29 Jahre auf der Flucht: Australien gewährt Gefängnisausbrecher ein Visum
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Die australische Flagge (Symbolbild).
© Quelle: picture alliance / Zoonar
Australien ist für seine strenge Einwanderungs- und Asylpolitik bekannt. Geflüchtete, die per Boot ankommen, Menschen, die ihr Visum überziehen – sie alle landen in sogenannten „Detention Centres“, also Aufnahmelagern. In vielen Fällen sogar jahrelang. In so einem Auffanglager saß auch der 65-jährige Darko Desic, der aus dem früheren Jugoslawien stammt, bis vor Kurzem ein. Viel Hoffnung, dass sich sein Leben noch mal zum Besseren wenden würde, hatte Desic ganz offenbar nicht. Seine Facebook-Seite ist bis vor wenigen Tagen mit philosophischen Sätzen gefüllt, die sich eher verzweifelt anhörten. „Ein Mann, der seine Freiheit nicht will, wird langsam zum Sklaven“, postete er dort vor vier Tagen. Und er fragte: „Wie viel wäre Schönheit wert, wenn man sie nie sieht?“
Die Nachricht, dass er aus dem Lager entlassen wird und eine permanente Aufenthaltsgenehmigung erhält, muss auch Desic selbst überrascht haben. Doch am Dienstag war der einstige Gefängnisausbrecher ein freier Mann – mit Visum und, wie der „Guardian“ berichtete, einer sogenannten Medicare-Karte. Letztere gibt Australierinnen und Australiern Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung. Noch während seiner Jahre auf der Flucht habe er sich Zähne selbst mit einer Zange gezogen, hieß es in dem Bericht. Desic bestätigte seine Freilassung ebenfalls: „Ich bin wieder ein freier Mann“, jubelte er auf Facebook und bedankte sich bei seinen Unterstützern für ihre Hilfe. „Freiheit ist etwas, das man nicht vermisst, bis man sie verliert, und etwas, das man erst schätzt, wenn man sie zurückbekommt“, schrieb er dazu.
Freiwillig der Polizei gestellt
Desic ist in den Strandgemeinden im Norden von Sydney wohlbekannt und beliebt. Über Jahrzehnte verdiente er sich seinen Lebensunterhalt dort als Gelegenheitsarbeiter und lebte ziemlich offensichtlich inmitten der Gemeinschaft. Dabei war er eigentlich ein gesuchter Gefängnisausbrecher. 1992 war er aus einer australischen Haftanstalt geflohen, wo er eine 44-monatige Strafe wegen Cannabisanbau absaß. Doch etwas mehr als anderthalb Jahre, bevor er entlassen worden wäre, floh er, weil er Angst hatte, nach Jugoslawien abgeschoben und wegen des damaligen Bürgerkriegs in die Armee eingezogen zu werden.
29 Jahre verbrachte er in den Gemeinden im Norden Sydneys, doch mit der Corona-Pandemie wurde sein „freies“ Leben immer schwieriger. Arbeit gegen Bargeld gab es kaum mehr. Als dann auch noch das Haus, in dem er lebte, verkauft wurde, wurde Desic obdachlos und schlief in den Sanddünen. Zu diesem Zeitpunkt stellte er sich dann freiwillig der Polizei, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Als er nach fast 30 Jahren auf der Flucht in die lokale Polizeistation wanderte und sich dort mit den Worten „Ich glaube, Sie suchen nach mir“ vorstellte, machte dies 2021 weltweite Schlagzeilen.
„Jeder verdient eine zweite Chance“
Eine Richterin verurteilte Desic schließlich zu den verbleibenden 19 Monaten seiner Haftstrafe sowie zu weiteren zwei Monaten wegen seiner Flucht. Nachdem seine neue Haftstrafe im Dezember letzten Jahres abgelaufen war, wurde Desic in die Einwanderungshaft verlegt. Sein Fall war insofern ungewöhnlich, als es das Land, aus dem er geflohen war nicht mehr gibt. Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien wurde 1992 aufgelöst.
Die Gemeinde, in der Desic 30 Jahre lang lebte, hatte den 65-Jährigen, den alle liebevoll „Dougie“ nannten, jedoch nicht vergessen. Mehrere lokale Bewohnerinnen und Bewohner starteten eine Kampagne, die sie „Free Dougie“ nannten. Auf der Facebook-Seite der Kampagne schrieben sie: „Jeder verdient eine zweite Chance.“ Die Community würde hinter ihm stehen, schließlich habe er sich aus Ärger herausgehalten, er habe der Gemeinschaft geholfen und er sei stets „ein anständiger Kerl“ gewesen.
Glaube an „altes“ Australien wiederhergestellt
Der Anwalt von Desic, Paul McGirr, bestätigte gegenüber dem „Guardian“, dass Desic nach seiner Freilassung eine sichere Unterkunft habe und in seine Gemeinde im Norden von Sydney zurückgekehrt sei. Dass man sich dafür entschieden habe, dem 65-Jährigen ein Visum zu geben, sei „gesunder Menschenverstand“. Vielen Menschen in Australien habe dies neue Hoffnung gegeben, dass das Australien, „das wir kannten und in dem wir aufgewachsen sind“, noch nicht verloren sei.
Australien hat seit Mai 2022 eine neue sozialdemokratische Regierung. Obwohl sich mit dem Regierungswechsel grundsätzlich wenig an der repressiven Einwanderungs- und Asylpolitik des Landes geändert hat, deuten einige Entscheidungen einen etwas menschlicheren Umgang mit Einzelfällen an. Bereits kurz nach der Wahl ließ die neue Regierung beispielsweise eine tamilische Familie, die vier Jahre mit ihren kleinen Töchtern in Einwanderungshaft verbracht hatte, wieder in ihre Gemeinde in Queensland zurückkehren. Auch im Fall der Familie Murugappan hatte sich die Gemeinde mit einer Kampagne für die Freilassung der Tamilen eingesetzt. Als die vier letztendlich in den kleinen Ort Biloela zurückkehrten und dort mit offenen Armen begrüßt wurden, begleiteten Medien im ganzen Land dies mit Liveübertragungen.