Verleumdungsprozess um Australiens Vorzeigesoldaten: ein erschütternder Fall
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2011 hatte Ben Roberts-Smith, zuvor geehrt mit dem Victoria-Kreuz, eine Audienz bei der Queen. Er galt als der Vorzeigesoldat Australiens.
© Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Der Prozess um die Ehre von Ben Roberts-Smith dauerte 110 Tage und kostete schätzungsweise 25 Millionen australische Dollar – umgerechnet rund 15 Millionen Euro. Er löste einen gewaltigen Medienrummel in Australien aus und machte Roberts-Smith zum Gesicht mutmaßlicher australischer Kriegsverbrechen in Afghanistan.
Dabei stand der 44-jährige Veteran selbst nicht vor Gericht. Vielmehr hatte er den Prozess angestrebt, nachdem ihm eine Reihe an Tageszeitungen Kriegsverbrechen vorgeworfen hatten. Der Ex-Soldat wies die Behauptungen als falsch zurück, während die Zeitungen ihre Berichterstattung als wahr verteidigten. Die Vorwürfe, die der „Sydney Morning Herald“, „The Age“ und die „Canberra Times“ 2018 erhoben hatten, waren ernster Natur: Ben Roberts-Smith soll Gefangene getötet, eine Prothese als Bierglas verwendet und barbarisch anmutende Initiationsrituale abgehalten haben.
Ben Roberts-Smiths Uniform hängt im Museum
Die Zeitungen zeichneten das Bild eines Kriminellen, dabei galt Roberts-Smith eigentlich jahrelang als Vorzeigesoldat: Für seinen Einsatz in Afghanistan hatte der Australier das Victoria-Kreuz erhalten, die höchste Auszeichnung für Tapferkeit im Krieg. Sein Foto mit Queen Elizabeth II. ist legendär, im Kriegerdenkmal in Canberra ist seine einstige Uniform ausgestellt. 2013 war er zum „Vater des Jahres“ gekürt worden. Nach seiner Zeit beim Militär besetzte er hochkarätige Führungspositionen, zuletzt beim Medienkonzern Seven West Media, dessen Vorsitzender den Prozess für ihn finanziert haben soll.
Der Prozess gegen die Tageszeitungen wurde aber nicht nur wegen der prominenten Stellung von Roberts-Smith im ganzen Land verfolgt, sondern auch, da Diffamierung in Australien eine sensible Thematik ist. Australiens Verleumdungsgesetze würden zu den strengeren in demokratischen Gesellschaften gehören, wie Andrea Carson, Professorin für politische Kommunikation an der La Trobe University, bereits vor der Urteilsverkündung am Donnerstag gegenüber der australischen Ausgabe des „Guardians“ anmerkte. Investigativer Journalismus sei „ein zeit- und ressourcenintensives Unterfangen“. Carson warnte vor Folgeeffekten für diese Art von Journalismus, sollte das Gericht sich auf die Seite von Roberts-Smith schlagen. Letzteres passierte jedoch nicht: Richter Anthony Besanko kam am Donnerstag zu dem Schluss, dass die Recherchen der Journalisten im Wesentlichen korrekt waren. Die Klage von Roberts-Smith wies er damit ab.
Australier wird Mord an sechs afghanischen Männern vorgeworfen
Unter den schwerwiegendsten Anschuldigungen gegen den Australier war der Mord an sechs afghanischen Männern, die laut den Zeitungen bereits gefangen genommen worden waren beziehungsweise keine Gefahr mehr darstellten. Der dramatischste Fall war dabei der eines Mannes im afghanischen Dorf Darwan im September 2012.
Roberts-Smith soll den mit Handschellen gefesselten Bauern über eine zehn Meter hohe Klippe in ein trockenes Flussbett getreten haben. Im Anschluss sollen seine Untergebenen den verletzten Mann, der sich bei dem Sturz mehrere Zähne ausgeschlagen hatte, zu einem Baum gezerrt und auf seine Anweisung hin erschossen haben.
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Prothese von Getötetem als Trophäe
Eine weitere Mission, die vor Gericht behandelt wurde, fand im April 2009 statt, als australische Spezialeinheiten ein Taliban-Gelände mit der Bezeichnung „Whiskey 108″ angriffen. Laut der Journalisten soll Roberts-Smith einen der Männer, der eine Beinprothese trug, außerhalb des Geländes mit einem Maschinengewehr mindestens zehnmal in den Rücken geschossen und ihn so ermordet haben.
Die Prothese soll er als eine Art Trophäe behalten und daraus später mit Kameraden Bier getrunken haben. Ein zweiter Mann soll auf Anordnung von Roberts-Smith von einem jungen Soldaten erschossen worden sein. Dies soll der Veteran als eine Art Initiation ins Kriegshandwerk gesehen haben. Beide Opfer sollen sich zu dem Zeitpunkt bereits in Gefangenschaft befunden haben. Sie sollen aus dem Tunnel, in dem sie sich versteckt hatten, unbewaffnet herausgekommen sein und sich ergeben haben. Dies macht ihre Tötung laut der Genfer Konvention zu einem Kriegsverbrechen. Australische Soldaten werden dazu umfassend geschult.
Wichtiges Zeichen für die Pressefreiheit
Dass die Klage von Roberts-Smith am Donnerstag abgelehnt wurde, sahen viele auch als ein wichtiges Zeichen für die Presse- und Informationsfreiheit in Australien, wo über die Jahre hinweg teilweise harsch gegen Medienvertreter vorgegangen wurde. So wurde 2014 ein Sicherheitsgesetz abgesegnet, das Journalistinnen und Journalisten mit bis zu zehn Jahren Haft droht, wenn sie Informationen über Sonderoperationen des australischen Geheimdienstes publizieren.
Besonders fragwürdige Aktionen gab es auch im Jahr 2019: Damals wurde die Zentrale des öffentlich-rechtlichen Senders ABC von der Polizei durchsucht. Auch damals ging es um Recherchen des Senders zu Kriegsgräueln australischer Soldaten in Afghanistan. Bereits am Tag zuvor war auch das Privathaus einer Journalistin durchsucht worden. Die Gewerkschaft der Medienvertreter (Meaa) schrieb damals in einer Presseerklärung, dass die zweite Razzia innerhalb von zwei Tagen zeige, dass man versuche, Journalismus zu kriminalisieren.
Letztere Tendenz zeigte auch ein Urteil gegen zwölf australische Medienunternehmen. Diese wurden 2021 zu einer Zahlung von 1,1 Millionen australischen Dollar, umgerechnet mehr als 670.000 Euro, verdonnert, nachdem sie eine gerichtlich verordnete Nachrichtensperre in Zusammenhang mit dem Missbrauchsprozess gegen Kardinal George Pell umgangen hatten. 2019 waren deswegen sämtliche großen australischen Zeitungen schon einmal mit geschwärzten Titelseiten erschienen, um gegen die zunehmende Einschränkung der Pressefreiheit zu protestieren.
Strafrechtliche Verfolgung möglich
Die betroffenen Journalisten sahen die Abweisung der Klage am Donnerstag damit auch als Sieg für Qualitätsjournalismus. James Chessell, der Geschäftsführer des Medienkonzerns Nine, zu dem die Zeitungen gehören, schrieb im „Sydney Morning Herald“, dass das Urteil eine „Bestätigung für die vielen Menschen in unseren Nachrichtenredaktionen und unserer Organisation“ sei, die diesen „wirklich wichtigen Journalismus von öffentlichem Interesse unterstützt haben“. Außerdem sei es eine Anerkennung für die tapferen Soldaten, die den Mut hatten, die Wahrheit über die Ereignisse in Afghanistan zu sagen.
„Eine Geschichte dieser Größenordnung zu veröffentlichen ist nie einfach“, so Chessel. „Aber hochwertiger investigativer Journalismus ist für eine blühende Demokratie von entscheidender Bedeutung.“ Wichtig sei, dass die Geschichte nicht mit Ben Roberts-Smith ende. „Wir werden weiterhin Personen, die an Kriegsverbrechen beteiligt sind, zur Rechenschaft ziehen“, so der Medienmanager.
Australien arbeitet Kriegsverbrechen seit Längerem auf
Australien arbeitet mögliche Kriegsverbrechen seiner Elitesoldaten seit Längerem auf: Im März wurde erstmals ein ehemaliger Soldat wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor einem Zivilgericht angeklagt. Ein offizieller Bericht aus dem Jahr 2020 war zuvor zu dem Schluss gekommen, dass australische Elitesoldaten zwischen 2005 und 2016 vermutlich 39 Zivilisten und Gefangene in Afghanistan ermordet haben. Weitere Anklagen könnten demnach folgen. Auch Roberts-Smith könnte wegen der Vorwürfe noch strafrechtlich verfolgt werden.