Umgang mit der AfD wird zum Streitfall in Sachsens Kommunen
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Nicht nur auf den Marktplätzen in Sachsen angekommen, sondern jetzt auch mit starkem Gewicht in vielen Stadtparlamenten vertreten: Die AfD, hier bei einer Veranstaltung am 1. Mai auf dem Bornaer Markt.
© Quelle: Jens Paul Taubert
Leipzig. Jubel bei der AfD, erstauntes Kopfschütteln bei den bisherigen Platzhirschen in den Kommunalparlamenten: Das vielerorts starke Abschneiden der Alternative für Deutschland wirft in Sachsen Fragen nach den Gründen auf. So hatte die AfD unter anderem im nordsächsischen Eilenburg aus dem Stand heraus den Spitzenplatz unter den Parteien erobert. Warum aber strotzt die AfD besonders in ländlichen Gebieten vor Kraft, während CDU und SPD bedenklich wanken?
SPD-Fraktionschef hadert mit „Heute-Show-Star“ Andrea Nahles
Heiko Wittig (SPD), Fraktionschef der Ampelfraktion aus SPD, FDP und Grünen im nordsächsischen Kreistag, gibt der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles eine Mitschuld. „Ihre ordentliche Arbeit als frühere Sozialministerin hat sie sich mit ihren unsäglichen Äußerungen und ihr unschönes Auftreten völlig zunichte gemacht. Eine Partei, die einen Star der Heute-Show an der Spitze hat, wird nicht zu alter Stärke zurückkehren können, auch wenn das mit unserer und der Politik unserer Landespolitiker nichts zu tun hat, aber leider müssen wir alle darunter leiden.“ Zudem beklagten viele Bürger den deutschen Bürokratenstaat. „Dazu kamen seit 2015 die Fehler, die im Bund in der Asylpolitik begangen wurden und beim Thema Abschiebungen noch heute begangen werden.“
Wittig: Werde Gespräche mit AfD-Politikern nicht ablehnen
Für den künftigen Umgang mit der AfD im Kreistag Nordsachsen, wo die AfD mit 19,4 Prozent nach der CDU zweitstärkste Partei wurde, rät SPD-Mann Wittig zu einem normalen Stil in Sachfragen. „Ich persönlich habe nie Gespräche mit AfD-Politikern abgelehnt und werde das auch in Zukunft nicht tun. In einem sachlichen Diskurs muss deutlich werden, wer die bessere Politik anzubieten hat. Ich bin davon überzeugt, dass wir das sein werden.“ Hinzu käme, dass die neuen AfD-Kreisräte ihre Arbeit nicht fernab der Realitäten machen könnten. „Was ich bisher von ihnen gehört habe, hat mit Realpolitik nicht viel zu tun, aber schauen wir mal, ob sie sich in demokratische Entscheidungsprozesse einbringen wollen oder sich mit reiner Contra-Politik ins Abseits stellen.“
Borna: Linke schließt jede Zusammenarbeit mit AfD aus
Anders die Strategie in Borna, wo die AfD mit 22,7 Prozent knapp hinter der Linken zweitstärkste Partei im Stadtrat wurde: Linken-Fraktionschefin Ines Graichen sieht hier keinerlei Basis für ein Miteinander. "Wir wollen mit allen demokratischen Kräften zusammenarbeiten, das schließt die AfD aus", so Graichen. Für Holger Luedtke, Chef des Linken-Kreisverbandes Westsachsen, liegen die Gründe für das Erstarken der AfD vor allem in der sozialen Spaltung der Gesellschaft. "Das Mantra "nie ging es uns so gut wie jetzt", trifft eben nicht auf eine Mehrheit der Gesellschaft zu. Wenn man hinter die Fassaden der schmucken Innenstädte schaut, erkennt man Leerstand und Überalterung."
Abgehängtsein und Flüchtlingszuzug: „Ich wähle Protest“
Es fehlten Ärzte, Polizei, die Schule, attraktiver ÖPNV, die Einkaufsmöglichkeit vor Ort. „Und dort wo nicht Kirchengemeinden, Bürgerinitiativen, Vereine und aktive Bürgermeisterinnen und Bürgermeister für gesellschaftlichen Zusammenhang sorgen, da greift das Gefühl des Abgehängtseins, des Staatsversagens um sich. Und wenn diese Grunderfahrung dann auf den Zuzug von einer Vielzahl von unregistrierten Geflüchteten trifft, ganz gleich ob man selbst davon betroffen ist, oder nicht, dann kommt es zu politischen Abwehrreflexen, wie: „Ich wähle Protest!“
Oschatz: CDU-Stadtrat sieht Problem, junge Menschen anzusprechen
Albert Pfeilsticker, langjähriger CDU-Stadt- und Kreisrat aus Oschatz, hadert vor allem mit den Fehlern seiner Partei, die im Vergleich zur AfD Federn lassen musste. „Als CDU-Mitglied ärgert mich das natürlich. Wir müssen uns eingestehen, dass wir den Kontakt zu den Bürgern und speziell den jungen Menschen verloren haben.“ So hätte es viele politische Entscheidungen gegeben, die einfach schlecht kommuniziert wurden. „Ich wünsche mir, dass wir als Partei stärker in den sozialen Medien unterwegs sind und so den Kontakt zu jungen Menschen finden und diesen auch aufrecht erhalten.“
Bürgerlisten könnten AfD den Rang ablaufen
Im Umgang mit der AfD im kommunalpolitischen Alltag rät Pfeilsticker zu einer gewissen Gelassenheit. „Ich glaube, dass es auch dieser Partei nicht gelingen wird, das Unbehagen in der Bevölkerung in einen diskussionswürdigen Beschlussantrag für einem Stadt- oder Gemeinderat zu fassen.“ Künftig könnten allerdings Bürgerlisten oder andere Vereinigungen außerhalb von Parteien noch stärker an Bedeutung gewinnen und der AfD den Rang ablaufen. „Es ist interessant, dass in Gemeinden, in denen es viele Bürgerlisten gibt, die AfD nicht zum Zuge kam. Politische Änderungen werden nicht mehr in den Parteien aufgegriffen, kanalisiert und diskutiert, sondern werden verfügt. Damit werden Regierungsparteien gelähmt und aktive Bürger wenden sich nach außerhalb.“
Altenburg: Lindenau-Museum über AfD-Erfolg besorgt
Im Altenburger Land, wo die AfD bei den Kreistagswahlen aus dem Stand heraus mit 22,6 Prozent auf den zweiten Platz kam, sind auch Kulturschaffende in Sorge. Roland Krischke, der Direktor des Lindenau-Museums in Altenburg sagt: „Das beunruhigt mich schon deshalb, weil der Landkreis Träger des Lindenau-Museums ist. Wie wird sich eine Partei, die bislang nur mit plumpen Parolen hervorgetreten ist, im politischen Alltag verhalten?“
Mit Unterstützung von Bund und Freistaat wird das national bedeutsame Lindenau-Museum in den kommenden Jahren für 48 Millionen Euro saniert und erweitert. „Das ist eine einmalige Chance, auch für einen Aufschwung im Kulturtourismus und in der Bildungsarbeit, der für die ganze Region spürbar sein wird.“ Dazu bedürfe es aber auch flankierender Maßnahmen zur Stärkung der Infrastruktur. „Welche Rolle die AfD bei den anstehenden Diskussionen spielen wird, kann ich nur vermuten.“
Museumschef: Angstmacherpartei wurde zum Ventil für diffuse Sorgen
Der Wahlerfolg der AfD überrascht Krischke eher nicht. „Die Angstmacherpartei hat es verstanden, zum Ventil diffuser Ängste breiter Bevölkerungsschichten gerade in den neuen Ländern zu werden.“ So habe die Flüchtlingskrise viele Menschen verunsichert. Die demokratischen Parteien hätten auf diese teils begründeten Sorgen der Bürger kaum schlüssige Antworten gefunden. Die Gesellschaft sei gespalten und ratlos.
Von einer generellen Ausgrenzung der AfD hält Krischke allerdings nichts. Künftig sei es wichtig, auf kommunaler Ebene „den Diskurs über unsere gemeinsame Zukunft auch mit denen zu führen, die demokratische Grundwerte wie Toleranz und Meinungsfreiheit nur für sich gelten lassen. Das wird anstrengend, aber nur so wird Demokratie gelebt.“
Von Frank Pfütze, Nikos Natsidis, Hagen Rösner, Thomas Lieb, Kay Würker