Auch nach 64 Urteilen: Richter haben keine Erklärung für Stuttgarter Krawallnacht

Menschen stehen vor einem geplünderten Geschäft in der Marienstraße in Stuttgart.

Menschen stehen vor einem geplünderten Geschäft in der Marienstraße in Stuttgart.

Stuttgart. Auch fast genau ein Jahr nach der sogenannten Krawallnacht und nach Dutzenden Urteilen gegen Randalierer aus jener Nacht fehlt den Juristen im Stuttgarter Amtsgericht eine plausible Erklärung für den damaligen Gewaltausbruch. „Die Strafverhandlungen haben wenig zur Erhellung beigetragen“, sagte Gerichtspräsident Hans-Peter Rumler. „Das Überraschende war eigentlich, dass die Täter in ihrer überwiegenden Mehrheit und bis zu jener Nacht unauffällig gewesen sind.“

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Am späten 20. Juni 2020 hatten Dutzende – vor allem Jugendliche und junge Männer – nach einer Drogenkontrolle in der Stuttgarter Innenstadt randaliert. Polizisten waren bedroht, beworfen, getreten und verletzt, Schaufenster zerstört und Geschäfte geplündert worden. Die Vorfälle waren weit über Stuttgart hinaus als „Krawallnacht“ bekannt geworden und hatten für hitzige Debatten gesorgt. Videoüberwachung, Alkohol- und Aufenthaltsbeschränkungen wurden diskutiert, erste Kameras an zentralen Plätzen geplant und aufgestellt.

Amtsrichter: „Die meisten Angeklagten konnten sich die Gewalt selbst nicht mehr erklären“

Es habe keine Brüche in den Lebensläufen der Täter gegeben, kaum Vorstrafen, die meisten angeklagten Jugendlichen und Heranwachsenden seien in Deutschland geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden, viele hätten einen Ausbildungsplatz, sagte Amtsrichter Joachim Spieth. „Und man kann wirklich nicht sagen, dass sie alle auf der Schattenseite des Lebens standen.“ Sicherlich hätten Gruppendynamik und Alkohol eine Rolle gespielt. „Aber in den Verhandlungen konnten sich die meisten Angeklagten die Gewalt selbst nicht mehr erklären.“

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Bis Ende Mai sind am Stuttgarter Amtsgericht 64 Urteile zur Krawallnacht gesprochen worden, die meisten vor dem Jugendschöffengericht, viele wegen schweren Landfriedensbruchs oder gefährlicher Körperverletzung.

141 Tatverdächtige und 82 Haftbefehle

In den meisten Fällen konnte die Staatsanwaltschaft Videomaterial vor allem von Handys und aus sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook und Tiktok auswerten, außerdem wurden sogenannte Super-Recognizer mit guter Gesichtswiedererkennung eingesetzt. Nach Angaben des Innenministeriums sind bislang 141 Tatverdächtige im Zusammenhang mit den Ausschreitungen ermittelt und 82 Haftbefehle erlassen worden. „Aktuell befinden sich noch fünf Tatverdächtige in Untersuchungshaft“, sagte ein Ministeriumssprecher.

Rumler und Spieth äußerten Zweifel, ob die Urteile potenzielle Nachahmer von ähnlichen Gewaltausbrüchen fernhalten könnten. „Man hätte meinen können, dass sich eine solche Vielzahl an Haftbefehlen rumspricht und abschreckt“, sagte Spieth. Es habe sich nichts Wesentliches verändert, wie jüngste Auseinandersetzungen junger Menschen in Stuttgart, Heidelberg, Tübingen und Freiburg gezeigt hätten. „Es bleiben Fragezeichen, und wer mit offenen Augen durch die Straßen zieht, der nimmt wahr, dass sich die Lage offensichtlich nicht entspannt hat.“ Man dürfe die Bedeutung des Bestrafens nicht überschätzen, sagte Rumler. „Auch wenn es wichtig ist, ein Zeichen zu setzen.“

RND/dpa

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