassen von Gao: Hin und wieder gibt Zugführer Heiner S. ein Zeichen. Dann schwärmen seine Soldaten aus, sichern umliegende Straßenkreuzungen, sodass er Luft hat, um mit Einheimischen zu sprechen, denen er zufällig begegnet. Heute sind das ein Imam, ein Ladenbesitzer und ein alter Mann. Der Zugführer ist betont freundlich, stellt sich vor, fragt nach dem Befinden, nach Problemen und bittet darum, Tipps und Hinweise zu geben, sollte den Gesprächspartnern irgendetwas Außergewöhnliches in der Stadt auffallen.
Keine Berührungsängste
Freilich würden die Leute hier draußen auf der Straße niemals heikle Informationen weitergeben und damit sich und ihre Familien extrem gefährden. Doch keiner der Gesprächspartner scheint Berührungsängste zu haben. Der alte Mann fragt zurück, ob es denn auch in Deutschland Muslime gebe. Als das bejaht wird und er hört, dort leben Religionen friedlich nebeneinander, erwidert er: „Es geht nicht um das friedliche Zusammenleben. Es geht darum, ob du ein Muslim bist.“
Langsam wird es dämmrig. Die Patrouille will vor der Dunkelheit im Camp sein. Zum Konvoi wird Funkverbindung aufgenommen. Schnellen Schrittes geht es noch ein paar Straßen entlang durch weichen, feinen Sand. Endlich, an der großen Teerstraße, warten die Fahrzeuge. Zwanzig Minuten später rollt die Patrouille ins stark gesicherte Camp Castor ein, das in der kargen Sahel wie ein Ufo wirkt.
Blauhelme und Franzosen nebeneinander
13 000 Blauhelmsoldaten der UN-Mission sind in Mali stationiert, darunter etwa 830 der Bundeswehr. Weitere 170 arbeiten für die EU-Initiative EUTM und bilden malische Militärs, aber auch Soldaten der G5-Staaten Burkina Faso, Niger, Tschad und Mauretanien aus. Knapp 200 Blauhelme ließen bislang ihr Leben im Land. Darunter zwei Deutsche. Im Zuge der Operation „Barkhane“ sind auch stark ausgerüstete französische Kampfverbände in Mali, eines ihrer Camps liegt gleich neben dem der Uno. Was genau sie während ihrer Operationen machen, bleibt meist ihr Geheimnis.
In einem der Hunderten Container und Zelte des riesigen Camps Castor hat Felix B. ein Büro. Nach der gut sechsstündigen Patrouille gibt es hier erst einmal ein Bier. Alkoholfrei. Trotzdem ein Genuss! Der Dresdner erzählt, wie er zur Armee kam: seines Vaters wegen, der bei der Luftwaffe diente. Und wegen der Abenteuerlust, der Lust an Extremsituationen.
Über die komplizierte Lage in Mali werde er jeden Tag informiert. Und klar, auch von den großen Demonstrationen gegen die ausländischen Truppen in der Hauptstadt Bamako habe er gehört. Wichtige religiöse Führer hatten dazu aufgerufen, unter anderem weil die Franzosen der malischen Regierung Verhandlungen mit extremistischen Kriegsparteien untersagt hatten. Malier aus allen Bevölkerungskreisen halten das französische Auftreten zunehmend für anmaßend. Die „neuen Kolonialisten“ machen sich immer unbeliebter.
Von all den aktuellen Entwicklungen will sich der sächsische Gebirgsjäger nicht beunruhigen lassen. Er sei Soldat und führe professionell Befehle aus. Auch das eingeschränkte Lagerleben mache ihm nichts aus. Mit Tischtennis und Schach vertreibe er sich die freie Zeit. Auf die Frage, was seine Arbeit hier bewirke, antwortet er mit einem Erlebnis: Auf einer Patrouille klagten Einheimische darüber, dass Banditen mehrfach einen Viehmarkt heimgesucht hätten. Daraufhin sei man losgefahren und habe sich „Respekt verschafft. Wenn die uns sehen, kommen die erstmal eine Weile nicht wieder.“
Bis Mitte Oktober bleibt Felix B. in Mali und freut sich schon jetzt auf jenen ersten ruhigen Morgen, an dem er zu Hause in Deutschland „zum Bäcker gehen und mit frischen Vollkornbrötchen und Kaffee frühstücken“ kann. Unterdessen dröhnen draußen die riesigen Dieselgeneratoren.
Von Lutz Mükke
LVZ