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Flutkatastrophe in Erftstadt-Blessem: „Dann haben sie mich mit dem Radlader rausgeholt“

Harald Schnitzler im von den Fluten verwüsteten Garten seines Hauses in Erftstadt-Blessem.

Harald Schnitzler im von den Fluten verwüsteten Garten seines Hauses in Erftstadt-Blessem.

Erftstadt-Blessem. Die Straße bricht einfach ab, sie endet in einem mächtigen, metertiefen Krater. Das Wasser, das den Ort noch immer durchströmt, fließt hinein, in diese Mischung aus Trümmern, Matsch, Müll. Das Abwasserrohr, sonst verborgen vom Asphalt, ist bloßgelegt. Ölgeruch liegt in der Luft, farbige Schlieren liegen auf dem Wasser. Einzelne Wände, ganze Häuser, Teile der Burg, bis dahin die Attraktion des Ortes: Alles hat das Wasser fortgerissen.

Es ist ein tatsächlich endzeitlicher Anblick, den Blessem, ein Ortsteil der Stadt Erftstadt, südlich von Köln gelegen, an diesem Tag bietet – so unerwartet heftig, dass ihn mancher nicht erträgt. Eine Blessemerin, die sich in Stiefeln durch das noch immer knöcheltiefe, strömende Wasser dem Krater nähert, wendet sich im Gehen abrupt wieder um. „Ich kann mir das gar nicht ansehen“, sagt sie später. „Es ist einfach zu viel.“ Niemals, fügt sie noch hinzu, hätte sie so etwas für möglich gehalten.

Und nun ist es Realität.

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Hubschrauber über dem Ort

Blessem ist einer der vielen besonders schwer betroffenen Orte dieser Katastrophe. In der Nacht zu Freitag hat das Wasser hier Häuser unterspült und fortgerissen. Die Nacht über haben Retter Menschen aus ihren Häusern geborgen, die sie längst hätten verlassen haben sollen. „Aus den Häusern kommen Notrufe, aber eine Rettung ist vielfach nicht möglich“, meldet am Morgen die Bezirksregierung in Köln. Hubschrauber kreisen über dem Ort.

Noch am Mittag rechnet der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) auch mit mehreren Todesopfern in Erftstadt-Blessem. Am späten Nachmittag kann der Landkreis jedoch erste Zeichen der Zuversicht senden: Die Rettungsaktion sei abgeschlossen, 110 Menschen seien aus ihren Häusern in Sicherheit gebracht worden – und zumindest bislang seien keine Todesopfer im Ort entdeckt worden. Auch die Unübersichtlichkeit und Vorläufigkeit mancher Nachricht gehören zu dieser Katastrophe längst dazu.

Einer der Menschen, die an diesem Tag noch gar nicht wieder hier in Blessem sein dürften, weil die Behörden noch vor einer Rückkehr in die teilweise einsturzgefährdeten Häuser warnen, ist Harald Schnitzler. Er ist Chemiearbeiter und lebt in einem Haus, nur ein paar Schritte von der Erft entfernt, die sonst ein friedliches Flüsschen und jetzt ein verschlingender Strom ist. Zwei Nächte hat er bei Verwandten zugebracht, aber an diesem Morgen hat er es nicht mehr ausgehalten und ist zu seiner Wohnung zurückgefahren, an den Sperren vorbei, über noch immer überspülte Straßen. Was er dann sah, hat ihn entsetzt. „Grauenhaft“, sagt er, „grauenhaft.“

Nordrhein-Westfalen, Erftstadt: Ein Foto, das die Bezirksregierung Köln am Freitag über Twitter verbreitete, zeigt Überschwemmungen in Erftstadt-Blessem.

Nordrhein-Westfalen, Erftstadt: Ein Foto, das die Bezirksregierung Köln am Freitag über Twitter verbreitete, zeigt Überschwemmungen in Erftstadt-Blessem.

Gerade ist er durch den Ort gelaufen, in kurzer Hose, Socken, Turnschuhen watet er durch das Wasser. Ihm ist jetzt vieles egal.

Menschen mussten ihre Häuser binnen Minuten verlassen

Das Wasser hatte den Menschen in Blessem keine Zeit gelassen, binnen Minuten mussten sie am Mittwochabend aus ihren Häusern, Harald Schnitzler half noch älteren Nachbarn, „zu packen hatte ich gar keine Zeit mehr“. Später wollte er noch einmal zurück, aber da stieg das Wasser schon zu hoch. „Da haben sie mich mit dem Tieflader hier vom Haus weggeholt.“

Auch jetzt, am Freitagmittag, gibt das Wasser keine Ruhe. Zwei Gehminuten flussabwärts reißt die Erft erst die Bäume und dann ein Teilstück der A 1 weg, krachend fällt es ins Wasser. Mit großen Schubkarren bringen die Menschen Dinge, die sie aus ihren Häusern geholt haben, aus dem Ort, mühsam schieben sie sie über die Brücke.

Als sich am Nachmittag das Wasser aus Blessem langsam zurückzieht und der Pegelstand der Erft etwas sinkt, kommen mehr Menschen in den Ort zurück – und mit ihnen auch die Kunde von einigen Zeichen der Hoffnung. So gibt es mitten in Blessem einen großen Pferdehof, in dem mehr als 60 Pferde in ihren Boxen standen, als das Wasser kam. Noch in der Nacht aber eilten die Besitzer und Helfer zu den Tieren – und es gelang ihnen, sie in höher gelegene Gebiete außerhalb des Ortes zu führen.

Die Sanitäterin Maike Bollig zum Beispiel, Besitzerin von zwei Pferden, kam am Morgen dazu, nach einer 24-Stunden-Schicht im Rettungsdienst, in der sie auch pausenlos im Einsatz war. Durch das mehr als kniehohe Wasser führten sie die Pferde dann hinaus, in Sicherheit. Gefährlich sei das gewesen, gibt sie zu, zwei Tage und Nächte habe sie schließlich nicht geschlafen. „Das war alles ein Albtraum“, sagt sie ermattet, „aber jetzt bin ich wahnsinnig froh, dass das gelungen ist.“

Maike Bollig half, mehr als 60 Pferde aus dem Hochwasser zu retten.

Maike Bollig half, mehr als 60 Pferde aus dem Hochwasser zu retten.

Es seien die Menschen, die gegen das Verbot der Behörden sofort wieder in ihre Häuser zurückwollen, erklärt ein Sprecher des Kreises am Nachmittag. Er meint Menschen wie Harald Schnitzler, der von seinem Zuhause jetzt nicht lassen kann. Aber er ist hier aufgewachsen, im Vorderhaus, wo jetzt sein Bruder lebt, wohnten seine Eltern. Das Wasser hat Schlamm hinterlassen, Chaos und einen großen Stapel Holzscheite direkt in seiner Einfahrt. „Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll“, sagt er.

RND

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