Sie klebte sich in Berlin fest: Richter lehnt Strafe für Klimaaktivistin der Letzten Generation ab
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Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe Letzte Generation blockieren eine Kreuzung.
© Quelle: Swen Pförtner/dpa/Symbolbild
Berlin. Seit Wochen sorgen sie fast täglich für Schlagzeilen: Mitglieder der Protestgruppe Letzte Generation kleben sich auf Straßen fest, blockieren Kreuzungen und sorgen so für lange Staus in den Städten. Viele von ihnen müssen sich wegen Nötigung vor Gericht verantworten und werden zu Geldstrafen verdonnert.
Berliner Richter spricht Letzte-Generation-Aktivistin frei
Im Amtsgericht Tiergarten in Berlin kam es vor etwa fünf Wochen zu einer bislang seltenen Entscheidung: Ein Richter hatte am 5. Oktober den Erlassungsantrag des Strafbefehls der Staatsanwaltschaft gegen eine Demonstrantin der Letzten Generation abgelehnt, wie die Berliner Gerichtssprecherin Lisa Jani dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) bestätigte. „Das ist eine Einzelfallentscheidung. Es kommt immer auf die Umstände an“, sagte sie. So werde zum Beispiel berücksichtigt, wie stark sich die Aktivisten oder Aktivistinnen festkleben, oder ob sogar Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorlag. „Man kann nicht jeden Klimademonstranten über einen Kamm scheren“, betonte sie.
Die Frau hatte am 23. Juni gemeinsam mit 66 anderen Aktivistinnen und Aktivisten die Kreuzung am Frankfurter Tor blockiert.
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Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin.
© Quelle: IMAGO/Andreas Gora
Richter: Jede politische Demonstration sei lästig, aber für den demokratischen Rechtsstaat unerlässlich
In dem Beschluss des Richters, der dem RND vorliegt, heißt es, dass der Erlass des Strafbefehls mangels hinreichenden Tatverdachts der Nötigung abgelehnt werde. Jede politische Demonstration sei lästig, aber für den demokratischen Rechtsstaat unerlässlich. Das Thema des Klimawandels und der ökologisch notwendigen Wende im politischen Handeln sei wissenschaftlich nicht zu bestreiten.
Da das Lösen der festgeklebten Person nur etwa zehn Minuten dauerte und sie sich nicht gewalttätig verhielt, sei es laut Auffassung des Richters nicht ausreichend, um dieser politischen Demonstration strafrechtlich zu begegnen. Zudem falle die Aktion unter den grundrechtlichen Schutz der Versammlungsfreiheit, der unabhängig davon sei, ob die Versammlung angemeldet war oder nicht.
Staatsanwaltschaft legt Beschwerde gegen Entscheidung des Richters ein
Die Staatsanwaltschaft hat nach der Entscheidung des Richters Beschwerde gegen dessen Beschluss eingelegt. Nun müsse das Berliner Landgericht über den Fall entscheiden, weshalb der Beschluss noch nicht rechtskräftig sei, erklärte Jani.
Beim Amtsgericht Tiergarten seien ungefähr 200 Erlassungsanträge im Zusammenhang mit Straßenblockaden anhängig, so Jani. Eine genaue Zahl könne sie allerdings nicht nennen, da es beim Amtsgericht keine Kategorisierung für sich festklebende Klimademonstrantinnen und -demonstranten gebe. Der normale Vorgang: Die Staatsanwaltschaft stellt Strafbefehlsanträge bei Gericht. Dann prüfen Richterinnen und Richter, ob sie den Strafbefehl erlassen, oder eben nicht.
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Große Mehrheit der Demonstrantinnen und Demonstranten legt Einspruch ein
In den meisten Fällen seien die Strafbefehlsanträge erlassen worden. Die große Mehrheit der Verurteilten legte Einspruch ein, sodass es zu einer Hauptverhandlung kommen muss, was dauern kann. Am Amtsgericht Tiergarten seien es nach aktuellem Stand bis zum 10. November erst zwölf gewesen, erklärte Gerichtssprecherin Jani. Die wenigsten akzeptieren den erlassenen Strafbefehl.
Nur einmal – im zuvor beschriebenen Fall – sei der Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt worden. In zwei Fällen entschieden die Richter, den Strafbefehl ebenfalls nicht zu erlassen, aber eine Hauptverhandlung in der Sache zu führen.
Kritik nach tödlichem Unfall mit Radfahrerin in Berlin
Die Gruppe Letzte Generation fordert mehr Maßnahmen gegen die Klimakrise. Sie blockiert seit Jahresbeginn immer wieder Autobahnausfahrten und Kreuzungen und protestiert zudem mit anderen medienwirksamen Aktionen.
Zuletzt war die Letzte Generation im Zusammenhang mit dem Tod einer Radfahrerin in Berlin heftig in die Kritik geraten. Die 44-jährige Frau war am 31. Oktober von einem Betonmischer überrollt worden und wenige Tage später gestorben. Ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr, das helfen sollte, die Verletzte zu befreien, steckte in einem Stau, der von dem Klimaprotest ausgelöst worden sein soll. Medienberichten zufolge hatte der verspätete Wagen nach Einschätzung der Notärztin vor Ort aber keine Auswirkungen auf die Rettung. Einige Politikerinnen und Politiker machten sich zuletzt für Strafverschärfungen für Aktivistinnen und Aktivisten stark, die Straßen blockieren oder in Museen Kunstwerke attackieren.
Mit Material der Deutschen Presse-Agentur.