„Wir Sorben werden vorgezeigt, wenn’s ums Bemalen von Ostereiern geht“
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Benedikt Dyrlich (69), sorbischer Dichter, Journalist und SPD-Politiker.
© Quelle: privat
Leipzig. Der sorbische Dichter, Journalist und SPD-Politiker Benedikt Dyrlich (69) beklagt in seinem Buch, dem ersten Teil seiner Autobiografie, die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Sorben durch die Braunkohle und kritisiert im Interview, dass die Sorben auch heute noch vor allem als Ostermaler und Osterreiter wahrgenommen werden und nicht als Kulturvolk.
Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Ich wollte anhand meiner kurvenreichen Biografie, die nicht typisch ist für einen DDR-Lebenslauf, einen Einblick in das Leben der sorbischen Intellektuellen zu DDR-Zeiten geben. Ich komme aus einer sorbisch-katholischen Tradition und bin nicht den Weg über ein DDR-Gymnasium gegangen. Ich habe in den 60er-Jahren am Bischöflichen Vorseminar in Schöneiche bei Berlin das Abitur gemacht. Das diente als Vorbereitung auf ein Theologiestudium.
Was kam dazwischen?
Mit der Zeit habe ich meinen ursprünglichen Berufswunsch aufgegeben, lernte meine heutige Frau kennen und brach das Studium in Erfurt nach der 1. theologischen Hauptprüfung ab. Das Abitur wurde in Westdeutschland anerkannt, aber nicht in der DDR. Ich musste also das staatliche Abitur auf der Abendschule nachholen.
Wie sind Sie ins Visier der Stasi geraten?
Mich hat ja die Staatssicherheit im Zusammenhang mit dem Schriftsteller Kito Lorenc angefangen zu beobachten. Er war mein Förderer im Arbeitskreis sorbischer Schriftsteller. Letztlich haben von 1970 bis 1989 insgesamt 25 Personen Informationen über mich und meine Familie an die Stasi geliefert. Das waren Deutsche und Sorben, darunter Spitzenvertreter der Domowina und anderer sorbischer Institutionen.
Warum hatte die DDR-Staatsführung so viel Angst vor frei denkenden Sorben?
Das ist mir ein Rätsel. Natürlich waren wir in unserer Gruppe um Kito Lorenc auf die DDR-kritische Literatur orientiert, gerade nach den Ereignissen von 1968 in Prag. Aber die Angst der DDR-Führung vor den Sorben war völlig überzogen. Wir sind ein kleines Volk, das war eine Überschätzung unserer Wirkung. Die DDR ertrug einfach keine anderen Traditionen.
Haben prominente Schriftsteller die Sorben unterstützt?
Ja. Johannes Bobrowski, Peter Handke, Wulf Kirsten, Elke Erb, Adolf Endler, Heinz Czechowski, Dr. Gisela Kraft, Bernd Jentzsch und viele andere Schriftsteller hatten gute Beziehungen zu uns. Mit Erich Loest war ich nach der Wende befreundet, habe ihn auch begleitet auf Lesereisen nach Polen.
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Melanie Baier (l.) und Heidemarie Höft bemalen im Haus der Sorben in Bautzen Ostereier.
© Quelle: Oliver Killig/dpa
Galten die Sorben nicht offiziell als die Hätschelkinder der DDR?
Nur nach außen. Von den Sorben wurde in der DDR ein merkwürdiges Folklore-Bild produziert, das auch heute wieder Konjunktur hat. Wir Sorben wurden und werden vorgezeigt, wenn’s ums Bemalen von Ostereiern oder das Osterreiten geht. Immer wenn Ostern ist, werden wir als Folklorevolk präsentiert. Dass wir ein Kulturvolk sind mit einer Hochsprache seit der Reformation, das spielt kaum eine Rolle in der Öffentlichkeit.
Wollte die DDR-Führung eine heile Welt der Sorben nach außen tragen?
Ja, aus gutem Grund. Denn sie hat uns mit ihrer rabiaten Industriepolitik geschadet. Ich sehe den Braunkohleabbau als eine Zerstörung der Kulturlandschaft der Sorben. Über 100 Dörfer der Lausitz sind untergegangen, ohne dass wir irgendwelche Mitsprache hatten. Mit den Umsiedlungen ging vieles verloren. Denn wie wollen Sie in einem Neubaublock die dörflichen Traditionen pflegen? Die gewachsenen sorbischen Kultur- und Sprachräume sind ja ländlich geprägt.
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Ein Absetzer ist am Rande des Braunkohletagebaus Welzow Süd der LEAG (Lausitz Energie Bergbau AG) vor riesigen Abraumhalden zu sehen.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
War es dann ein Gewinn für die Sorben, als mit Stanislaw Tillich ein Sorbe an der Spitze der sächsischen Landesregierung stand?
Der Strukturwandel in der Lausitz wurde verschlafen, auch von Stanislaw Tillich. Von ihm, der wie ich aus Neudörfel stammt, hätte ich mehr Engagement für die Sorben erwartet. Die Industriepolitik hat sich auch nach der Wende immer gegen die Kulturpolitik durchgesetzt. Viele von uns haben sich sehr gewundert, dass nicht einmal Tillich sich in diesem Konflikt für den Erhalt der sorbischen Sprach- und Kulturräume eingesetzt hat. Auch meine Partei, die SPD, ist hier erst spät aufgewacht.
Fühlen sich die Sorben heute demokratisch repräsentiert?
Nein. In den Verfassungen von Sachsen und Brandenburg sind zwar herausragende Ziele für die Sorben festgeschrieben. Das ist das eine. Aber es mangelt eklatant an der wirklichen Repräsentanz in entscheidenden Gremien, wie etwa in der Kohlekommission oder in den Parlamenten. Die einzige Partei in Sachsen, die noch sorbische Abgeordnete hat, sind die Christdemokraten. Auch die Linke hat jetzt ihren Sorben Heiko Kosel auf einen aussichtslosen Listenplatz gesetzt zur Landtagswahl, was meine Partei schon 1994 mit mir gemacht hat. Die Deutschen in Belgien, Dänemark oder in Italien können sich politisch besser vertreten als wir Sorben in Deutschland.
Benedikt Dyrlich
Benedikt Dyrlich wurde 1950 in Neudörfel im Landkreis Bautzen geboren und lebt heute mit seiner Frau Monika in Dresden. Nach acht Klassen in der Lausitz besuchte der gebürtige Sorbe von 1964 bis 1968 das Bischöfliche Vorseminar in Berlin-Schöneiche und studierte anschließend fünf Semester Theologie in Erfurt. Nach Studienabbruch schlug er sich als Hilfskrankenpfleger durch, holte das DDR-Abitur nach und studierte an der Theaterhochschule in Leipzig. Danach arbeitete er als Dramaturg am deutsch-sorbischen Volkstheater Bautzen. In der Wendezeit trat er in die SPD ein und saß von 1990 bis 1994 im Sächsischen Landtag. Von 1995 bis 2012 war Dyrlich Chefredakteur der sorbischen Tageszeitung „Serbske Nowiny“. Seit 2012 ist er freier Autor. Dyrlich hat Lyrik, Prosa und Essays in sorbischer und deutscher Sprache veröffentlicht und war maßgeblich beteiligt beim Übersetzen der Bibel ins Sorbische. Zu seinen Werken gehören „Zelene hubki“, Domowina-Verlag 1975; „Grüne Küsse“, Aufbau-Verlag 1980; „Hexenbrennen“, Aufbau-Verlag 1988; „Stysk wyska“, Domowina-Verlag 2006; „Der Tiger im Pyjama“, Domowina-Verlag 2012 und „Grüne Hasen dampfen ab – Geschichten“, Pop Verlag Ludwigsburg 2018. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Wäre dann für die Sorben eine eigene Vertretung im Landtag eine Lösung, so wie der Südschleswigsche Wählerverband die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein vertritt?
Ja, das wäre eine mögliche Lösung, oder dass für frei gewählte sorbische Volksvertreter sagen wir mal zwei Plätze im Landtag reserviert sind. Wir Sorben mussten und müssen um jede Kleinigkeit kämpfen, etwa über zehn Jahre darum, beim MDR überhaupt eine halbe Stunde Fernsehen im Monat zu bekommen in sorbischer Sprache. Wir haben derzeit viel weniger Fernsehzeit als die Deutschen in Ungarn. Und dass sorbische Schulen von der CDU-Regierung geschlossen wurden, ist mehr als ein Frevel an der sorbischen Kultur.
Wie viele Sorben leben noch in Sachsen und Brandenburg?
Wir gehen von 50.000 bis 60.000 aus, davon beherrscht etwa die Hälfte die sorbische Sprache. Es sind doch viele wegen der Abbaggerung der Dörfer, der schlechten Infrastruktur und der fehlenden Perspektiven abgewandert.
Warum haben in der Lausitz, also im sorbischen Siedlungsgebiet, so viele Menschen AfD gewählt?
Die Deindustrialisierung der Region, die Abwanderung, die Perspektivlosigkeit, das frustriert die Menschen. Aber warum die AfD, die nationalistisch ist und nichts für den Minderheitenschutz tut, so stark gewählt wird in der Lausitz, ist für mich unverständlich. Ich glaube, da ist vieles aus der Nazizeit und der DDR-Zeit nicht aufgearbeitet worden: Wie wertvoll die Freiheit des Wortes, der Religion und der Kultur ist, also die grundsätzlichen Freiheiten, die wir 1989 erkämpft haben.
Aber haben nicht die Parteien, die jetzt 30 Jahre lang alle Chancen hatten, auf wesentlichen Feldern versagt, wenn sich die Menschen jetzt so abwenden?
Ja, die politische Elite hat versagt. Auch meine Partei, die SPD. Sie hat ihre Kernkompetenz, die soziale Gerechtigkeit, aufgegeben. Alle demokratischen Parteien haben versäumt, rechtzeitig den Dialog mit der Basis, mit den Menschen zu suchen. Es fehlt an Bürgernähe. Angela Merkel hat sich nicht ein einziges Mal mit uns Sorben zusammengesetzt und speziell beraten.
Aber Ministerpräsident Michael Kretschmer und ihr Parteichef Martin Dulig touren doch seit geraumer Zeit durchs Land mit Gesprächsangeboten.
Das ist lobenswert, reicht den Leuten aber nicht mehr. Wenn man in der Lausitz nicht wirklich die Strukturreform anpackt, damit junge, gut ausgebildete Leute eine Chance bekommen, wird man die schlechte Stimmung nicht kippen können. Man darf die ländlichen Räume nicht kaputt machen. Für die Landtagswahl ist das schon zu spät. Da ist zu viel vernachlässigt worden. Viele Dörfer sind ausgeblutet.
Warum sind Sie als Katholik nach der Wende eigentlich nicht in die CDU eingetreten?
Weil ich Willy Brandt anhing und die CDU ja in der DDR alles mitgemacht hat. Sie hat uns auch nicht unterstützt, zum Beispiel bei der Ablehnung der Jugendweihe für unseren Sohn.
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Benedikt Dyrlich. Leben im Zwiespalt 1. Aus Tagebüchern, Briefen und Beiträgen. 1964 -1989. Domowina-Verlag
© Quelle: Domowina-Verlag
„Leben im Zwiespalt“ – Rückblick eines Sorben
In diesem ersten Teil seiner Autobiografie gibt Benedikt Dyrlich eine tiefen Einblick in seine ungewöhnliche Biografie und in die Gängelung der sorbischen Intellektuellen zu DDR-Zeiten. Aus Tagebuchaufzeichnungen, vielen ausführlichen Briefen an seine damalige Freundin und spätere Frau sowie Dokumenten lässt er autobiografisch ein schwieriges Kapitel sorbisch-deutscher Geschichte lebendig werden. Gerade im 30. Jahr der Friedliche Revolution vermittelt der sorbische Schriftsteller, der wegen des Zölibats nicht mehr katholischer Priester werden wollte, tiefe Einblicke in die Kämpfe sorbischer Intellektueller gegen die geistige Enge, die ihnen die DDR-Führung durch Überwachung, Kontrolle und Verhinderung von Karrieren überstülpte. Sein kirchliches Abitur wurde nicht anerkannt, er musste das staatliche Abitur nachholen und lange auf einen Studienplatz an der Theaterhochschule in Leipzig warten. Die Lyrik war für ihn auch eine Zuflucht, um vieles zu verarbeiten, auch die von ihm gegeißelte „Verwüstung und Vernichtung des sorbischen Gebietes durch die Kohleindustrie oder das Diktat fremder Traditionen wie die Jugendweihe eine ist.“ Das alles wird dem Leser sehr authentisch vermittelt, weil es sich um Aufzeichnungen aus jener Zeit von 1946 bis 1989 handelt. Der Autor arbeitet derzeit am zweiten Band seiner Autobiografie, der 1990 beginnt. A. K.
Benedikt Dyrlich: Leben im Zwiespalt 1. Aus Tagebüchern, Briefen und Beiträgen. 1964 -1989. Domowina-Verlag, 19,90 Euro
Von Anita Kecke
LVZ