Vor allem in Leipzig: Sachsens Linke sagt CDU Kampf um Direktmandate an
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Die Linke sagt der CDU in Sachsen den Kampf an.
© Quelle: dpa
Radebeul. Die sächsischen Linken wollen die jahrzehntelange Dominanz der CDU bei Direktmandaten brechen. Für die Landtagswahl am 1. September 2019 brachte Fraktionschef und Spitzenkandidat Rico Gebhardt dafür ausgewählte Wahlkreise wie Leipzig ins Gespräch.
„Aus meiner Sicht sind die Voraussetzungen da“, sagte er am Samstag auf einem Parteitag in Radebeul. Aus dem „Gallischen Dorf Leipzig“ würden CDU-Politiker auf der Suche nach einem „sicheren“ Wahlkreis flüchten, weil sie eine Niederlage gegen Linke befürchteten. Er sei bisher kein Anhänger des Kampfes um Direktmandate gewesen, da die politischen Rahmenbedingungen fehlten: „Doch der Wind hat sich gedreht.“
Juliane Nagel macht es vor
Direktmandate sind bislang eine klare Domäne der Union. Zur Bundestagswahl 2017 hatte Linkspolitiker Sören Pellmann in Leipzig aber ein Direktmandat geholt - das einzige für die Linken außerhalb Berlins. Bei der Landtagswahl 2014 war die Leipzigerin Juliane Nagel in die CDU-Phalanx eingebrochen.
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Juliane Nagel, Abgeordnete der Fraktion Die Linke im sächsischen Landtag.
© Quelle: Fraktion DIE LINKE
Die anderen 59 Wahlkreise gingen an die CDU. „Ich bin der Überzeugung, Jule Nagel wird nicht die einzige sein, die einen Wahlkreis gewinnen wird 2019“, sagte Gebhardt. Nach einer aktuellen Wahlumfrage landen die Linken mit 17 Prozent der Stimmen derzeit nur auf Platz 3 hinter der CDU (29) und der AfD (24). Sie wollen den bisherigen zweiten Platz aber verteidigen.
Rico Gebhardt als Spitzenkandidat bestätigt
Die Ovationen scheinen ihm fast ein wenig peinlich: Durch den Saal schallt das italienische Partisanenlied „Bella Ciao“, die 180 Delegierten applaudieren anhaltend – und Rico Gebhardt steht lächelnd auf der Bühne im Scheinwerferlicht, eingerahmt vom Schriftzug „Nichts zu verlieren“.
Was hinter und neben dem sächsischen Fraktionschef Weiß auf Apfelgrün in den Landesparteitag strahlt, bringt die Botschaft seiner Rede irgendwie auf den Punkt: „Jetzt legen wir mal unsere Selbstzweifel ab. Schluss damit!“, ruft der 55-Jährige, der in einer Urwahl von den Genossen zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 1. September 2019 nominiert wurde, am Sonnabend in den Radebeuler Saal.
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Rico Gebhardt wurde zum Spitzenkandidaten gewählt.
© Quelle: Daniel Förster
Auf der Bühne steht ein Rico Gebhardt, wie man ihn selten erlebt hat. Der Oppositionsführer ist zwar durchaus für seine Spitzen im Landtag bekannt, doch beim Landesparteitag strahlt der langjährige Parteichef eine Energie bis unter die raspelkurzen, ergrauten Haare aus, die selbst die Genossen überrascht. Es scheint ihm sichtbar gut zu tun, dass die Basis ihn mit 88,7 Prozent auf die Spitzenposition gesetzt hat – auch wenn er der einzige Bewerber gewesen war, und selbst wenn sich nur etwa jedes zweite der 8200 Parteimitglieder in Sachsen an der Abstimmung beteiligt hat.
„Ich muss mich noch an diese Zahl gewöhnen“, gesteht Gebhardt, der später diese 88,7 als überdimensionale Ziffern in einem Bilderrahmen überreicht bekommen wird. Vorab hatte er bereits durchblicken lassen: „Ich kann relativ relaxt in den Parteitag gehen. Es gab schon Zusammenkünfte, die spannender für mich persönlich waren.“
Stellungskriege bei den Linken überwinden
Der Fraktionschef, der zwischen 2009 und 2017 die sächsische Linke auch als Landesvorsitzender anführte, spielt damit auf sein eher mageres Nominierungsergebnis von 2014 an: Damals war der Erzgebirger nur mit einer Zustimmung von 64 Prozent ausgestattet worden. Doch Gebhardt scheint nach einigen Rückschlägen und Flügelkämpfen in seine Rolle hineingewachsen zu sein.
Die seit einem Jahr amtierende Parteichefin Antje Feiks gesteht mit Blick auf die Urwahl: „Das ist ein Ergebnis, mit dem niemand gerechnet hatte.“ Damit verbindet sie auch eine Hoffnung, die ebenso Gebhardt in seiner Rede unumwunden anspricht: „Damit sollten die Stellungskriege beendet und die Gräben überwunden werden.“
Die runderneuerte, verjüngte Führung mit Feiks (39) an der Spitze, hatte in Vorbereitung des Landtagswahlkampfs linkes Neuland betreten: Auf 13 Regionalkonferenzen wurden insgesamt 156 Thesen diskutiert, musste sich Gebhardt, der das Projekt „mit Skepsis“ zunächst angegangen war, den Fragen der Mitglieder stellen.
Gebhardt übt auch Selbstkritik an eigener Partei
Wie bissig die Linke in das nächste Jahr gehen will, wird nun auf dem Landesparteitag in Radebeul deutlich – und gibt einen ersten Einblick in die von vielen schon vorab als Richtungsentscheidung deklarierte Wahl. Gebhardt teilt in alle Richtungen aus. Er spricht von Heimat, zu der die Linken seit jeher ein ambivalentes Verhältnis haben, nennt die CDU in Anspielung auf ein Horst-Seehofer-Zitat die „Mutter aller Probleme“ in Sachsen und fordert von der SPD: „Wenn ihr tatsächlich meint, was ihr sagt, dann könnt ihr nicht länger Seit an Seit mit der CDU marschieren, nicht länger deren Erfüllungsgehilfe sein.“ Der alte und neue Linke-Spitzenkandidat spart aber auch nicht mit Selbstkritik.
Die Friedliche Revolution feiere im nächsten Jahr ihr 30-Jähriges, führt Gebhardt aus: „1989 waren wir nicht die Stütze der Bewegung, sondern sind hintergelaufen.“ Danach sei es darum gegangen, „dem Kapitalismus so viel Menschlichkeit wie möglich“ zu geben. Und nun müsse es darum gehen, „ein anderes, ein soziales Sachsen“ zu gestalten, nicht schon wieder den Entwicklungen hinterher zu laufen.
Damit eröffnet die Linke offiziell das Superwahljahr 2019, in dem in Sachsen nicht nur ein neuer Landtag, sondern im Mai bereits die kommunalen und das europäische Parlament gewählt wird. „Der Abstand zur CDU war noch nie so gering. Bei allen drei Wahlen muss das Motto sein: Alles ist möglich. Wir treten nicht an, um zu verlieren“, sagt Landeschefin Feiks, und spricht davon, „mindestens“ wieder auf Platz 2 landen zu wollen.
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Linken-Bundesvorsitzende Katja Kipping ruft einen Dreikampf mit der CDU und der AfD aus.
© Quelle: Dirk Knofe
Die aus Dresden stammende Bundesvorsitzende Katja Kipping ruft einen Dreikampf mit der CDU und der AfD aus, und will auch Rot-Rot-Grün nicht völlig abschreiben, auch wenn die Umfragezahlen davon weit entfernt sind. Gebhardt macht wiederum klar, dass er keinesfalls „auf der Auswechselbank von Michael Kretschmer“ warten werde, zumal sich dort schon Grüne, FDP und SPD drängen würden. Statt um Regierungskonstellationen müsse es darum gehen, „das beste Wahlergebnis, das wir jemals hatten“ zu erkämpfen.
Linke mit 27 Abgeordneten im Landtag
Damit legt Gebhardt die Messlatte sehr hoch: Bei der Landtagswahl 2004 hatte die Linke immerhin 23,6 Prozent erreicht, davor bereits 22,2 Prozent. Nach einem Tief hat sich die Partei zumindest in den Umfragen erholt und liegt stabil bei knapp unter 20 Prozent. Aktuell sind die Linken mit 27 Abgeordneten im Landtag vertreten, Gebhardt ist damit der Oppositionsführer. Allerdings musste die Partei, die über lange Zeit die zweitstärkste politische Kraft hinter der CDU in Sachsen gewesen ist, inzwischen die AfD vorbeiziehen lassen.
In dieser Woche kam zumindest Entwarnung aus den eigenen Reihen: Sahra Wagenknecht wird mit ihrer „Aufstehen“-Bewegung den sächsischen Genossen keinen Strich durch die Rechnung machen.
Laut Katja Kipping habe sich die Bundestagsfraktionschefin, die die Bewegung gemeinsam mit Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine gegründet hat, in der Parteispitze entsprechend erklärt. Gebhardt, der eine Kandidatur der Wagenknecht-Sektion für Sachsen stets ausgeschlossen hatte, kann sich zum Ende seiner Rede einen Seitenhieb nicht verkneifen: „Lasst uns rausgehen - und vom Sofa aufstehen“, ruft er in den Radebeuler Saal. Sekunden später ertönt das „Bella Ciao“ und wird Gebhardt mit Ovationen bedacht.
Von Andreas Debski
LVZ