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Zwist in der Koalition

Schwarz-grün-rote Warteliste: Droht Sachsens Regierung der Stillstand?

Ein Foto aus besseren Tagen: Am 20. Dezember 2019 präsentieren die Spitzen von CDU, Grünen und SPD den unterzeichneten Koalitionsvertrag. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU/rechts) verliert kein schlechtes Wort über das Bündnis. Doch aktuell kommen wichtige Vorhaben kaum voran.

Ein Foto aus besseren Tagen: Am 20. Dezember 2019 präsentieren die Spitzen von CDU, Grünen und SPD den unterzeichneten Koalitionsvertrag. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU/rechts) verliert kein schlechtes Wort über das Bündnis. Doch aktuell kommen wichtige Vorhaben kaum voran.

Dresden. Die Nerven lagen blank. Die schwarz-grün-rote Koalition verschleierte vergangene Woche im Landtag ihre Differenzen nicht mehr. Der Anlass hätte eine Petitesse sein können: In mehreren Anläufen waren CDU, Grüne und SPD daran gescheitert, alle ihre Personalvorschläge ins Kontrollgremium für den privaten Rundfunk in Sachsen zu wählen. Doch die Koalition nutzte die Gelegenheit, um sich gegenseitig ihre Abneigung zu versichern.

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Lange hat das Regierungsbündnis mit atmosphärischen Störungen leben können. Vergiftet ist das Klima zwischen einzelnen Akteuren teilweise seit Jahren. Bisher hat es Schwarz-Grün-Rot verstanden, trotzdem Vorhaben pragmatisch umzusetzen. Im vorletzten Jahr dieser Legislaturperiode – am 1. September 2024 wird voraussichtlich gewählt – häufen sich aber die Abnutzungserscheinungen. Oder um einen Koalitionär zu zitieren: „Vertrauensbasis? Welche Vertrauensbasis?!“

Zeit bis zur Wahl 2024 droht, verschenkt zu werden

Das Bündnis regiert vor sich hin und möchte anscheinend die nächsten Monate bloß unfallfrei zu Ende bringen. Die Zweifel wachsen, ob ihr das gelingt. Wird die Zeit bis zur nächsten Landtagswahl verschenkt?

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Eine kleine Auswahl dessen, was unter anderem auf sich warten lässt: ein Vergabegesetz, das Billiglöhne bei öffentlichen Aufträge nicht mehr begünstigen würde. Ein Gesetz, das Migranten und Flüchtlinge besser integriert. Die neue Mobilitätsgesellschaft, die den öffentlichen Nahverkehr in den Regionen besser aufeinander abstimmt. Ein Bonusprogramm, damit die Sächsinnen und Sachsen ihre kaputten Elektrogeräte reparieren lassen und nicht wegschmeißen. Ein Förderprogramm für Solarkraftwerke auf dem heimischen Balkon. Eine Reform, die Spekulationen mit Agrarflächen erschwert. Nicht zuletzt eine Verfassungsänderung, die Klimaschutz als Staatsziel festschreibt und die Mitbestimmung der Bürger vereinfachen soll.

„Irrationalitäten“ erschweren die Arbeit

Manches dieser Vorhaben wird wieder und wieder und wieder behandelt. Eine Einigung rückt kaum näher. Auch Koalitionspartner in vorherigen Legislaturperioden haben erlebt, dass unter anderem in der CDU-geführten Staatskanzlei auf die Bremse getreten wurde, je näher der nächste Wahltermin rückte. Die Erfahrung musste selbst die FDP machen, als sie von 2009 bis 2014 mit der sächsischen Union in einer sogenannten bürgerlichen Koalition regierte.

Von „Irrationalitäten“, die die Arbeit erschweren, spricht aktuell der stellvertretende Ministerpräsident und Umweltminister Wolfram Günther (Grüne). Mehr sagt er dazu nicht. „Wir hangeln uns mühsam von Teilerfolg zu Teilerfolg“, bekennt Sabine Friedel, die als Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion die Landtagsarbeit koordiniert. Sie wünscht sich, dass Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) den Landesthemen mehr Zeit widmete: „Wir hoffen darauf, dass bei ihm zwischen den Bundesthemen, der Erdbeerverkostung und der Kettensägenschau ein bisschen Platz dafür ist.“

Wie viel vom Koalitionsvertrag ist umgesetzt?

134 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag, der noch etwas über ein Jahr als schwarz-grün-rote Grundlage dienen muss. Manch blumige Formulierung („In der sächsischen Verlags- und Veranstaltungslandschaft ist das Buch ein wichtiges Kulturgut“) findet sich darin. Aber ebenso konkrete Vereinbarungen wie das Vergabe- oder das Integrationsgesetz, die nun auf sich warten lassen. Schwarz-Grün-Rot muss sich am Ende daran messen lassen, wie viel sie seit 2019 abgearbeitet haben. 87 Prozent seien bereits erledigt, sind einige überzeugt.

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Andere schätzen deutlich zurückhaltender: vielleicht 15 Prozent. Der Koalitionsvertrag sei ein Wunschkonzert gewesen. Zum Start dieser Regierung wurden die Kosten, falls man alle Vorhaben umsetze, auf über zehn Milliarden Euro geschätzt. Schon damals sei klar gewesen, dass einiges auf der Strecke bleibe. Der aktuelle Wartemodus mag in diesem Licht weniger schlimm erscheinen.

Kretschmer verliert kein schlechtes Wort

Ministerpräsident Kretschmer möchte von einem Stillstand bei Schwarz-Grün-Rot nichts wissen: „Diese Koalition arbeitet sehr gut miteinander. Jeden Tag werden Entscheidungen getroffen, die den Freistaat Sachsen voranbringen. Erst diese Woche haben wir 263 Millionen Euro an Förderung für den Halbleiter-Standort Dresden vereinbart und werden sie nächste Woche im Kabinett beschließen.“

Dass es „immer mal Unstimmigkeiten“ gebe, bestreitet Kretschmer nicht: „Aber am Ende ist uns immer eine Einigung gelungen. Das wird jetzt auch beispielsweise beim Vergabegesetz der Fall sein.“ Und selbst wenn er aus dem Bündnis verbal attackiert werde: „Man wird von mir kein schlechtes Wort über die Partner hören. Wir halten gemeinsam diese Koalition seit 2019 zusammen.“

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