Experte über Hurrikan „Ida“: „Das Flutschutzsystem hat diesmal nicht versagt“
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Mitglieder des Louisiana State Fire Marshal's Office retten Menschen aus den Fluten nach dem Hurrikan „Ida“ in New Orleans, Louisiana.
© Quelle: Gerald Herbert/AP/dpa
Hannover. Hurrikan „Ida“ hat im Süden Louisianas massive Schäden angerichtet, Hunderttausende haben weiter keinen Strom. Viele Menschen wurden zwar aus den Flutgebieten gerettet, die Opferzahl – bisher wurden vier Tote gemeldet – könnte aber noch steigen. Über die Folgen spricht der Architekt Mark Kammerbauer, der zum Wiederaufbau nach dem Hurrikan „Katrina“ vor 16 Jahren geforscht hat, mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Herr Kammerbauer, mit Hurrikan „Ida“ wurde New Orleans und die umliegende Region erneut von einem sehr schweren Sturm getroffen. Das Ausmaß der Schäden ist noch nicht genau abschätzbar, so schlimm wie bei „Katrina“ ist die Situation aber offenbar nicht. War New Orleans diesmal besser vorbereitet?
Dass New Orleans nicht so schwer betroffen ist wie bei „Katrina“, liegt auch daran, dass das Flutschutzsystem diesmal nicht versagt hat. Damals sind die Flutschutzwände zum Teil unterspült worden und konnten das Wasser nicht mehr zurückhalten. Deshalb kam es zu den großflächigen Überflutungen und den vielen Opfern. Trotzdem stehen auch diesmal in der Region viele Kommunen unter Wasser. Nach „Katrina“ wurde der Flutschutz verbessert und die Deiche erhöht.
Das Problem beim Hochwasserschutz ist, dass man sich beim Bau an der Statistik vergangener Ereignisse orientiert. Wenn dann aber wie bei „Katrina“ ein Hochwasser kommt, das deutlich höher und gefährlicher ist als in den Fällen davor, dann kann so eine Struktur versagen.
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Mark Kammerbauer ist studierter Architekt und Architekturforscher. Er hat zum Wiederaufbau nach Hurrikan „Katrina“ promoviert.
© Quelle: privat
Sie haben zu den Folgen und dem Wiederaufbau nach „Katrina“ geforscht. Was genau ist damals passiert?
Der Wiederaufbau lief ziemlich chaotisch und unkoordiniert ab, weil viele verschiedene Behörden und Institutionen involviert waren und es deshalb in vielen Fragen Unklarheit darüber gab, wer überhaupt zuständig ist. Zum großen Teil wurde es den Besitzern selbst überlassen, ihre Häuser wieder aufzubauen und das auch so zu tun, dass diese beim nächsten Sturm besser geschützt sind. Dafür gab es ein großes Förderprogramm.
Das hatte aber ein Problem: Die Zahlungen haben sich daran orientiert, was das jeweilige Grundstück samt Gebäude vor der Katastrophe wert war. Das hatte zur Folge, dass die wohlhabendere, vorwiegend weiße Mittelschicht wesentlich mehr Geld bekommen hat als ärmere, vorwiegend schwarze Menschen. Obwohl die Mittelschicht es sich selbst leisten konnte selbst wieder aufzubauen oder zumindest einfach Kredite bei Banken bekommen hat. Das hat dazu geführt, dass in den ärmeren Gegenden, die stark betroffen waren, viele Menschen sich den Wiederaufbau nicht leisten konnten und nach ihrer Evakuierung gar nicht mehr nach New Orleans zurückgekehrt sind. Ergänzend sollte man nicht vergessen: Viele Initiativen und NGOs sind in New Orleans nach Katrina aktiv geworden, um Betroffenen beim Wiederaufbau zu helfen.
Auch wenn die Schäden von „Ida“ noch nicht genau abzuschätzen sind: Es wird wieder besonders die ärmere Bevölkerung treffen. Solche Katastrophen haben immer eine soziale Dimension.
„Ida“ hat zu großflächigen Stromausfällen geführt, von denen etwa eine Million Menschen betroffen sind. Warum lassen diese sich nicht besser verhindern?
Im Gegensatz zu Deutschland verlaufen in den USA auch in den Städten die meisten Stromleitungen oberirdisch. Das macht sie bei starken Winden sehr störanfällig. Die bauen das aber nicht so, weil sie doof sind. Diese Bauweise lässt sich aber nicht so einfach ändern, weil sie seit langer Zeit etabliert ist und der Wechsel auf ein anderes System ein wohl nicht zu stemmender Aufwand wäre. Außerdem ist der Boden in Louisiana rund um New Orleans sumpfig und häufig durchschwemmt. Ich bin nicht sicher, ob es so viel besser wäre, wenn die Leitungen unterirdisch verlaufen würden. Letzten Endes hat das auch mit Kosten zu tun.
Es gibt das Klischee, dass Häuser in den USA vor allem in Leichtbauweise gebaut werden und deshalb Stürmen nicht standhalten. Stimmt das noch?
An diesem Klischee ist auf jeden Fall etwas dran. Im Vergleich zu Deutschland wird dort wesentlich mehr aus Holz gebaut, was gegen Wind und Wetter weniger standhaft ist. Diese Bauweise hat aber durchaus auch Vorteile. Gerade bei Hochwasser entstandene Schäden lassen sich wesentlich schneller und kostengünstiger wieder beheben als bei Häusern aus Ziegelstein, die erst aufwändig getrocknet werden müssen. In der Architektur gibt es beim Thema Hochwasserschutz durchaus auch den Ansatz: Das Wasser kommt sowieso, der Wiederaufbau muss entsprechend vereinfacht werden, nach dem Prinzip „living with the water“.
Der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit für schwere Stürme. Können sich die Städte überhaupt adäquat darauf vorbereiten?
Die Städte können und müssen sich vorbereiten. Und viele tun das auch. Ein Schlagwort, dass da wichtig ist, ist die sogenannte Schwammstadt. Wasser braucht Platz und deshalb müssen in Städten ausreichend Flächen vorhanden sein, die nicht versiegelt sind, wo Wasser abfließen kann. In eng bebauten Städten ist es schwierig, diese Räume zurückzugewinnen, aber es wird daran gearbeitet. Die Grundlage dafür ist, dass die Kommunen genügend Ressourcen für diese Maßnahmen zur Verfügung haben. Das wird die entscheidende Frage in den kommenden Jahren sein.