Elvis Presley lebt
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Der King in Action: In den späten Jahren sah man Elvis im berühmten weißen Bühnen-Outfit.
© Quelle: imago
Memphis. Natürlich sind sie wieder gekommen, zu Zehntausenden. Es gehört ja zu den rätselhaften Eigenarten der Elvis-Fans, dass sie lieber den Todes- als den Geburtstag ihres Idols feiern. Als wollten sie so der ganzen Welt noch mal seine Unsterblichkeit beweisen. Und so strömten sie nun wieder hierher, nach Graceland, zu seinem Anwesen, der Pilgerstätte der Elvis-Jünger.
Schon zu normalen Zeiten ist Graceland mit einer halben Million Gästen pro Jahr das von Touristen am zweithäufigsten besuchte Wohnhaus der USA – gleich hinter dem Weißen Haus. Zu seinem 40. Todestag am Mittwoch, wurde Graceland wieder Ziel der Fans. Doch ein bisschen Unmut schwang bei dem Ereignis mit: Mit 28,75 Dollar (24,50 Euro) schlug die Gebühr für die Trauerprozession zum Elvis-Grab zu Buche. Die Verwaltung, betrieben von Elvis Presley Enterprises, begründete den Eintritt mit den inzwischen in vielen Teilen der USA als notwendig erachteten Sicherheitsmaßnahmen. Einige Fans sprachen von Preistreiberei und Kommerzialisierung.
Doch es wurde auch einiges geboten an diesem besonderen Tag: Für 125 Millionen Dollar hat ein US-Konzern gerade die Anlage restauriert und ein neues Besucherzentrum gebaut. Ein Symphonieorchester spielte seine Hits, es gab Andachten, Gedenk-Joggingrunden, Versteigerungen.
40 Jahre nach seinem Tod, so scheint es, ist Elvis Presley lebendiger denn je. Ausgerechnet dieser am Ende seiner 42 irdischen Jahre so aufgedunsene, medikamentensüchtige und eigenartige Elvis, ihn feiern sie nun euphorischer als je zuvor. Aber warum eigentlich?
1954 wurde Presley entdeckt
Es beginnt wohl damit, dass dieser Elvis von Anfang an wie geschaffen schien für den Thron des Rock ’n’ Roll. Schon der Name war besonders: Kein profaner Jerry (Lee Lewis), kein Buddy (Holly), Bill (Haley) oder Chuck (Berry) kam da des Wegs, sondern eben Elvis – das geht einem bis heute sinnlich und explosiv von der Zunge. Und so waren seine Auftritte auch: Die Knie zuckten, die Hüften rollten, die Musik schien durch ihn hindurchzuschießen, als sei er an ein Stromkabel angeschlossen. Die Leute zu Hause in Memphis, Tennessee, waren 1954 begeistert von Sound und Auftreten. Und die Macher der Live-Radioshow „Louisiana Hayride“ in Shreveport begriffen sofort das Potenzial von Songs wie „That’s All Right“ und „Good Rockin’ Tonight“ und befeuerten das Bühnencharisma ihres gurrenden, heulenden, schmachtenden Interpreten.
Heute wird der junge, schöne King gefeiert
So begann im amerikanischen Süden der Weg des von den Alten verteufelten Rock ’n’ Roll zur Weltvolksmusik. Im Anfang war Elvis – der erste Megastar des Rock. Es gab talentiertere als ihn. Konkurrenten, die heutige Musiker lieber nennen, wenn diese ihre Vorbilder aufzählen. Und doch ist Elvis das Role-Model all der späteren Großen, der Michael Jacksons, der Mick Jaggers. Derer, die Stadien füllen, die sich inszenieren, die mindestens so sehr Gesamtkunstwerk wie Musiker sind.
„Elvis forever“ und „Elvis lebt“ sind die Slogans, die ihm seinen Tod seit 40 Jahren absprechen. Als er am 16. August 1977 starb, war er ein verschrobener, übergewichtiger Waffennarr von konfuser und alberner Gesinnung. Dieser Endzeit-Elvis ist jedoch heute vergessen, gefeiert wird 2017 wie 1956 der schöne junge King. Mit romantischen Augen und spöttisch-rebellischem Mundwinkel ziert sein jugendliches Konterfei noch heute französische Frisiersalons. Einmal Haare wie Elvis, s’il vous plait!
Ein Mix aus Country, Gospel und Rhythm ’n’ Blues
Was aber, wenn sich der schüchterne Elvis damals im Juli 1953, sechs Monate nach seinem Highschool-Abschluss, nicht getraut hätte, das Backsteinhaus in der Union Avenue 706 in Memphis zu betreten? Was, wenn er bei Sam Phillips’ Memphis Recording Service keine Aufnahme von „My Happiness“ gemacht hätte, wenn sich dessen Assistentin nicht „guter Balladensänger“ notiert hätte?
Keine Elvis-Hits? Eine Welt ohne „Love Me Tender“? Doch, viele Elvis-Songs gäbe es wohl auch ohne Elvis. Er war kein Songwriter wie Chuck Berry oder Little Richard. Elvis bediente sich bei dem, was er vorfand. Er coverte, tunkte altes Material aus Country, Gospel und Rhythm ’n’ Blues in seinen Sound. Elvis verkörperte deutlicher als jeder andere den arbeitsteiligen Prozess der aufkeimenden Musikindustrie. Ohne ihn hätten Auftragsschreiber wie Otis Blackwell oder das Duo Jerry Leiber und Mike Stoller ihre Songs wohl anderen Sängern angedient. Auch wenn man sich den donnernden „Jailhouse Rock“ schwerlich von jemand anderem vorstellen kann.
Ohne Elvis wäre Pop biederer geworden
Kein Rock ’n’ Roll? Doch, es hätte ihn auch ohne Elvis gegeben. Aber er hätte eine ganz andere Richtung genommen. An einer Verschmelzung von Country und Rhythm ’n’ Blues arbeiteten viele Musiker damals. Diese Musik war nicht neu, aber als Elvis kam, war sie vornehmlich in der Hand schwarzer Musiker. Für Chuck Berry, Fats Domino und Little Richard waren indes im rassistisch geprägten Klima der Fünfzigerjahre nur Teile der weißen Jugend zu gewinnen. Und Bill Haley war mit 30 Jahren zu alt und unattraktiv für ein weißes Jugendidol. Ohne Elvis hätte sich die Musikindustrie einen schönen König designen oder casten müssen. Und wahrscheinlich hätte sie die Wildheit dieser Musik viel früher zu Pop gezähmt als das mit dem authentischen Elvis möglich war. Dem waren Rockabilly, Blues und Rhythm ’n’ Blues nicht auszutreiben, was er auch bei seinem Comeback 1968 bewies. Vielleicht wäre der Popbetrieb ohne Elvis nach ein paar Jahren der Rock-’n’-Roll-Mode mit Eddie Cochran und Buddy Holly wieder zu Schlager und Sinatra-Popjazz zurückgekehrt. Ohne Elvis wäre Pop biederer geworden, so viel ist sicher.
Von Elvis’ Hüftschwung zehrten alle nachgeborenen Performer
Keine Moves? „Elvis the Pelvis“ bewegte sich – und das konservative Amerika nahm Anstoß. Zu obszön wirkte es auf manche, wie Elvis auf der Bühne sein Becken, the pelvis, kreisen ließ. Beim dritten Auftritt in der Ed-Sullivan-Show 1956 zeigte die Kamera ihn deshalb nur noch oberhalb der Taille. Aber das mehrte nur seinen Ruhm. Von Elvis’ Hüftschwung zehrten alle nachgeborenen Performer – von Mick Jagger bis Michael Jackson. Ja, auch James Brown war damals auf der Bühne schon ziemlich beweglich – doch den kannte noch kaum jemand. Ohne Elvis wären die Hüften der Popmusik steif geblieben.
Presley spielte in 30 Spielfilmen mit
Keine Elvis-Filme? Das wäre kein Verlust. 30 Spielfilme hat Hollywood von 1956 bis 1969 mit Elvis gedreht, in der Hauptsache harmlose bis unerquickliche Komödien, die dazu dienten, den Sänger im Gespräch zu halten. Marketing war auch da schon alles, ein schlechter Elvis-Film war für die Filmindustrie allemal besser als kein Elvis-Film. Sein darstellerisches Talent war arg begrenzt. Nur um den Western „Flammender Stern“, in dem Elvis ein tragisch endendes Halbblut spielt, wäre es wirklich schade. Elvis hat nicht nur den Pop, er hat auch die Welt verändert. Gut möglich jedenfalls, dass John F. Kennedy ohne ihn niemals Präsident geworden wäre. Elvis hat ihn offen unterstützt, so wie später noch viele Kulturschaffende vor allem demokratische Präsidentschaftskandidaten unterstützten. Kennedys Sieg 1960 war der knappste bei US-Wahlen im 20. Jahrhundert (49,7 Prozent zu 49,6 Prozent). Der smarte Demokrat profitierte vor allem von seinem klaren Vorsprung bei den Jungwählern. Wohl auch dank Elvis.
Presley war Vorbild für John Lennon
Und die Beatles? John Lennon hatte als Kind eine Katze namens Elvis. Er gründete die Quarrymen, die erste Inkarnation der Beatles, 1956 unter dem Elvis-Schock. „Elvis war größer als Religion in meinem Leben“, sagte er später, „vor Elvis war nichts.“ Und: „Hätte es keinen Elvis gegeben, hätte es keine Beatles gegeben.“ Folgen für die Musik: unabsehbar.
Wie kein anderer hat sich später Michael Jackson auf Elvis bezogen. Der „King of Pop“ heiratete Lisa Marie, die Tochter des „King of Rock ’n’ Roll“. Näher konnte er Elvis Presley nicht kommen. Wo sich der weiße Elvis der schwarzen Musik näherte, war es bei Michael Jackson genau umgekehrt. Beide lebten zurückgezogen in Graceland (Elvis) respektive Neverland (Jackson). Beiden wird ein kindlich-kindisches Naturell attestiert, beide starben zu früh an Medikamentenmissbrauch. Michael Jackson ist heute die zweite US-Ikone der Popmusik.
Elvis wollte berühmt werden
Es gibt sehr obskure Kapitel des Elvis-Kults. Heerscharen von Imitatoren, Wackel-Elvisse auf Hutablagen, die Geschichten von gealterten oder mysteriös jung gebliebenen Wiedergängern in Supermärkten, Frittenbuden, Tankstellen. Wären sie uns erspart geblieben, wenn Elvis sich an jenem Tag nicht in Sam Phillips’ Studio hineingetraut hätte?
Wohl kaum. Der Drang der narzisstischen Persönlichkeit, zu Geltung zu gelangen, ist nicht zu unterschätzen. Elvis wollte berühmt werden. Irgendwann wäre er doch in dieses Studio gegangen. Der Elvis-Mythos erzählt, er habe „My Happiness“ damals für Mamas Geburtstag eingespielt. Doch der lag noch ein Dreivierteljahr in der Zukunft. Elvis spielte, wie seine Biografen Peter Harry Brown und Pat H. Broeske wissen, die Scheibe damals jedem vor, egal ob er sie hören wollte oder nicht. „My Happiness“ war kein Ständchen für Mama, sondern die Promotionplatte einer Weltkarriere. Die im August 1977 endete.
Einige Jahre nach Elvis’ Tod schrieb Bruce Springsteen den schönsten Hommage-Song, „Johnny Bye-Bye“. „Es ist“, sagt der Boss, „als sei er einfach dahergekommen und habe uns einen Traum eingeflüstert, den wir dann alle träumten.“ Es ist der Satz, den alle Elvis-Fans noch heute sofort unterschreiben würden.
Von Matthias Halbig/RND